Rechtsfalle Tupperparty

Redaktion Die Wirtschaft
28.10.2005

Atypische Vertriebssysteme werden in der Praxis mit Argwohn betrachtet. Unter welchen Voraussetzungen sind Multi-Level- und Networkmarketing zulässig?

Von Gustav Breiter, Partner der Kanzlei Viehböck Breiter Schenk & Nau Rechtsanwälte. Sie erreichen ihn unter Tel. (02236) 22 050, office@viehboeck.at
Foto Kanzlei Viehböck

Typische und atypische Vertriebssysteme
Eine Vertriebskette besteht im herkömmlichen Vertriebssystem aus Hersteller-Importeur, Vertragshändler und/oder Handelsvertreter und/oder Franchisenehmer. Dabei sind vielfältige Mischsysteme, Doppelfunktionen sowie unechte bzw. echte Handelsvertreterverhältnisse denkbar. Gemeinsam ist den herkömmlichen Vertriebssystemen die professionelle – d.h. hauptberufliche und gewerbsmäßige – Stellung des Vertriebspartners. Dieser ist Kaufmann im Sinne des HGB und Unternehmer im Sinne des KSchG und unterliegt damit, was vertragliche Regelungen sowie die damit verbundenen Schutz- und Sorgfaltspflichten anlangt, dem Maßstab des sorgfältigen Kaufmanns.
In der Praxis sind aber auch zahlreiche Vertriebssysteme zu beobachten, in denen Laien (Hausfrauen, Pensionisten, Studenten etc) als Vertriebspartner auftreten. Diese Systeme werden als „Multi-Level-Marketing“, „Networkmarketing“ oder ähnlich bezeichnet. Dabei sind aber durchaus unterschiedliche Vertriebsformen zu beobachten. Entscheidend für die rechtliche Zulässigkeit ist freilich nicht die Bezeichnung, sondern die inhaltliche Ausgestaltung. Ist das System so ausgestaltet, dass die jeweiligen Vertriebspartner neue Teilnehmer anwerben sollen, liegt ein wettbewerbswidriges Schneeballsystem vor. Solche Systeme sind als „Ketten- oder Pyramidenspiele“ sogar gerichtlich strafbar, sofern die Teilnehmer nicht bloß Einsätze geringen Wertes leisten (Richtwert 70 Euro).
In der Praxis sind in der Vergangenheit geradezu abenteuerliche Systeme aufgefallen. So hatte ein Veranstalter die Idee, Hausfrauenzirkel zu bilden, in denen jede Teilnehmerin einen Betrag von bis zu 5.000 Euro als „Geschenk“ einlegte, wobei ein Kreis aus 8 oder 9 Personen bestehen sollte („Schenkkreise“). Sobald dieser Kreis entsprechend aufgefüllt war, rückte die Dienstälteste auf die nächste Stufe vor und war dem vermeintlichen Gewinn ein Stück näher gerückt. Die neuen Teilnehmerinnen waren von der Zufuhr weiterer Teilnehmerinnen abhängig. Gerade darin liegt der strafbare Kern solcher Systeme.

Kundenakquisition im Vordergrund
Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Systemen zielt ein zulässiges Multi-Level- oder Networkmarketingsystem nicht auf die Zufuhr weiterer Teilnehmer ab, sondern auf den Verkauf an den Endabnehmer. Ein zulässiges MLM-System könnte also z.B. dergestalt aufgebaut sein, dass der Werber (wie jeder andere Vertriebspartner auch) eine Provision für die Akquisition eines Kunden erhält. Der Kunde kann dabei unabhängig von seinen Bestellungen durchaus die Möglichkeit haben, selbst Vertriebspartner zu werden. In diesem Fall erhält allerdings der erste Vertriebspartner neben der Provision für die Bestellungen des Kunden keine Vergütung für dessen Eintritt als Vertriebspartner. Ein solches System ist von vornherein nur auf den Verkauf, nicht aber auf die Akquisition neuer Vertriebspartner ausgerichtet. Es hat also mit den oben beschriebenen Ketten- oder Pyramidenspielen nichts zu tun.

