„Geld verpflichtet zum Einsatz von Fähigkeiten“

Interview
10.06.2014

Wie verändert sich das Leben, wenn man eines der größten Vermögen des Landes erbt? Millionenerbe Andreas Kaufmann gibt Auskunft.

Interview: Daniel Nutz

Der Empfangsraum in Andreas Kaufmanns Firma ACM wirkt beschaulich. Tiefe Decken, ein halbvolles Wandregal mit Büchern, einige Sammlerstücke zeugen von seiner Fotoleidenschaft. Andreas Kaufmann ist kein Typ, der gerne protzt. Der Millionenerbe und nunmehrige Eigentümer der Luxuskameramarke Leica empfängt uns und nimmt auf einem schlichten Bürostuhl Platz. Ihm gegenüber hängt ein Abzug des von Alberto Korda geschossenen legendären Fotos des kubanischen Revolutionärs Che Guevara. Es stellt eine Referenz für die Qualität der Leica-Fotografie dar – aber auch eine Referenz zu Kaufmanns früherem Leben. Er sei in jungen Jahren ein Revolutionär gewesen, sagt der 60-Jährige. Das war in seiner Jugend und vor der Zeit, in der er durch das Erbe der Kärntner Papierfabrik Frantschach vor der Frage stand: Was tun mit dem Geld?

Herr Kaufmann, macht Geld Sie glücklich?
Geld macht weder glücklich noch unglücklich. Es geht darum, wie man es einsetzt und damit umgeht. Mir bereitet es Glücksmomente, mithilfe des Einsatzes von Kapital gewisse Dinge verwirklichen zu können. Selbstverwirklichung hängt aber keineswegs vom Geld ab. Es geht um die innere Einstellung. Ich kenne Leute, die mit sehr viel Geld sehr unglücklich sind.

Ich habe danach gefragt, weil Sie vor Ihrer Erbschaft als Waldorf-Lehrer tätig waren. Die Waldorfschule vermittelt ja nicht unbedingt die Werte des Kapitalismus.
Fakt ist, dass man in der Waldorfschule zu wirtschaften lernt. Das liegt daran, dass nur ein Teil der Kosten vom Staat getragen wird. Als Lehrer ist man also mit der Erschließung von Einnahmequellen, etwa durch Elternbeiträge, Spenden und diverse andere Aktionen, beschäftigt. Wer an der Waldorfschule lehrt, lernt, mit Geld umzugehen.

Wie hat sich das Erbe auf Ihr Leben ausgewirkt?
Ein Erbvorgang tritt ja nicht von einem Moment auf den anderen ein. Meine Brüder und ich wurden darauf vorbereitet. Durch unsere Erziehung lernten wir, damit umzugehen. Uns wurde beigebracht, dass Geld die Verpflichtung zum Einsatz von Fähigkeiten bedeutet. Dieser Begriff stammt aus der Anthroposophie*. Geld ist also ein Mittel, das einen verbindlichen Charakter trägt.

Hat Sie das Geld verändert?
Geld verändert insofern, als die Verantwortung höher wird. Klar, kann man sich einiges leisten, das man sich vorher nicht leisten konnte. Aber man ist auch verantwortlich für seine Stakeholder. Das sind in meinem Fall die Familie und diejenigen, die am Unternehmen beteiligt sind. Und man hat natürlich die Verantwortung gegenüber den Arbeitsplätzen.

Das klingt danach, als hätten Sie als Waldorflehrer ein angenehmeres Leben gehabt?
Nicht unbedingt. Man steht da um 8 Uhr in der Klasse und muss mit lustigen Pubertierenden eine Art Unterricht zelebrieren (lacht).

Sie sagen, dass Sie bescheiden aufwuchsen. Wie kann man sich das vorstellen?
Geld hat in meiner Erziehung eigentlich keine Rolle gespielt. Leute fragen mich, wann ich meine erste Leica-Kamera gekauft habe. Das war erst 2003. Ich habe bis 1998 eher Wagen der Golfklasse gefahren. Im Heran-
wachsen wurden meine Brüder und ich sehr schlicht gehalten. Das ist gut, weil man den Wert des Geldes schätzen lernt.

