Unternehmenswandel

Reorganisation am laufenden Band: Das „neue Normal“?

Georg Kraus, Henning Werne
08.07.2025

Viele Unternehmen haben Routinen für Changeprojekte zur Kosten- und Effizienzsteigerung entwickelt. Schwieriger wird es durch den wachsenden Reorganisationsbedarf und die veränderten Ziele und Charaktere der Projekte – das zeigt eine Online-Befragung von Führungskräften.

Die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns der Unternehmen verändern sich immer rascher – und zwar kontinuierlich. Und dies wird auch künftig so sein. Als Beleg hierfür seien hier nur die Stichworte KI, neue Weltordnung und demographischer Wandel genannt. Deshalb finden in den Unternehmen zurzeit so viele Reorganisationsprojekte wie noch nie statt – meist mit dem übergeordneten Ziel, die Marktfähigkeit des Unternehmens wieder herzustellen, mittel- und langfristig zu bewahren oder gar zu steigern.

Diese Projekte haben stets eine hohe Relevanz für den künftigen Erfolg der Unternehmen. Darum wollten die Unternehmensberatung Kraus & Partner und das IfUS Institut an der SRH Hochschule Heidelberg wissen,

  • welche Erfahrungen die Unternehmen in den zurückliegenden Jahren mit solchen Projekten gesammelt haben und
  • wie sie den künftigen Change- bzw. Reorganisationsbedarf einschätzen.

Reorganisationsprojekte gehören zum Unternehmensalltag

Deshalb führten sie eine Panel-Diskussion mit einer integrierten Online-Befragung zum Thema Reorganisation durch, an der 183 Führungskräfte von Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden aus den unterschiedlichsten Branchen teilnahmen. Die Befragung der zumeist auf der mittleren und oberen Führungsebene von Unternehmen angesiedelten Führungskräfte ergab unter anderem, dass 29 Prozent von ihnen in den letzten drei Jahren eine, 46 Prozent zwei bis drei und 25 Prozent sogar vier und mehr Reorganisationen erlebt haben. Dies zeigt: Dass in den Unternehmen parallel zum laufenden Betrieb Reorganisationen erfolgen, ist inzwischen – zumindest in größeren Organisationen – keine Ausnahmesituation mehr. Es ist das „neue Normal“.

Ertragssteigerung ist meist das primäre Ziel der Projekte

Im Rückblick äußerten die Befragungsteilnehmer*innen, dass das Gros der Reorganisationsprojekte auf

  • eine Kostensenkung (71,6 Prozent),
  • eine Produktivitätssteigerung (63,4 Prozent) bzw.
  • eine Umsatzsteigerung/Markterweiterung (54,6 Prozent)

abzielten. Solche Ziele wie

  • Qualität/Kund*innenzufriedenheit (30,0 Prozent),
  • Mitarbeiter*innenzufriedenheit/Fluktuationsquote (17,5 Prozent),
  • Innovationsfähigkeit (z. B. neue Produkte/Services – 31,7 Prozent),
  • Unternehmenskultur (38,3 Prozent) und
  • Digitalisierung (39,4 Prozent).

spielten hingegen eher eine sekundäre Rolle bzw. hatten eine dienende Funktion bezüglich solcher angestrebten Ziele wie Kostensenkung sowie Produktivitäts- und Umsatzsteigerung. Auffallend ist dabei: Ein Steigern der Mitarbeiter*innenzufriedenheit und Senken der Fluktuationsquote wurde am seltensten als Ziel genannt trotz der seit Jahren anhaltenden Diskussion über das Thema Fachkräftemangel.

Den Gesamterfolg der zuletzt in ihren Unternehmen durchgeführten Reorganisationen „gemessen an den definierten Zielen“ bewerteten die Befragungsteilnehmer*innen auf einer Fünfer-Skala (1 = mangelhaft/minimal; 5 = sehr gut/exzellent) gemittelt mit 3,45 – also zwischen befriedigend und gut. Die befragten Führungskräfte stuften den Erfolg der in ihren Organisationen durchgeführten Reorganisationsprojekte also deutlich höher ein, als dies die meisten Studien suggerieren: Sie kommen häufig zum Schluss, dass beim Gros der Projekte die Ziele nicht oder nur teilweise erreicht werden.

