Leise, aber mächtig

Industriellenvereinigung
29.11.2011

Die meisten Produkte und Dienstleistungen sind ausschließlich auf jüngere Verbraucherschichten ausgerichtet. Doch immer mehr Unternehmer erkennen, wie attraktiv auch Ältere als Zielgruppe sind – und sind damit richtig erfolgreich.

Allgegenwärtig lächeln sie uns aus der Werbung entgegen: strahlend schöne Teenager und junggebliebene Erwachsene. Männer mit Dreitagebart und Frauen, die auch jenseits der 30 verführerische Erotik ausstrahlen. Dagegen sind Menschen mit ergrautem Haar, faltigen Gesichtern und gebückter Körperhaltung in der Minderheit – denn spätestens seit der Erfindung des Begriffs „Teenager" regiert in der schönen, bunten Warenwelt das Diktat der Jugend. Eindeutig ein Fehler: Sind doch auch Ältere ein lebendiger Bestandteil jeder Gesellschaft, und jeder von uns, der noch nicht alt ist, wird es irgendwann sein. Und als Zielgruppe weisen Ältere einige Merkmale auf, die sie für Unternehmen sogar noch interessanter und reizvoller machen als Jüngere. Eine wachsende Zahl von Wirtschaftstreibenden hat das bereits erkannt und setzt auf die spezifischen Bedürfnisse Älterer.

Doch wie sehen diese aus? Und welche Chancen ergeben sich daraus?
Das zentrale Kennzeichen schlechthin ist sicherlich die schrittweise Rückentwicklung der Sinnesorgane und der Gesundheit, die allerdings sehr individuell verläuft – so weit, so bekannt. Bemühen wir daher kurz die Statistik für einige Eckdaten. Von den 8,4 Millionen Österreichern sind 23 Prozent über 60
Jahre alt, Tendenz stark steigend: Bis 2030 soll es jeder Dritte sein, prognostiziert Statistik Austria. Das jährliche Nettoeinkommen von Pensionisten beträgt im Schnitt 16.635 Euro, die Spannweite dabei ist groß. Sie reicht von 6.000 bis 27.000 Euro. „Die einzel-nen Einkommensschichten sind extrem unterschiedlich", heißt es bei der Statistik Austria auf Anfrage. Angestellte erreichen mit Ende 50 ihr bestes Einkommensniveau, und andere verlieren genau in dem Alter den Job. Soweit also die nackten Zahlen zur Demografie und dem Einkommen – irgendwie unbefriedigend. Aufschlussreicher sind dagegen die Analysen der Marktforscher.


Alt ist nicht gleich alt

Eine besonders aufschlussreiche Studie heißt „Generation 50 plus" und kommt vom Wiener Fessel GfK Institut für Marktforschung. Für dieses haben Wissenschafter anhand von Befragungen eine Typologie von Personen ab 50 erarbeitet: die der jüngeren und aktiven „Flotten" (19 Prozent), die der familienorientierten „Zufriedenen" (30 Prozent), der genussorientierten „Neugierigen" (29 Prozent) und der „Zurückgezogenen" (21 Prozent). In der Realität kommen diese vier Gruppen natürlich selten in Reinform vor – trotzdem wird eines deutlich: Jene, die am ehesten dem Klischee der „Alten" entsprechen, machen nur ein Fünftel aus. Dagegen bilden jene, die aktiv sind und das Leben genießen, knapp 80 Prozent (siehe Kasten Seite 19). Zahlreiche Unternehmen haben darauf reagiert – allerdings oft, ohne das an die große Glocke zu hängen. Zum Beispiel Kosmetikhersteller, die inoffiziell bestätigen, dass inzwischen ein Drittel ihrer Produktpalette auf ältere Menschen ausgerichtet ist. Das geschieht allerdings oft leiser und unaufdringlicher als die bunten, stark beworbenen Linien für die Jüngeren – denn der Kern ihrer Marken soll jung bleiben.