Laienwerbung
Da aber auch in einem zulässigen MLM-System regelmäßig sogenannte Laienwerber, also Privatpersonen, zum Einsatz kommen, sind nach der Judikatur bestimmte Kriterien einzuhalten. Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit insbesondere im Zusammenhang mit der Abo-Werbung durch Zeitungen sehr kritisch zur Laienwerbung geäußert. Der Oberste Gerichtshof hat zwar betont, dass diese besondere Form der Werbung nicht schon deshalb unlauteren Wettbewerb darstellt, weil die dazu eingesetzten Personen keine berufsmäßigen Werber, sondern Laien sind. Dennoch kann der Einsatz von Laienwerbern wettbewerbswidrig sein. Dabei kommt es auf die beworbene Ware, den Preis, die Höhe der Werbeprämie und die Aufwendungen des Werbers aber auch auf die Auswirkungen einer solchen Werbung an. Um die Allgemeinheit vor Auswüchsen zu schützen, wird grundsätzlich ein strenger Maßstab angelegt.
Im Einzelnen hat die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Abo-Werbung kritisiert, dass für das konkrete Zeitungsabo verhältnismäßig hohe Werbeprämien (Kassettenradios, Uhren, Fotoapparate, Fußbälle etc) gewährt wurden. Dadurch kann eine unsachliche Beeinflussung der angesprochenen Personen entstehen. Diese Beeinflussung könne dadurch verstärkt werden, dass die Werber in der Regel nicht fachkundig sind. Gerade durch den massenweisen Einsatz sachunkundiger und nicht kontrollierbarer Laienwerber sei diese Gefahr in erhöhtem Ausmaß gegeben.
Durch den Einsatz von Laienwerbern werden überdies persönliche Beziehungen im Familien- und Bekanntenkreis ausgenützt. Durch die persönliche Bekanntschaft fühlen sich die angesprochenen Kunden zur Abnahme verpflichtet. Bei hohen Werbeprämien und nicht fachkundigen Werbern ist die Gefahr der unsachlichen Beeinflussung besonders hoch.
Dazu kommt, dass sich viele Interessenten die versprochenen „Geschenke“ dadurch selbst sichern wollen, dass ein Scheinwerber vorgeschoben wird. Ist der neue Abonnent in Wahrheit der Nutznießer der Prämie, ist aber die – i.d.R. nicht ganz geringfügige – „Werbeprämie“ in Wahrheit eine Zugabe, die gegen § 9a UWG verstößt.

Folgerungen für MLM-Systeme
Damit also ein MLM-System zulässig ist, sollte die Provisionsvereinbarung mit dem Laienwerber so gestaltet sein, dass die Provision im Verhältnis zur vermittelten Ware nicht allzu hoch ist. Der Anreiz des Laienwerbers besteht dann darin, gerade erst durch die Folgebestellungen des angeworbenen Kunden entsprechend zu verdienen. Entschließt sich der Beworbene zu Folgebestellungen, hat ihn offenbar das Produkt als solches überzeugt. Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Beworbene aus persönlicher Rücksichtnahme zu weiteren Bestellungen entschließt. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass ihn die Güte und Preisgünstigkeit der Ware überzeugt haben.
Weiters ist darauf zu achten, dass die Werber eine sachliche Ausbildung erhalten, um ein gewisses Beratungsniveau zu gewährleisten. Dazu gehört auch, dass – wie es den Verhaltensstandards des Direktvertriebes entspricht (vgl, www.direktvertrieb-online.at) – die Werbeberater angewiesen werden, Beratungsgespräche auf Wunsch des angesprochenen Verbrauchers zu verschieben, abzubrechen oder gänzlich darauf zu verzichten. Es soll auch alles unterlassen werden, was den Verbraucher bestimmen könnte, das Angebot nur deshalb anzunehmen, um dem Anbieter einen persönlichen Gefallen zu tun, um ein unerwünschtes Gespräch zu beenden oder lediglich um in den Genuss eines Vorteils (Prämie oder ähnliches) zu kommen. Insgesamt sollten sich die Werbeberater nicht aufdringlich verhalten und lediglich zu angemessenen Uhrzeiten aktiv sein. Alter, Krankheit oder beschränkte Einsichtsfähigkeit des angesprochenen Kunden sind ebenso wie Sozialschwäche oder Fremdsprachigkeit selbstverständlich zu berücksichtigen. Auch die jedenfalls bestehenden gesetzlichen Anforderungen, wie unaufgeforderte Kontaktaufnahme mit Verbrauchern per Telefon, Fax, SMS oder Email zu unterlassen, sind selbstverständlich zu beachten.
Für den Fall, dass die genannten Kriterien eingehalten werden, sollte das MLM-System wettbewerbsrechtlich zulässig sein. Wenn ein solches System nicht einmal bei Erfüllung der geschilderten Kriterien der Rechtsprechung und bei Einhaltung aller anwendbaren Gesetze zulässig wäre, dann wäre die – z.B. in Deutschland ausdrücklich gesetzlich geregelte – Vertretung im Nebenberuf von vornherein nicht möglich. Als Vertreter im Nebenberuf sind eben z.B. Hausfrauen, Studenten oder Pensionisten anzusehen, die im geringfügigen Ausmaß tätig sind.

