Zug um Zug
In Zeiten restriktiver Nichtraucher- schutzgesetze ein Tabakunternehmen zu gründen mag eine verwegene Idee sein. Der Tullner Unternehmer Christian Mertl traute sich trotzdem.


Text: Daniel Nutz
Angst müssen nur seine Konkurrenten haben. Denn Christian Mertl ist selbst ein furchtloser Zeitgenosse. Zumindest sagt er das über sich selbst. Erkennen kann man das aber auch, wenn man dem 55-jährigen Mann mit Glatze und Hufeisenbart ins Gesicht schaut. Einst schlug er sich als Amateurboxer durch, wurde sogar Wiener Landesmeister. Später jobbte er tagsüber als Tankwart, um abends an der Wirtschaftsuniversität Wien Marketing und Verkauf zu büffeln. Er träumte von einem Job bei einer der Agenturen in der New Yorker Madison Avenue, als ihn Mitte der 1980er-Jahre der Ruf des damaligen österreichischen Tabakmonopolisten ereilte. Zunächst war der Nichtraucher Mertl von Karriereaussichten in der Tabakbranche gar nicht angetan. Der legendäre Austria-Tabak-Chef Beppo Mauhart hatte aber einen besonderen Köder am Haken. Er bot dem passionierten Fallschirmspringer Mertl nämlich die Möglichkeit, bei einem von der Zigarettenmarke Memphis gesponserten Fallschirmspringerteam mitzutrainieren. So heuerte Mertl an, machte schnell Karriere, wurde Marketingleiter und hatte bis 2004 zwölf osteuropäische Märkte zu verantworten.
Start ins Unternehmertum
Heute sitzt Mertl in dem spartanisch eingerichteten Büro in seiner Firmenzentrale in Tulln. Vor sieben Jahren hat er begonnen, über seine Firma M-Tabak die eigene Billigzigarette O’Nyle zu verkaufen – die einzige verbliebene österreichische Marke. Seinen gutdotierten Beamtenjob bei der mittlerweile in japanischen Händen stehenden Austria Tabak hatte er an den Nagel gehängt, um sich selbst unternehmerisch zu verwirklichen. Mertl macht es nichts, dass er heute seinen Chefsessel neben Stapeln von Zigarettenkartons aufstellen muss. Er ist kein Typ, der Wert auf Luxus legt. Klarerweise würde er heute weniger hofiert als früher, erzählt er. Doch das sei ihm und seiner Frau, die ihm bei seiner Entscheidung unterstützte, egal. Ihm ging es darum, nochmal richtig durchzustarten und unternehmerisch die Dinge eigenverantwortlich durchzuziehen. „Durch die Änderung der Eigentümerverhältnisse bin ich bei meinem früheren Arbeitgeber in meinem Aufgabenbereich immer mehr beschnitten worden. Ich konnte meine Ideen nicht mehr hundertprozentig umsetzen“, erklärt Mertl seine Beweggründe für den Schritt in die Selbstständigkeit, während er seine Lagerhalle präsentiert.
Kein Powerpoint
Drei Mitarbeiter hat er in seiner Firma. Da heißt es auch für den Chef: anpacken. Aber das ist kein Problem, denn Mertl packt gern an. „Die vielen internen Powerpointpräsentationen, die ich in meinem vorigen Job in irgendwelchen osteuropäischen Nobelhotels machte, verkauften doch keine einzige Zigarette“, meint Mertl süffisant. Bei M-Tabak lebt man auch ohne Meetings und Präsentationen ganz gut – und seit dem Markteintritt 2005 auch erfolgreich. Binnen weniger Monate verschaffte er sich mit seiner Billigmarke am Markt Gehör.