Zentrale Erfolgsfaktoren: Kommunikation und Engagement des Managements

Als zentrale Erfolgsfaktoren nannten die Führungskräfte (Mehrfachnennungen möglich)

  • eine klare und regelmäßige Kommunikation (78,4 Prozent),
  • eine Unterstützung und ein aktives Engagement des Top-Managements (75,2 Prozent),
  • einen Einbezug der Mitarbeitenden und Führungskräfte (69,8 Prozent),
  • eine klare Rollen- und Aufgabenverteilung (64,4 Prozent) und
  • ein erfolgreiches Change-Management (48,7 Prozent).

Auffallend ist dabei, dass den Einflussfaktoren „ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen“ (41,2 Prozent), „realistische Zeit- und Budgetplanung“ (32,8 Prozent) und „professionelle Projektmanagementorganisation (PMO – 23,8 Prozent)“ eher eine geringe Bedeutung beigemessen wird.

Als zentrale Faktoren, die zum Misserfolg von Reorganisationsprojekten führen, wurden hingegen genannt:

  • unklare oder widersprüchliche Zielsetzung (86,9 Prozent),
  • mangelhafte Kommunikation 84,7 Prozent),
  • Parallelität von Reorganisation und Alltagsgeschäft (72,4 Prozent),
  • fehlende und unklare Zuständigkeiten 65,8 Prozent) sowie
  • Widerstände in der Organisation (56,6 Prozent).

Eher selten scheint die Ursache der Misserfolge jedoch ein schlechtes Change-Management zu sein (25,5 Prozent). Dies mag auch daran liegen, dass zumindest die größeren Organisationen in den zurückliegenden Jahren bereits viel Erfahrung im Managen von Change-Projekten, die primär auf eine Kostensenkung und Produktivitätssteigerung abzielen, gesammelt haben.

Bewältigung der Alltagsarbeit hat meist Priorität

Auffallend ist jedoch, wie oft die „Parallelität von Reorganisation und Alltagsgeschäft“ als zentraler Misserfolgsfaktor von Reorganisationsprojekten genannt wird. Die damit verbundene „Doppelbelastung“ führt, wie unter anderem die Panel-Diskussion zeigte, häufig zu einer Überlastung bzw. Überforderung insbesondere der Führungskräfte und Mitarbeiter*innen auf der operativen Ebene und einer falschen Prioritätensetzung im Arbeitsalltag, insbesondere dann, wenn

  • das Top-Management, die Bedeutung, die es dem Projekt beimisst, nicht nachdrücklich genug vermittelt, und
  • diese nicht auch in die Leistungsbeurteilung einfließt.

Nicht selten scheint in vielen Betrieben auch die Zusammenarbeit mit dem Betriebs- oder Personalrat eher dysfunktional zu sein. Immerhin 21 Prozent der Befragten stuften diese als „eher hinderlich“ oder gar „sehr hinderlich“ und 39 Prozent der Befragten als „weder förderlich noch hinderlich“ ein.

Interne und externe Berater*innen verschaffen nur partiell Entlastung

Von den Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten, von denen Führungskräfte an der Befragung teilnahmen (28 Prozent), hatten nahezu alle ein Inhouse-Consulting und/oder ein internes Reorganisationsteam. Deren Existenz bzw. die Zusammenarbeit mit ihnen hat laut Aussagen der Befragungsteilnehmer*innen bei Reorganisationsprojekten insbesondere folgende Vorzüge:

  • eine beschleunigte Entscheidungsfindung aufgrund interner Fach- und Prozesskenntnisse,
  • ein besseres Verständnis der Unternehmenskultur und -strukturen und
  • eine höhere Akzeptanz bei den Mitarbeitenden aufgrund der Kollegialität der Berater*innen.

