Kassandra lässt grüßen
Wenn der schlimmste aller Fälle eintritt und die Schadenssummen ins Unermessliche steigen, treten Rückversicherungen auf den Plan. Entsprechend viel Mühe geben sie sich, mögliche Risiken vorherzusehen. Wo die großen Gefahren lauern, hat uns Kurt Svoboda, Chief Risk Officer der Uniqa Insurance Group, erklärt.

Interview: Stephan Strzyzowski
Mit welchen Ursachen für Großschäden rechnen die Versicherungen aktuell?
Schon seit längerem schlummert bei Erdebenen in Ballungszentren ein besonders hohes Katastrophenrisiko. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben aber auch neue Gefahrenszenarien zum Vorschein gebracht.
Welche sind das?
Dadurch, dass die Menschen immer länger leben, werden Schädel-Hirn-Verletzungen ein Risiko, das immer größere Bevölkerungsschichten betrifft. Ein zweites neues Gefahrenpotenzial lauert im Bereich Datenmanagement.
Woher kommt die Zunahme von Schädel-Hirn-Erkrankungen?
Immer öfter sind die Erkrankungen dem Sport geschuldet. Aber auch die jahrelange Strahlenbelastung durch Handys und diverse Funknetze werden damit in Zusammenhang gebracht. Die Auswirkungen von E-Zigaretten sind ebenfalls noch nicht restlos geklärt. Diese unterschiedlichen Faktoren können natürlich auch zusammenspielen. Daraus ergeben sich diverse Haftungsfragen, mit denen sich die Rückversicherungen gerade intensiv befassen.
Wie stehen denn die Mobilfunkanbieter und Handyhersteller dazu? Sie müssen ja allfällige Schäden verantworten?
Genau das ist der Punkt. Die Frage lautet, ob solche Risiken überhaupt versicherbar sind. Denn dass irgendwo kleingedruckt steht, dass für Folgewirkungen keine Haftung übernommen wird, kann die Hersteller nicht vor Klagen retten.
Gibt es jetzt schon so einen Haftungsausschluss in den AGB?
In den USA ist das garantiert ein Thema. Generell gibt es immer öfter Fälle, die man vorab nicht vertraglich regeln kann. Erinnern Sie sich an die Anschläge auf das World Trade Center. Das war eigentlich ein klassischer Versicherungsfall: Da gab es ein Flugzeug, eine Immobilie und Personen. Aber es hat elf Jahre gedauert, bis ausjudiziert war, ob es ein oder zwei Versicherungsereignisse waren. Das war wichtig wegen der Deckungssumme, aber auch wegen der Frage, wer welches Risiko trägt. Solche Situationen, die man vertraglich nicht ausschließen kann, nehmen nun genau wie ihre Auswirkungen auf die Volkswirtschaft zu. Wir als Versicherungen müssen uns deshalb stärker mit der Prävention und Absicherung befassen.
Wer entscheidet darüber, ob man solche Risiken versichert, wenn sie nicht kalkulierbar sind?
Das entscheiden die ganz großen Rückversicherungen. Ich glaube aber, dass diese Risiken in Zukunft versicherbar sein werden.
Was, wenn sie nicht versichert werden?
Dann könnte volkswirtschaftlich ein genauso großer Schaden entstehen, wie es ihn jetzt schon bei der Nichtabdeckung von Flutschäden gibt.
Weil der Steuerzahler bei Fluten einspringt oder wenn jemand auf der Neurologie landet?
Genau, diese Fälle würden das Sozialsystem belasten. Deswegen ist es für die Versicherungswirtschaft nicht immer nötig, entsprechende Produkte anzubieten, sondern stärker in der Prävention tätig zu werden. Sei es, dass Versicherungen beim Lawinenverbau dabei sind oder ihre Expertise bei geologischen Gutachten einbringen. Und vermutlich werden sie sich in Zukunft auch stärker beim Thema Datensicherheit sowie im medizinischen Sektor einbringen.
Woher beziehen die Rückversicherungen ihre Daten zu den Risikoquellen?
Die drei größten Rückversicherungen haben die besten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in der Finanzindustrie. Sie kooperieren aber auch mit vielen Universitäten und haben aufgrund ihrer Portfolien Zugang zu den Echtdaten von Kunden. Dadurch können sie mit sehr exakten Analysen und Trends aufwarten. Sie sind auf brillante Daten angewiesen, da sie zeitgerecht wissen wollen, worauf sie sich einstellen müssen.