König der Spekulanten
Er galt einst als reichster Österreicher. Camillo Castiglioni machte sein Vermögen aber mit dem Geld anderer Leute und schreckte auch vor Gaunereien nicht zurück. Die Geschichte eines Milliardärs, der am Ende zu viel riskierte.

Text: Sandra Knopp
Die Wiener staunten nicht schlecht, als im Jahr 1908 ein Flugzeug über sie hinwegbrauste und enge Kreise um den Stephansdom zog. Der 29-jährige Pilot, damals Direktor einer Gummiwarenfabrik mit 800 Beschäftigten, wollte dadurch auf das militärische Potenzial von Flugzeugen aufmerksam machen. Camillo Castiglioni bewies damit bereits vor dem Ersten Weltkrieg Gespür dafür, Trends zu setzen. Er sicherte sich Beteiligungen an österreichischen Luftfahrtunternehmen und profitierte von den im Krieg folgenden umfangreichen Rüstungsaufträgen des österreichischen und deutschen Militärs. Doch seine Loyalität war aufs Geschäft beschränkt. Als sich die Niederlage der Habsburgermonarchie abzeichnete, verschob er seine Gelder kurzerhand in die Schweiz. Castiglioni war ein gerissener Taktiker. Um von Steuer- und Devisenerleichterungen zu profitieren, nahm der gebürtige Triester nach dem Krieg die italienische Staatsbürgerschaft an. Wien blieb aber sein Lebensmittelpunkt und Handlungsort seiner riskanten Geschäfte.
Aufstieg zum Inflationskönig
Die galoppierende Inflation nach dem Ersten Weltkrieg bot ein ideales Betätigungsfeld für Castiglioni. Er setzte alles auf Aktien, Devisen und Industriebeteiligungen. Seine Strategie: Die Kredite zahlte er erst spät in entwerteter Währung zurück. „Es fand nach dem Krieg eine Art Ausverkauf der österreichischen Banken und Industrien statt. Daran beteiligten sich ausländische Kapitalgruppen, aber auch österreichische Finanziers“, erklärt der Wirtschaftshistoriker Peter Eigner von der Uni Wien. Mittendrin war natürlich Castiglioni. Ab 1918 leitete er als Präsident die angesehene Wiener Depositenbank und besetzte dort Führungsposten mit Vertrauten. Gewinne steckte das Bankmanagement in die eigene Tasche, Verluste blieben der Bank. „Castiglioni hat zweifellos kriminelle Handlungen gesetzt. Sein Korruptionsnetzwerk aus Eliten aus der Politik und Wirtschaft, hochrangigen Beamten aber auch Journalisten unterschied ihn von anderen Spekulanten“, erklärt Dieter Stiefel, Historiker und Castiglioni-Biograf. Selbst Steuerschulden aus dem Krieg blieb Castiglioni so lange schuldig, bis die Inflation sie auf zehn Prozent des Ursprungswertes senkte. Zudem verschwand 1923 „rein zufällig“ die Steuerakte des reichsten Mannes Österreichs, der nach Medienberichten in nur 48 Monaten 80 Millionen Goldfranken verdient hatte. Castiglioni, der viele seiner Geschäftspartner betrogen hatte, wurde allerdings 1922 selbst ausgebootet und verließ die Depositenbank. Seinem gesellschaftlichen Aufstieg schadete dies aber nicht. In seinem luxuriösen Wiener Palais ging die Elite weiterhin ein und aus. Castiglioni reiste im Salonwagen von Kaiser Franz Joseph und gebärdete sich als Kunstmäzen. Er subventionierte die Salzburger Festspiele, kaufte und sanierte das Theater an der Josefstadt. Seine prunkvolle Lebensweise inmitten des krisengeplagten Österreich machte den vom Judentum zum Protestantismus konvertierten Finanzier schnell zum Feindbild von linken sowie antisemitischen Gruppierungen.
Sturz des Inflationskönigs
Der Wendepunkt seiner steilen Karriere erfolgte mit der Währungsstabilisierung. Österreich fuhr im Zuge der Völkerbundanleihe 1922 einen harten Sparkurs, der in der Einführung des Schillings 1924 gipfelte. Die Zeit der galoppierenden Inflation fand ein jähes Ende. „Wenn er das rechtzeitig erkannt und sich konsolidiert hätte, gäbe es vielleicht heute noch einen Castiglioni-Konzern. Aber er war ein Spieler und konnte nicht aufhören“, so sein Biograf Stiefel. Castiglioni blieb seinem Prinzip treu und setzte 1924 auf den schwächelnden Francs. Als eine Großanleihe der US-Bank J.P.Morgan die Währung stabilisierte, verlor er wie viele andere österreichische Spekulanten, die in Termingeschäfte investiert hatten, Unsummen. Er ging zwar nie bankrott, musste aber einen Großteil seines Vermögens zur Schuldentilgung einsetzen. Seine wirtschaftliche Macht war dahin.
„Die Zeit von Spekulanten wie Castiglioni war kurz. Drei oder vier Jahre nach ihrem spektakulären Aufstieg verschwanden sie von der Bildfläche“, so Eigner. Auffällig sei, dass es kaum juristische Konsequenzen gab. So kam auch Castiglioni unbescholten davon. Zwar beschuldigten ihn Aktionäre der Depositenbank der Veruntreuung, doch sein Netzwerk aus einflussreichen Persönlichkeiten schützte ihn vor einer strafrechtlichen Verurteilung. Viele Gegner zahlte er einfach aus und entging so weiterer Strafverfolgung. Schlagzeilen schrieb Castiglioni nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch einmal, als er die Tito-Regierung 1951 auf Provision für eine US-Anleihe verklagte. Restitutionszahlungen für sein Palais und das Theater in der Josefstadt sicherten ihm in den letzten Lebensjahren noch Einnahmen. 1957 starb er mit 78 Jahren in Rom. Das Prinzip, sich auf Kosten anderer zu bereichern, findet heute noch seine Fortsetzung. Jüngste Beispiele sind Bernard L. Madoff, Anlagebetrüger Ulrich Engler oder der deutsche Börsenspekulant und Hedgefondsmanager Florian Homm. Dem US-Börsenspekulanten Jordan Belford widmete US-Starregisseur Martin Scorsese vergangenes Jahr den Blockbuster „Wolf of Wallstreet“. Den Kassenschlager könnte man als humoristische Huldigung des teilweise verbrecherischen Wirkens Belforts sehen. Es scheint, als ob breite Bevölkerungsschichten sich damals wie heute vom dreisten und ungestümen Handeln fasziniert zeigen.