„Zurück zur Natur“ funktioniert nicht
INTERVIEW: STEPHAN STRZYZOWSKI
Wenn man sich die Liste der 20 innovativsten Länder auf dem Global-Innovation-Index ansieht, sind nur acht europäische Länder darunter. Österreich ist keines davon. Es gibt auch andere Rankings, bei denen Österreich besser abschneidet. Doch die Frage, warum wir nicht weiter oben platziert sind, ist durchaus berechtigt.
Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Es gibt mehrere Ursachen. Das Land ist zum Beispiel relativ stark reguliert. Die Rahmenbedingungen sind für junge Unternehmen, aber auch für etablierte nicht gerade einfach. Wir haben zudem einen unzureichend entwickelten Venture-Capital-Markt. Er ist extrem stark von der öffentlichen Hand geprägt.
Ist es nicht gut, dass zumindest diese Mittel zur Verfügung stehen? Wenn die Pre-Seed- und Seed-Phase von der öffentlichen Hand unterstützt werden, ist das in Ordnung. Nur ist es generell ein Armutszeichen, wenn die öffentliche Hand in einem überproportionalen Ausmaß Venture Capital zur Verfügung stellen muss. Ein weiterer Grund, warum wir nicht innovativer sind: Wir haben einen zu kleinen Heimmarkt. Und unsere Mentalität beim Thema Scheitern lässt extrem zu wünschen übrig.
„Wenn wir auf der Welt erfolgreich sein wollen, dann schaffen wir das nur als Europa.“
Inwiefern? Bei uns ist Scheitern nur mit Versagen verbunden. In Wahrheit bedeutet es aber zu lernen, und genau damit triggert man Innovation.
An der Größe des Marktes können wir nichts ändern. Die anderen Faktoren sind allerdings nicht in Stein gemeißelt. Wo sehen Sie realistische Chancen auf Verbesserung? Ich glaube, dass sich die Kultur verändern muss. Wenn man in ein Unternehmen investiert, hat man eine überproportionale Chance, aber auch ein höheres Risiko. Bei uns erfolgt aber sofort der Ruf, dass man so ein Risiko staatlich absichern muss. Ich sage aber: Venture Capital ist Venture Capital. Wenn der Hebel groß ist, muss man auch akzeptieren, dass die Investition weg sein kann.
Mit der Aussicht auf ein hohes Risiko wird man die breiten Massen aber kaum begeistern können. Man könnte solche Investitionen aber fördern, indem man Ausfallsgarantien gibt. Oder man hebelt über Steuereffekte. Aber einfach nur Prämien auszuschütten, wie es bei uns gemacht wurde, das ist absurd.
Aufgrund der nicht vorhandenen Zinsen wären Investitionen in innovative Vorhaben gerade durchaus attraktiv. Warum kommt nicht mehr in Gang? Selbstverständlich bietet sich das gerade an. Da zeigt sich aber genau die Mentalität. Wenn ein ehemaliger Bundeskanzler sagt, das Beste sei immer noch das Sparbuch, er kaufe sich auch keine Aktien, dann braucht man sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung entsprechend agiert.
In Österreich werden circa 65 Prozent der Forschungsausgaben von den Unternehmen selbst getragen. Bräuchten wir in diesem Bereich höhere staatliche Ausgaben oder sind Sie mit der Forschungsquote zufrieden? Vier Prozent sind okay. Ich bin aber kein Quoten-Fetischist. Es geht um den Output und nicht um den Input. Die Quote ist also nicht so wichtig. Sie sagt nämlich nichts darüber aus, wie gut die Mittel eingesetzt sind.
Sind Sie denn gut eingesetzt? Nein. Noch wichtiger wäre es aber, zunächst einen langfristigsten Pfad zu definieren. Die Forschungseinrichtungen sollten nicht jedes Jahr zittern müssen, ob es sich es ausgeht oder nicht. Wir brauchen dringend ein Forschungsfinanzierungsgesetz.
„Das Silicon Valley ist um nichts besser als europäische Innovationshubs.“
In welchen Bereichen ist Österreich aus Ihrer Sicht technologisch konkurrenzfähig oder kann sogar eine Führungsrolle übernehmen? Wir beheimaten ungefähr 160 Hidden Champions, die auf ihrem jeweiligen Gebiet Weltspitze sind. Bei diesen Unternehmen liegt ein enormes Potenzial. Wenn man an Branchen denkt, schlagen wir uns bei Life Science, Mobilität und im Maschinenbau besonders gut.
Lassen sich in den Bereichen Innovation beziehungsweise Forschung und Entwicklung heute noch mit nationalen Alleingängen echte Verbesserungen erzielen, oder müsste das Thema stärker auf europäischer Ebene gedacht werden? Vor allem in Abgrenzung zu China und den USA. Man muss natürlich über nationale Grenzen hinausdenken. Wenn wir auf der Welt erfolgreich sein wollen, dann schaffen wir das nur als Europa. Ich habe allerdings weniger Bedenken bei den USA. China macht mir größere Sorgen. Das Land ist keine Marktwirtschaft. China ist eine kapitalistische Diktatur. Und eines ist klar: Die haben ganz andere Möglichkeiten als wir. Nicht, dass ich sie möchte, es ist aber so. Die USA sind uns in manchen Bereichen weit voraus; mit Amazon, Google und Facebook. Da brauchen wir nicht hinzugreifen.
Wo können wir denn ansetzen? Ich bin naturgemäß davon überzeugt, dass wir unseren Schwerpunkt auf die Industrie legen müssten. Das ist unsere Stärke in Europa. Gleichzeitig müssen wir prüfen, wie wir das, was die USA entwickeln, optimal einsetzen können.
