Bitte warten!

Zeit
01.12.2016

Warten hat ein verdammt schlechtes Image. Warten ist definitiv unsexy, ja scheinbar wertlos. Warten bringt nichts, sondern kostet nur – Zeit, Geld, Nerven. Jedenfalls in einer eiligen Multioptionsgesellschaft. Selbige kann und will nicht warten, zumal es am Buffet der zig Möglichkeiten so viel zu erleben und erledigen gibt. Aber so einfach oder einseitig ist die Sache dann doch nicht.

Warten müssen ist einerseits eine subversive Antwort der Zeit auf unseren Hektik-Modus. Sie lässt uns immer öfter im Stau stehen oder im „rasenden Stillstand“ (P. Virilio) verharren. Andererseits kann das Warten aber mitunter auch eine besondere Zeitqualität offenbaren. Oder um mit dem Philosophen Stefan Gosepath zu sprechen: „Wenn wir das Warten verlernen würden, wäre das ein kultureller Verlust.“ Umso lohnender ist es, das Warten etwas differenzierter zu betrachten und so ihm vielleicht sogar unerwartet positive Seiten abzugewinnen. 

Nur keine Zeit verlieren

„Bitte warten! Was lösen diese zwei Worte spontan in Ihnen aus? Eher Unruhe, Unlust, Ungeduld? Ja Ärger, mitunter Aggression? Oder ein neutrales bis abwartendes „Ähm“? Vielleicht Gleichgültigkeit? Oder doch positive Anspannung, gar entspannte Gelassenheit? Die Fraktion der Gelassenen dürfte wohl äußerst überschaubar sein. Ein Minderheitenprogramm, knapp an der Wahrnehmungsgrenze. Hingegen scheinen etwa nervöse Drängler vor Supermarktkassen, die schon eine Mini-Warteschlange als Zumutung empfinden, inflationär zuzunehmen. Kein Wunder, wird uns doch allerorten das pure, pausenlose Gegenteil von Geduld suggeriert: Nur keine Zeit verlieren! Alles noch früher, schneller, mobiler. Wer rennt, fleucht und keucht, ist ein Winner. Wer hingegen schleicht oder verlangsamt, ist ein ärgerliches Hindernis, das sich schleunigst schleichen soll. Und alles, das dauert, ist schlicht übel. Ein unerträglicher Zeitverlust, den es umgehend auszutricksen gilt. Da kommen diverse Beschleunigungsprothesen gerade recht. 

Die dunkle und helle Seite des Wartens

Warten ist an sich eine widersprüchliche Angelegenheit. Nicht nur, dass es naturgemäß unterschiedlich (kurz oder lang) empfunden wird oder gemeint sein kann. In vertrauten Floskeln wie „Geh, warte einmal schnell!“ oder „Warte bitte, nur eine Sekunde!“ mag das deutlich werden. Wissend, dass wohl die eine schnelle Sekunde niemals reichen wird und zur „Gummisekunde“ mutiert. Warten hat zugleich auch dunkle und helle, verdrießliche und erbauliche Seiten. Anzunehmen, dass sie uns allen mehr oder weniger vertraut sind. Das Dunkle, mitunter Belastende wird deutlich, wenn wir etwa auf etwas hin warten müssen, dessen Dauer, Ausgang oder Konsequenz unsicher ist. Beispielsweise früher in der Schule oder später beim Studium, wenn wir auf Ergebnisse wichtiger Prüfungen warteten. Oder Konflikte, schwierige Aufgaben, die nicht und nicht enden wollen. Oder wenn wir krank sind und auf Heilung oder ein ärztliches Attest warten.

Die helle, erbauliche Seite zeigt sich meist eher schüchtern, zögernd. Denn Warten klingt zunächst eher passiv. Ist es auch – jedenfalls vordergründig. Aber siamesisch gepaart mit Geduld kann es ein äußerst aktiver (innerer) Prozess sein, der am Ende belohnt wird. Etwa mit einem unbändigen Erfolgs- oder Zufriedenheitsgefühl. Ja mitunter sogar mit Euphorie und purem Glücksgefühl. Oder wie es die Schauspielerin Anna Magnani trefflich formulierte: „Das Schönste im Leben ist nicht die Erfüllung, sondern die Erwartung der Erfüllung.“

Hinweis: Der Artikel ist ein gekürzter, abgeänderter Auszug aus dem ab Dezember 2016 erhältlichen Buch Tempo all´arrabbiata