Die Chance des Kleinen
Der Weg zum Erfolg ist bei M-Tabak ein geradliniger: Man versucht im Wettbewerb mit den Konzernen gezielt die Flexibilität eines Kleinunternehmens auszuspielen. Konkret heißt das, dass Mertl flexibles Kundenservice bietet. Braucht ein Trafikant etwa kurzfristig Nachschub, ist das bei den großen Vertrieben meist nicht möglich. Anders bei Mertl, der bei der Auslieferung nicht auf eigene Logistik setzt, sondern mit der Post kooperiert. Jede Bestellung ist somit im Normalfall schon am nächsten Tag bei der Kundschaft. Ein weiteres Argument für den Kleinunternehmer ist die Möglichkeit, schnell auf Kundenwünsche zu reagieren und regionale Projekte umsetzen zu können. Die Realisierung solcher Mikroprojekte macht Mertl sichtlich Spaß. Stolz legt er eine im Edelweisdesign gebrandete Packung auf den Tisch. Es handelt sich um eine Regionalmarke für die Trafikanten im Gebiet des Nationalparks Gesäuse. „Die sind dort so beliebt, dass auch schon manche Wiener Trafikanten sie ins Sortiment aufnehmen“, berichtet der Tabakunternehmer. Er kann solche Projekte auch deshalb verfolgen, weil er in Luxemburg mit einem Produzenten kooperiert, der für ihn auch in Kleinserien produziert. Die Herstellung in Österreich kam übrigens nie infrage: Der Zigarettenmarkt sei auf Herstellerseite bereits so stark konzentriert, dass es quasi unmöglich sei, als Kleinfabrikant selbst zu marktfähigen Preisen zu produzieren.
Saisonale Schwankungen
Leben lasse es sich in der Branche gut, versichert Mertl. Konkrete Geschäftszahlen will er freilich keine nennen, auch das schätzt er am Kleinunternehmertum gegenüber seinem früheren Job bei Austria Tabak. Klar ist aber auch, dass das Geschäft nicht einfacher wird. Jede Novellierung des Nichtraucherschutzes ist in den Absatzzahlen erkennbar. „Früher waren die Verkaufszahlen über das Jahr hinweg konstant. Heute verzeichnen wir einen Einbruch, wenn die Schanigartensaison endet“, erklärt Mertl.
Hinzu kommen noch die legalen wie illegalen Auslandsimporte, die etwa ein Fünftel des heimischen Marktes ausmachen. Nicht nur deshalb versucht sich der gebürtige Wiener in einem anderen Branchensegment. Nachdem M-Tabak einige Erfahrung im Vertrieb von Nobelzigarren sammelte, beschloss Mertl mit „Luke’s“ seine eigene Brand auf den Markt zu bringen. Neben dem Vorteil, die Gewinnmarge selbst bestimmen zu können, wollte er einfach seine eigene Marke in den Läden sehen, gesteht der Marketingexperte Mertl auch durchaus narzisstische Beweggründe für das Experiment ein. Bei einem Verkaufspreis von 16 Euro pro Stück für das in der Dominikanischen Republik gefertigte Produkt passt aber auch die Gewinnspanne. Entgegen dem Trend zu Billigware bei Zigaretten lassen sich Zigarrenliebhaber ihr Laster nämlich gern etwas mehr kosten. Es handelt sich dabei um eine sehr genussaffine Kundenschicht, die hierzulande etwa 1990 analog mit der Wein- und Whiskykultur entstanden ist.
Die Idee für danach
Wenn man Mertl bei der Arbeit zusieht, bekommt man nicht den Eindruck, dass der 55-Jährige an seiner Tätigkeit etwas ändern will. Die Selbstständigkeit biete gegenüber seinem alten Leben einige Vorteile. Da er nur mehr in Österreich operiert, erspare er sich die vielen Geschäftsreisen. Die Korrespondenzen mit seinen Produzenten aus Luxemburg oder der Karibik laufen größtenteils über Glasfaserleitungen ab. „Am Nachmittag ist mein Arbeitstag gelaufen“, grinst Mertl und lässt sich in seinem Bürosessel zurückfallen. Was bleiben da noch für Wünsche offen? Vielleicht, dass einer der großen vier Tabakkonzerne anklopft und ihm eine Vertriebspartnerschaft anbietet – oder vielleicht für M-Tabak ein lukratives Kaufangebot macht. Auch in diesem Fall würde ihm nicht langweilig werden. Unlängst eröffnete er in Tulln eine kleine Motorbootschule. Er könnte sich gut vorstellen, einmal all seine unternehmerische Energie in dieses neue Projekt zu stecken.