Wann Online-Kurse ein Plus sind – und wann nicht

Aus- und Weiterbildung
15.06.2022

 
Viele Unternehmen halten Online-Kurse für die perfekte Lösung, um den Umsatz und oder die Wirkung der eigenen Botschaft zu steigern. Im Prinzip richtig. Tom Freudenthal, Spezialist für Onlinekurse, erklärt in einem Gastbeitrag worauf es ankommt.
Online Kurs

Mit einem Online-Kurs verhält es sich wie mit dem Foto von einem Fluss: Es ist eine Momentaufnahme. Wie das Foto Wasserstand und Breite zum Zeitpunkt der Aufnahme zeigt, so repräsentiert der Kurs den Stand der Kompetenz des Anbieters zum Zeitpunkt der Produktion. Deshalb ist es wichtig, schon vor der Konzeption und Produktion eindeutig zu wissen, wo man mit der eigenen Expertise steht. Ist die Kompetenz groß genug? Wie viel Erfahrung gibt es mit der Vermittlung von Wissen? Auch über die spätere Verbreitung sollte man sich bereits im Vorfeld Gedanken machen.

Mythos Nummer 1: Jeder kann Online-Kurs

Wer zum Beispiel gerade erst anfängt, das eigene Wissen im Einzelcoaching weiterzugeben, der sollte erst nach mindestens zehn Coachings über einen Kurs nachdenken. Im direkten Gespräch mit den Kundinnen und Kunden lernt man am besten, welche Art der Vermittlung des eigenen Wissens gut funktioniert. Man kann auf Schwierigkeiten beim Lernen direkt eingehen, auf die Teilnehmer eingehen – im Online-Kurs geht das nicht mehr.

Einen guten Kurs kann nur gestalten, wer sich darüber im Klaren ist, was er vermitteln will, wie er das sinnvoll tun kann und welches Lerntempo funktioniert. Erst dann kann ein Kurs so funktionieren, dass die Mehrheit der Teilnehmenden erfolgreich lernen kann. Wer glaubt, nett in die Kamera lächeln und gut sprechen zu können, reiche aus, der irrt.

Mindestens ebenso wichtig wie die geeignete Lehrmethode für den zu vermittelnden Stoff ist die absolute Sicherheit in diesem Stoff. Anders ausgedrückt: Nur wer eine wirklich tiefe Expertise hat, sollte Online-Kurse produzieren.

Mythos Nummer 2: Das geht doch schnell

Um noch mal auf das Foto vom Fluss zurückzukommen: Ein Bild ist schnell gemacht. Ein Online-Kurs nicht.

Als erstes muss man sich darüber Gedanken machen, wer erreicht werden soll. Wer ist mein Wunschteilnehmer, meine Wunschteilnehmerin? Was brauchen diejenigen, für die ich den Kurs anbiete? Und was nicht? Wie sind sie emotional zu erreichen? Welche Lösung kann genau dieser Online-Kurs ihnen bringen?

Irgendwann sind die Wunschkunden skizziert, das Ziel ist klar, ist der erste wichtige Schritt getan.

Dann fängt die Arbeit erst an: Die Inhalte müssen ausgewählt, die Struktur gefunden werden. In welcher Reihenfolge sollten die Inhalte präsentiert werden? Wie formuliert? Welche Form der Präsentation ist die beste, welches Material? Wie kann Überforderung ebenso vermieden werden wie Langeweile?

Auch das ist geschafft. Dann geht es um die Technik. Zu einem modernen Online-Kurs gehören Videos. Gutes und freies Sprechen vor der Kamera ist gefragt. Doch damit nicht genug, das Video muss geschnitten und gerendert, also für die Wiedergabe auf verschiedenen Geräten umgewandelt werden. Wer für die technische Umsetzung nicht selbst kompetent ist, braucht dabei Hilfe, ebenso wie bei der der Einbindung der verschiedenen Lehrmaterialien und beim Integrieren des Kurses in eine Plattform für die Auslieferung.

Mythos Nummer 3: Die Teilnehmer kommen von allein

Alle Voraussetzungen sind erfüllt? Starke Expertise vorhanden, Wunschteilnehmer ausgemacht, Inhalte ausgewählt, Struktur erstellt, technische Seite geregelt? Dann kann es doch losgehen. Ab in die Produktion, dann auf den Markt und der Online-Kurs geht durch die Decke. Oder? Nur dann, wenn er auch gut vermarktet wird. Sonst ist er einfach nur da. Wie ein Rolls Royce in der Garage, den man nicht fährt und von dem nur man selbst weiß, dass er überhaupt in der Garage steht.

Es gilt, Reichweite aufbauen, den Kurs bekannt zu machen. Gibt es bereits einen Conversion-Mechanismus, der genutzt werden kann, um ihn zu verkaufen oder firmenintern mit Teilnehmenden zu füllen? Wenn nicht, ist es jetzt allerhöchste Zeit, sich darum zu kümmern.

Wenn alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind, dann kann ein Online-Kurs ein enormer Erfolg werden. Dann erreicht man mit der eigenen Botschaft und den eigenen Inhalten mehr Menschen, als es im direkten Kontakt je möglich gewesen wäre.

Über den Autor:

Seit mehr als vierzig Jahren beschäftigt sich Tom Freudenthal mit Didaktik und hat 2001 das Speed-Learning-System Centered Learning entwickelt.