Ihre Familie steht für anthroposophisches Unternehmertum. Der Vater war Manager bei Weleda, Ihr Schwager gründete Alnatura, und auch DM-Gründer Götz Werner zählt zum erweiterten Familienkreis. Sehen Sie Ihre Familie in einer Vorreiterrolle, was verantwortungsvolles Unternehmertum anbelangt?
Ich glaube, dass es viel mehr verantwortungsvolle Unternehmer gibt, als man in der Presse lesen kann. Wir sind selbst Mitglied bei FBN, einem Netzwerk von Familienunternehmen, und dort sehe ich überall durch Verantwortung geprägtes Unternehmertum. In diesen Firmen wird da-rüber nachgedacht, wie man mit seinen Mitarbeitern umgeht und welche gesellschaftliche Verantwortung man trägt. Ich glaube, das öffentliche Bild des Unternehmertums ist sehr stark von den Auswüchsen des Managements geprägt.

Wie sieht Ihr Idealbild des Wirtschaftens aus?
Es geht darum, ein Gleichgewicht zwischen seinen eigenen Anforderungen, den Aufgaben des Kapitals und jenen der Mitarbeiter und Kunden zu schaffen. Am Ende des Tages soll dabei ein Gewinn übrigbleiben. Wer auf exzessive Gewinne abzielt, lässt meistens die Kunden oder die Mitarbeiter auf der Strecke.

Menschen, die wie Sie ein großes Vermögen erben, zahlen in Österreich keine Steuern. Ist das gerecht?
Was ist daran ungerecht? Es wird immer darüber gesprochen, dass das geerbte Häusel steuerfrei sein soll. Warum Erben bis zu einer gewissen Grenze steuerfrei sein soll, muss mir aber erst mal wer philosophisch begründen. Steuern bedeuten doch letztlich, dass der Staat einem etwas wegnimmt. Geld, mit dem Leute keinen Konsum bestreiten können. Steuern verhindern den Kaufakt und somit die Freiheit, das Geld auszugeben.

Nun gut, aber der Staat braucht doch Einnahmen, um damit ökonomische und soziale Sicherheit zu schaffen, von der letztlich alle profitieren?
Die Steuern sind in Österreich aber schon so hoch. Jedes Unternehmen kann an Einnahmen und Ausgaben drehen. Das soll auch der Staat tun. Offenbar sind die Kosten der Staatserzeugung in Österreich zu hoch. Alle Steuern müssen immer auf dem Prüfstand stehen. Es gibt nur eine Steuer, die den Kaufakt nicht verhindert. Das ist die Mehrwertsteuer, weil sie erst nachträglich abgezogen wird.

Diese Aussage ist einigermaßen unerwartet für jemanden, der Gründungsmitglied der deutschen Grünen war. Diese treten doch eher für progressive Steuern ein. Reiche sollen demnach mehr zahlen. Ist das nicht Ihre Meinung?
Das tun die Reichen ja auch über die Konsumsteuer. Ich halte die ganze Diskussion für verlogen. Man diskutiert das Thema Steuern mit dem Terminus Gerechtigkeit. Steuern verletzten doch das Eigentum. Was ist die Begründung, jemandem etwas wegzunehmen?

Irgendwo muss das Geld eben hergenommen werden.
Man braucht sich doch nur anzusehen, wie die Dinge in Österreich ablaufen. Wir haben ein Problem, das manche nicht sehen wollen: Wer glaubt, Wirtschaftswachstum mit Steuern fördern zu wollen, ist auf dem Holzweg.

In Deutschland behaupten manche, Sie seien deshalb in Österreich, weil Sie hier weniger Steuern zahlen.
Österreich ist doch ein Hochsteuerland – und zwar in fast jeder Hinsicht. Wenn Sie heute eine Stiftung eröffnen, werden Sie steuerlich bestraft. Die Eingangsbesteuerung beträgt fünf Prozent, dazu kommen die Zwischenbesteuerung und die 25 Prozent bei der Ausschüttung.

Warum sind Sie dann nach Österreich gegangen?
Ein Teil der Familie war immer in Österreich. Das ganze Firmenvermögen lag in Österreich. Die steuerlichen Gründe spielten dabei die gerings-
te Rolle.

Sie haben das Familienunternehmen Frantschach vor zehn Jahren vollständig an Mitbewerber Mondi verkauft. Was war der Grund?
Wir waren als Familie 101 Jahre dabei. Das ist sehr lange. Es gab ein Ausstiegsszenario, auch weil die Papierindustrie sehr kapitalintensiv war. Es war klar, dass wir in einer Industrie etwas machen, die weniger kapitalintensiv ist.