Werbe- und Beratungsparties
Werbe- und Beratungsparties in Privathaushalten sind ebenso wie Haustürgeschäfte verboten, wenn es sich z.B. um Verzehrprodukte, Arzneimittel, Uhren aus Edelmetall, Gold-, Silber- und Platinwaren, Juwelen, Edelsteine oder kosmetische Mittel handelt (§ 57 GewO). Verzehrprodukte sind definitionsgemäß „Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen“, also z.B. Schlankheitsmittel, nicht aber Tee oder Kaffee. Das „normale“ Damenkränzchen zum Kaffee stellt wohl auch aufgrund des sozialadäquaten Verhaltens keine Werbeparty im Sinne des Gesetzes dar.

Örtliche Beschränkung
Hinsichtlich anderer Waren als der im Gesetz aufgezählten, wie z.B. Kunststoffwaren, Textilien, Tee oder Kaffee, ist eine örtliche Beschränkung zu beachten. Das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen ist nur innerhalb des Verwaltungsbezirks zulässig, zu dem die Gemeinde des Standorts der Gewerbeberechtigung gehört. Außerhalb dieses Verwaltungsbezirkes ist ein Haustürgeschäft über eine solche Ware nur zulässig, wenn der Kunde den Besuch schriftlich angefordert hat. Stets dürfen nur Warenmuster mitgeführt werden.
Für andere als die aufgezählten Waren wäre auch die Veranstaltung einer Privat-„Party“ mit unmittelbaren Bestellungen zulässig, ebenso aber nur innerhalb des Verwaltungsbezirks. Bloße Umgehungen sind nach der Rechtsprechung unzulässig. Werden vorerst unverbindliche „Wünsche“ geäußert, die erst einige Tage später bei Vorlage der gewünschten Waren zu verbindlichen Kaufentscheidungen werden sollen, ist – aus der Sicht des Konsumenten – die Kaufentscheidung schon gefallen. Der Konsument kann die gewünschte Ware in weiterer Folge nur sehr schwer ablehnen. Diese Vorgangsweise ist de facto auf die Sammlung von Bestellungen ausgerichtet und darf daher nicht außerhalb des Verwaltungsbezirks erfolgen.

Kein unmittelbarer Kaufabschluss
Will das Vertriebsunternehmen die genannte örtliche Beschränkung vermeiden, muss das Vertriebssystem so gestaltet werden, dass die Vertriebspartner keine Bestellungen entgegennehmen. Die Privatpersonen sollten nicht zum Zweck der hier und jetzt erfolgenden Bestellung aufgesucht werden, sondern lediglich um anhand von Mustern Werbung für eine spätere, direkt beim Unternehmen zu tätigende Bestellung zu machen. Dann sollte die oben genannte örtliche Beschränkung nicht greifen, womit für nicht im Gesetz aufgezählte Waren auch außerhalb des Verwaltungsbezirks geworben werden dürfte.
(11/05)

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