Das Dilemma mit der Werbung

Einer der großen Kosmetikhersteller ist der Mischkonzern Henkel. Michael Sgiarovello, der in Wien für das Unternehmen tätig ist, bestätigt, wie inhomogen diese Verbraucherschicht ist – und wie attraktiv gerade deshalb für seinen Konzern. „Die Zielgruppe der älteren Menschen gibt es pauschal nicht", erklärt Sgiarovello. „Viele über 60-Jährige sind agiler, aktiver, mobiler als so manch 30-Jähriger. Und umgekehrt sind einige der 30-Jährigen oft aufgrund ihres passiven Lebensstils als ,alt‘ einzustufen." Bei der Ansprache der Älteren muss Henkel freilich ein Dilemma lösen. Sgiarovello formuliert es mit einem Sprichwort: „Jeder möchte alt werden, aber niemand möchte alt sein und auch nicht als alt eingestuft werden." Die Lösung besteht darin, klar und trotzdem behutsam die Eignung eines Produkts für Ältere zu kommunizieren, besser lesbare Etiketten zu gestalten und besondere Inhaltsstoffe zu verarbeiten. Das ist auch beim Kosmetikriesen Beiersdorf nicht anders. Es komme darauf an, sowohl auf physiologische als auch auf altersspezifische Bedürfnisse einzugehen, erklärt Rosemarie Hauptmann, die als Group Brand Manager in Österreich unter anderem für die Marke Nivea zuständig ist. So hätten einerseits Kosmetika für Ältere andere Inhaltsstoffe, etwa mehr Sojaöl und Kalzium für dünneres Haar oder Bestandteile des Granatapfels wegen der Vitamine. Andererseits sei bei der Verpackung wichtig, dass sie klar strukturiert sei und sich einfach öffnen lasse.


Eine Frage der Verpackung

Dass gerade Verpackungshersteller dies meist außer Acht lassen, war diesen Herbst der großen Verpackungsmesse „easyfairs Verpackung Austria 2011" eine eigene Aktion wert. In der Mitte eines Ausstellungsraumes stand dort eine Apparatur mit zwei Handschuhen, die mit Gewichten beschwert und mit Federn abgebremst war. Besucher konnten in diesen Handschuhen ausprobieren, wie schwer es ist, im fortgeschrittenen Alter eine einfache Lebensmittelverpackung zu öffnen. Tatsächlich haben nicht nur 85-Jährige, sondern auch 25-Jährige heutzutage oft Schwierigkeiten, Wurst oder Kekse aus dem Supermarkt ganz ohne Messer auszupacken. „Produkte müssen einfacher zu handhaben sein", fordert deshalb Sgiarovello. „Es geht um die Reduktion von Komplexität. Und das Schöne an dieser Strategie ist ja, dass damit allen unabhängig vom Alter geholfen ist."


Erfolgsrezept Einfachheit

Die Konzentration auf das Wesentliche gehört für Emporia seit jeher zum Kern der Strategie. Der Linzer Hersteller, in ganz Europa absoluter Vorreiter von sogenannten „Seniorenhandys", ist heute eines der besten Beispiele dafür, wie man dank einer gezielten Ansprache Älterer Erfolg haben kann. Denn während Handyhersteller jedes Quartal noch ausgefeiltere und kompliziertere Geräte auf den Markt werfen, stemmt sich Emporia mit seinen Produkten gegen diesen Trend. Die Geräte der Linzer haben meist extra große Tasten, eine gut lesbare Schrift und konzentrieren sich in der Bedienung auf das absolut Wesentliche.
„Wir sind die Handywelt-Vereinfacher", sagt Geschäftsführerin Evelyne Pupeter-Fellner. Als Inspiration diente dem Firmen-
gründer Albert Fellner das Beispiel seiner Mutter, die am mobilen Telefonieren interessiert war, aber mit modernen Handygeräten einfach nichts anzufangen wusste. Also begann er ab 2004, Mobiltelefone speziell für ältere Menschen zu entwickeln. 2007 brachte Emporia seine ersten Spezialhandys auf den Markt.

Danach ging es steil bergauf: Heute beschäftigt der Familienbetrieb 120 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz von rund 50 Millionen Euro pro Jahr. Der Hersteller verkauft in 30 Ländern, von Zypern bis Kanada, jährlich eine halbe Million Geräte und expandiert weiter. Im Jänner werde Emporia auf der weltgrößten Konsumelektronikmesse in Las Vegas den Markteintritt in den USA verkünden, erzählt Pupeter-Fellner. Auch in Russland soll in Kürze der Markteintritt erfolgen. Für diesen Schritt holte der Hersteller den ehemaligen Telekom Austria-Chef Boris Nemsic als Berater an Bord.