Sie stiegen über Ihre Beteiligungsholding ACM kurz darauf bei Leica ein. Der wohl bedeutendste Hersteller von Luxuskameras war allerdings ein Sanierungsfall, in den Sie viel Kapital zugeschossen haben.
Wir sind ursprünglich noch als zweitgrößter Aktionär neben der Hermes-Versicherung eingetreten. Die Probleme waren anfangs nicht so sichtbar. Ein kompletter technischer Wandel hin zur Digitalfotografie war im Laufen. Wir glaubten, ein Jahr Zeit zu haben für eine sorgfältige Analyse der Situation. Die Zeit hatten wir nicht. Wir haben das Unternehmen schließlich ganz übernommen und wieder auf Kurs gebracht.

Der Weg aus der Krise von Leica erfolgte dadurch, dass direkt in Forschung und Entwicklung investiert wurden. Seit Ende 2011 ist mit dem Investmentfonds Blackstone ein Partner an Bord, der Rendite sehen will. Wie ist hier die Übereinkunft?
Es gibt einen Gewinnabführungsvertrag. Wir investieren nach wie vor reichlich in die Entwicklung. Heute sind wir in der glücklichen Lage, dass danach für beide Seiten noch etwas übrigbleibt.

Vergangenes Jahr beteiligten Sie sich an dem Webservice I-Shot-It.com. Was ist der Reiz an dieser Internetfirma?
Manchmal gibt es Geschäftsideen, die Bedürfnisse von Kunden erkennen. Ich glaube, dass das hier der Fall ist. Jeder fotografiert und kommt irgendwann zur Frage: Was tun mit den Bildern? Die Website bietet eine Möglichkeit, die man im Englischen als Recognition bezeichnet. Wir bieten die Möglichkeit, von Profis eine Bewertung der Arbeiten zu bekommen.

Die Beteiligung ist also ein Versuchsballon?
Die Plattform verdient jetzt schon Geld. Mir geht es darum auszuprobieren, ob das Geschäftsmodell stimmt. Und wenn es stimmt, müssen wir es noch ein wenig weiterdrehen. Allerdings ist ein gewisser Glücksspielcharakter dabei.

Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche?
Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal nehme ich mir Zeit und nehme beispielsweise an einem Oldtimer-Rennen teil.

Das klingt jetzt aber danach, als würden Sie den Reichtum heraushängen lassen.
Für mich sind Oldtimer ein Teil Technikgeschichte. Ich liebe es, sie zu bewegen, weil man dadurch die totale Relativität der Geschwindigkeit erleben kann. Wenn Sie mit einem Auto aus dem Jahr 1932 unterwegs sind und 120 km/h fahren, ist das eine unglaubliche Geschwindigkeit. Das Gefühl macht dann auch dankbar für den technischen Fortschritt. Heute bringt diese Geschwindigkeit doch jedes Elektrogefährt zustande.

Der Oldtimer ist also kein Statussymbol für Sie?
Nein, meine Sammlung funktioniert hier nach anderen Kriterien.

Was halten Sie von sogenannten Neureichen?
Das sind oft sehr clevere und intelligente Menschen, weil sie sonst vielfach nicht zu ihrem Reichtum gekommen wären. Und wenn jemand fünf Ferraris zum Prahlen haben will, ist das ja volkswirtschaftlich auch okay. Er sichert rund um Maranello sicher viele italienische Arbeitsplätze in der ganzen Zulieferindustrie.

Haben Sie sich schon einmal gedacht, sich mit dem vielen Geld ein schönes Leben zu machen und nichts mehr zu arbeiten?
Wenn man mit Arbeitsethos erzogen wurde, denkt man darüber nicht nach. Der Drang, darauf hinzuarbeiten, um irgendwann die Beine hochzulegen, ist für mich Denke aus den 1950er-Jahren. Nach dem Motto: Draufhauen wie verrückt und dann die Rente genießen. Das ist doch nicht sinnvoll. Da bin ich in der Pension, lege die Beine hoch und bekomme Krampfadern. Was soll das?

*eine spirituelle Weltanschauung, die den Menschen in seiner Beziehung zum Übersinnlichen betrachtet. Die Lehre verbindet dabei Elemente des deutschen Idealismus, der Weltanschauung Goethes, der Gnosis, fernöstlicher Lehren sowie der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und geht auf Begründer Rudolf Steiner (1861–1925) zurück.