Haben Sie ein Beispiel dafür? Denken Sie an künstliche Intelligenz. Algorithmen gibt es bereits ohne Ende, auf die man aufsetzen kann. Da müssen wir nicht mehr in die Tiefe entwickeln. Jetzt geht es um deren konkrete Anwendungen.
Weltweit gibt es rund 3.000 Hidden Champions, in der D-A-CH-Region sind es circa 1.300. Am meisten kommen Jahr für Jahr im Silicon Valley dazu. Was können wir uns von USA abschauen? Das Silicon Valley ist um nichts besser als europäische Innovationshubs. Und die Menschen sind dort auch nicht intelligenter als hier. Aber: Die Rahmenbedingung sind andere. Dort gibt es den Mut, Dinge auszuprobieren, zu scheitern und zu lernen und eine enorme Akkumulation von Venture Capital.
In den USA investieren auch Militär und die Onlineplattform- Giganten enorme Summen in die universitäre Forschung. Sollte sich, aus Ihrer Sicht, die Forschung auch in Österreich stärker der Wirtschaft öffnen? Als Humanist sage ich: Die Freiheit der Forschung ist ein hohes Gut. Die USA entwickeln viel über Programme der Raumfahrt und des Militärs. Auch in Israel ist das so. Aber ist das gut? Ich habe da meine Zweifel. Die Vernetzung zwischen Unternehmen, Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen funktioniert bei uns bereits gut. Aber zwischen den Forschungseinrichtungen geht es sicher noch besser. Es würde auch Sinn ergeben, manche Kompetenzen zu konzentrieren. Medizin muss nicht an jeder Uni angeboten werden. Wenn es uns gelingt, die Synergien zwischen den Unis zu nutzen, dann wird auch die Sichtbarkeit höher, und damit steigt auch das finanzielle Interesse.
Wenn man sich ansieht, welche Unis global die 20 Top- Plätze belegen, bemerkt man eine massive Dominanz der USA: Sie belegen elf Plätze, Großbritannien spielt auch vorn mit sowie die Schweiz, China und Singapur. Haben Sie eine Idee, wie wir hier vom Fleck kommen? Ich gebe auf solche Rankings nichts. Denn: Man muss sich überlegen, was die Kriterien dafür sind. Oft sind es Faktoren wie das Betreuungsverhältnis oder die Anzahl der Publikationen. Das sagt wenig über die Qualität der Ausbildung aus.
Unstrittig dürfte aber sein, dass Österreich viel Geld in Bildung investiert, aber wenig dabei herauskommt. Entsprechend präsent war das Thema auch im Wahlkampf. Welche Gefühle entstehen bei Ihnen als Unternehmer, wenn Sie die verschiedenen Konzepte hören? Sehr gemischte. Aber eines vorweg: Unser Problem sind nicht die Unis. Die Herausforderungen beginnen ganz unten im Pflichtschulwesen. Da produzieren wir die Arbeitslosen der Zukunft. Was wir dort nicht rausbekommen, bekommen wir auch nicht in die Unis rein. Der Unterbau muss also reformiert werden. 42 Prozent der Schüler erreichen nicht die geforderten Standards und nur 27 Prozent liegen drüber. Das ist ein Schreckensbild. 20 Prozent können nach dem Schulabschluss nicht sinnerfassend lesen.
Was soll die Politik tun? Sie sollte endlich die Entpolitisierung des Schulwesens angehen. Ein neues Trägermodell wäre der Schlüssel. Im Wahlkampf sehe ich durchaus KonzepKonzepte, die unseren Ideen recht nahe kommen. Etwa die Idee einer gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen, einer Bildungspflicht statt Schulpflicht, der Ganztagsschule, der Wille, föderale Strukturen einzudämmen. Und: Aus meiner Sicht sollten Standards und Kontrollen Bundessache sein.
Am Ende tut sich oft, obwohl alle wissen, was getan werden muss, recht wenig. Kann und muss die Wirtschaft die Herausforderungen am Ende selbst lösen? Wie machen Sie das mit Ihrem Unternehmen? Die Wirtschaft ist daran gewöhnt, immer Workarounds zu bauen. Das sollte aber nicht dazu führen, dass die Politik nichts mehr tut. Denn das würde vor allem viele KMU treffen. Die großen Betriebe können es sich leisten, Netzwerke aufzubauen. Aber KMU nicht. Unsere Wirtschaftsstruktur ruft nach Unterstützung der öffentlichen Hand.
Aktuell liegen viele große Herausforderungen wie der Klimawandel vor uns, und man fragt sich: Wer wird sie lösen? Denken Sie, dass die Industrie ihre Innovationskraft jetzt auch stärker auf solche Bereiche fokussieren muss? Ich bin überzeugt, dass sich diese Herausforderung nur technologisch lösen lassen. „Zurück zur Natur“ funktioniert nicht. Die Industrie ist aufgerufen, Lösungen zu suchen. Das tut sie auch und zwar aus gesellschaftlicher Verpflichtung und aus Eigennutz. Ohne Gewinn zu machen, geht’s nicht. Der Klimawandel ist eine enorme Herausforderung, und die Industrie wird Treiber von Lösungen sein. Wie sie es auch bislang war.
War sie das? Natürlich! Ohne Industrie gäbe es zum Beispiel keine Biomassekraftwerke und auch keine Solarenergie. Zugegebenermaßen wurde in diese Entwicklungen auch aufgrund gewisser Gruppen der Gesellschaft, die Druck gemacht haben, investiert. Die Innovationsleistung kam aber von der Industrie.