Ungeachtet dessen wurde jedoch der Beitrag des Inhouse-Consultants zum Projekterfolg – erneut auf einer Fünfer-Skala – nur mit einem Mittelwert von 2,88, also etwas schlechter als voll befriedigend, bewertet.

Als zentrale Aufgaben, die externe Unternehmensberatungen bei Reorganisationen übernehmen sollten, wurden genannt:

  • strategische Beratung (29 Prozent),
  • Analysen liefern (19 Prozent),
  • operative Unterstützung (25 Prozent) sowie
  • Change-Management und Coaching (24 Prozent)

Ihr Beitrag zum Projekterfolg wurde gemittelt mit einem Wert von 3,35 – also zwischen befriedigend und gut – bewertet.

Erstaunlich positiv wirkten sich die Reorganisationen aus Sicht der Befragten auf die Unternehmenskultur aus (also zum Beispiel auf solche Faktoren wie die Zusammenarbeit, Innovationsfreude und das Vertrauensniveau). 13,1 Prozent stuften diese als „sehr positiv“ und 53,6 Prozent als „eher positiv“ ein; nur 9,3 Prozent hingegen als „eher negativ“ und gar nur 1,1 Prozent als „sehr negativ“.

Hierbei gilt es jedoch zu bedenken, dass an der Onlinebefragung fast ausschließlich mittlere und obere Führungskräfte der Unternehmen teilnahmen. Dies gilt es auch bei den Antworten auf die Frage zu bedenken „Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Reorganisation auf die Mitarbeiter*innenbindung (Fluktuation, Zufriedenheit) ein?“. Diese stuften die Teilnehmer*innen auf einer Fünfer-Skala (1 = deutlich verschlechtert, 5 = deutlich verbessert) mit 3.48 ein – also eher positiv ein.

Charakter der Reorganisationsprojekte verändert sich

Fast die Hälfte der Befragungsteilnehmer*innen erwartet, dass die ohnehin schon hohe Zahl von Reorganisationsmaßnahmen und -projekten in ihren Unternehmen in den kommenden zwei Jahren weiter steigt (48 Prozent). Als künftige inhaltliche Schwerpunkte der Reorganisationsprojekte in ihrer Organisation erachten sie

  • Anpassung des Geschäftsmodells (84,2 Prozent),
  • Kostensenkung und Effizienzsteigerung (73,8 Prozent),
  • Digitalisierung (67,4 Prozent),
  • Prozessoptimierungen (62,7 Prozent),
  • Anpassungen des Organisationsdesigns (54,3 Prozent),
  • Anpassung des Footprints (z.B. Standortverlagerungen – 32,9 Prozent)
Hierin lässt sich aufgrund der stark veränderten (welt-)wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Arbeit der Unternehmen sowie der rasanten technologischen Entwicklung nicht nur im IT-Bereich eine Fokusverlagerung der Reorganisationsprojekte erkennen und zwar weg von einer primär angestrebten Kostensenkung und Effizienzsteigerung hin zu einem Redesign der Geschäftsmodelle der Unternehmen.

Kulturveränderung gewinnt bei Projekten an Bedeutung

Hieraus dürften auch neue Anforderungen an das Change-Management erwachsen, da

  • mit diesen Projekten stets auch eine partielle strategische Neuausrichtung der Unternehmen einhergeht und
  • diese viel stärker auch eine Kulturveränderung erfordern als die klassischen Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprojekte, mit deren Durchführung die meisten größeren Unternehmen eine gewisse Routine entwickelt haben.

Entsprechend wichtig ist es, dass bei ihnen die drei Dimensionen Strategie, Struktur und Kultur und deren Wechselwirkungen ausreichend mitbedacht werden, damit sich das System Unternehmen wie gewünscht entwickelt und die Projektziele erreicht werden.

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