Kundenwünsche erforschen

Doch dass hier eine Firma auf Schlichtheit statt Komplexität setzt und damit ihrer Zielgruppe besser entgegenkommt, ist nur ein Teil des Erfolgsgeheimnisses. Der andere ist die Forschung, für die die Oberösterreicher jährlich 14 Millionen Euro ausgeben, sowie Kooperationen mit Universitäten in Linz, Aachen und Cambridge. Tests mit Pensionisten in Österreich oder der
Deutschen Seniorenliga liefern dazu wichtige Anregungen. Das Ergebnis dieser Bemühungen: gleichsam eine zweite
Ebene der Geräte, denn hinter der einfachen Bedienung sind die
Handys in Wirklichkeit doch richtige Minicomputer. Im Fall des Falles können sie einen personalisierten Notruf senden, ihre
Lautsprecher sind mit Hörgeräten kompatibel. Für Technik-
affine steht eine Handykamera bereit. Und die nächsten Modelle
werden den Zuckerspiegel bei Diabetes-Patienten messen kön-
nen.


Alle unter einem Dach

Nicht auf einzelne Bereiche, sondern auf den Alltag als Ganzes zielen Wohngemeinschaften speziell für ältere Menschen. Sie sind etwas anderes als das klassische Pensionistenheim mit seinen oft einzeln und vereinsamt lebenden Bewohnern. In den WGs leisten sich entweder mehrere ältere Menschen im Alltag Gesellschaft, oder Alte und Junge leben hier gemeinsam unter einem Dach. Dabei vermitteln Universitäten bereits länger Wohnformen, in denen Studenten gegen Mithilfe im Haushalt ihre Miete verdienen können. Echte gleichberechtigte WGs zwischen Jung und Alt sind dagegen noch selten, aber auch sie gibt es. Das in Wien erste Projekt dieser Art ist die Generationen-WG Neumargareten im 12. Bezirk. Initiiert hat sie eigentlich eine Jugendorganisation, die Österreichische Jungarbeiterbewegung (ÖJAB). Ausschlaggebend sei gewesen, erklärt Geschäftsführer Christian Rab, dass die früher natürliche und alltägliche Begegnung zwischen den Generationen immer seltener werde. Jungen gehe die Erfahrung und Perspektive der Älteren verloren, diese wiederum liefen Gefahr zu vereinsamen. Genau hier setzt die erste Wiener Studenten Senioren-WG an: In der über 500 Quadratmeter großen Wohnung gibt es 13 Einzelzimmer und drei Doppelzimmer, im Alltag ist die Durchmischung zwischen Jung und Alt, eben eine gelebte Begegnung der Generationen, vorprogrammiert.


Anpassungen möglich

Explizit „kein Seniorenheim" soll auch ein aktuelles Projekt von Raiffeisen evolution sein: In der Trondheimgasse in Wien-Donaustadt hat der Immobilienentwickler 2010 ein Haus mit 87 Wohnungen fertiggestellt, das aussieht wie jedes andere moderne Wohnhaus auch. Die Besonderheiten sieht man erst auf den zweiten Blick: Alle Eingangstüren lassen sich elektrisch öffnen. Klingel, Gegensprechanlage und Lift funktionieren nach dem „Zwei-Sinne-Prinzip", also über akustische und optische Signale. Alle Gänge sind barrierefrei und breit genug für einen Rollstuhl. In den Wohnungen befindet sich neben dem WC ein Abstellraum, die Wand dazwischen lässt sich bei Bedarf problemlos entfernen, um diesen Raum rollstuhlkompatibel zu machen. „Dahinter steht die Idee des barrierefreien Wohnens über Generationen hinweg", so Ernst Kovacs von Raiffeisen evolution. Das Haus als Ganzes genüge also den Ansprüchen mehrerer Generationen, während sich jede Wohnung problemlos an die Anforderungen des Alters anpassen lasse.


Mehr als nur eine Zielgruppe

Kosmetik, Kommunikation und Wohnen sind nur ein kleiner Teil der Beispiele, mit denen Firmen ihre Angebote gezielt auf die besonderen Bedürfnisse einer Zielgruppe ausrichten, die in der Öffentlichkeit oft genug im Hintergrund bleibt oder bestenfalls als kaufkräftige „Best Ager"-Gruppe wahrgenommen wird. Doch genaueres Hinschauen lohnt sich. Nicht nur, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickleln und eine bessere Absetzbarkeit für sie zu erreichen. Sondern auch, um als Unternehmen zur Lebensqualität einer großen und weiter wachsenden Gesellschaftsschicht beizutragen.