Ein Österreicher im „Wilden Osten“
Clemens Lehr ging als junger Banker nach Osteuropa, heute mischt er mit seiner GLD Invest Group die Immobilienbranche in der Ukraine auf.

Text: Michael Riedmüller
Fast 100.000 Quadratmeter Gesamtfläche verteilt auf zwei Objekte – die nackten Zahlen des Logistikparks West Gate am Rande von Kiew beeindrucken. Es ist das Prestigeprojekt der österreichischen GLD Invest Group, die als Immobilienentwickler seit 2005 den ukrainischen Markt für Büro- und Logistikimmobilien aufmischt. Die Kiewer Baubranche boomt, und der gebürtige Wiener Clemens Lehr, Geschäftsführer von GLD Ukraine und Juniorpartner ist mittendrin. Dass er einmal zu den großen Playern auf dem ukrainischen Büro- und Logistikmarkt gehören würde, daran hatte der 39-Jährige aber nicht gedacht, als er 2001 das erste Mal nach Kiew kam – damals noch als junger Banker bei Raiffeisen International.
Aufbruch in den grauen Osten
„Nach meinem Studium wollte ich weg aus Österreich, das Fremde hat mich schon immer interessiert“, sagt Lehr. Der „wilde Osten“ habe ihn gereizt, Russisch lernte er auf der Fachhochschule für Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Eisenstadt, „aber mehr schlecht als recht“, wie er heute mit einem Lächeln auf dem Gesicht sagt. Ende der Neunziger kam er für Raiffeisen-Praktika erstmals nach Moskau, 2001 dann fix in die Ukraine. „Damals war das noch eine ganz andere Welt, und für mich natürlich wahnsinnig aufregend“, erzählt Lehr. „Auf den Straßen waren nur ein paar Ladas, alles, sogar die Kleidung war grau, aber wenn man dann abends in eine Bar kam, hat dich die Lebensfreude der Menschen fast umgehauen.“
2005 kam dann das Angebot der GLD, einen neuen Standort in Kiew aufzubauen. „Die Möglichkeit, mit nur knapp über dreißig Jahren so eine Position zu bekommen, wäre in Wien wahrscheinlich unmöglich gewesen“, erzählt Lehr. Darum musste er auch nicht lange überlegen, die Branche zu wechseln. Und auch der Zeitpunkt sei ideal gewesen, denn nach der Orangen Revolution gab es in der Ukraine eine riesige Aufbruchsstimmung. „Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Schon das erste große Projekt, das East-Gate-Logistikzentrum östlich von Kiew, damals das größte und modernste seiner Art im ganzen Land, wurde zu einem Erfolg. 2008 konnte es voll vermietet an die österreichische Immobilieninvestmentgruppe Akron verkauft werden. Mit seiner Gewinnbeteiligung erwarb Lehr Anteile der Holding und ist seitdem auch Miteigentümer der GLD, die neben der Immobilienentwicklung auch Beratung und Facility-Management betreibt.
Allgegenwärtige Korruption
Dass die Ukraine aber alles andere als ein leichtes Pflaster ist, zeigte sich vor allem, als die Krise auch in Osteuropa massiv zuschlug. Wenn man heute durch Kiew fährt, dann sieht man immer wieder halbfertige Häuser, Bauprojekte, die auf Eis liegen. „Vor der Krise dachten viele westliche Firmen, dass das hier immer so weitergehen kann, aber da sind viele schnell wieder verschwunden. Viele, die erst später gekommen sind, sind ziemlich auf die Nase gefallen“, sagt Lehr. Dabei sei der Markt in Kiew nach wie vor klein und die Chancen groß. Probleme bereiten aber nicht nur die Krise, sondern auch die spezifischen Geschäftsbedingungen in einem Land der ehemaligen Sowjetunion. Korruption und Bürokratie blühen, ohne die richtigen Kontakte steht man schnell auf verlorenem Posten. „Wer sagt, dass er in der Ukraine noch nie mit Korruption zu tun hatte, der lügt entweder oder hat andere Leute, die das für ihn machen“, sagt Lehr. Wer hier Erfolg haben will, der müsse sich darauf einstellen, dass viele Leute ihre Hände aufhalten. „Viele Beamte und Staatsdiener verdienen auch nicht mehr als ein paar hundert Euro, da ist das zum Teil sogar verständlich. Das zieht sich aber bis ganz hinauf bis in höchste Regierungskreise.“
Leicht sei es nicht gewesen, als er nach Kiew kam, sagt Lehr: „Damals war ich noch ein kleiner Accountmanager, da haben mir am Anfang viele Leute ans Bein gepinkelt.“ Aber dass er nicht diese westliche Besserwisserei an den Tag gelegt hat, wie es sonst oft passiert, hat ihm bei den Ukrainern Respekt verschafft. Und auch, wenn er nun schon seit vielen Jahren hier lebe, verhalte er sich immer noch als Gast, erzählt der 39-Jährige, während immer wieder Mitarbeiter in sein Büro kommen. Fließend wechselt er von Deutsch ins Russische, das Wienerische ist ihm aber auch dabei noch anzuhören. „Am Wichtigsten war die Sprache, dann kann man sich hier einfach leichter integrieren.“ Seit vier Jahren ist er nun auch schon mit einer Ukrainerin verheiratet, zusammen haben die beiden eine Tochter.
Rückkehr nicht ausgeschlossen
Seine Familie könnte auch der Grund für ihn sein, in einigen Jahren wieder nach Österreich zurückzukehren. „Wenn man ein Kind hat, dann fallen die negativen Seiten hier im Land einfach stärker ins Gewicht.“ Dabei sei in Osteuropa in den vergangenen Jahren extrem viel passiert, vor allem bei der Lebensqualität sei sehr viel weitergegangen. Seit 2004 hat sich das Gesicht von Kiew rasant verändert, die Stadt hatte einen riesigen Nachholbedarf, Restaurants und Bars sprießen aus dem Boden. „Wenn man hier vor zehn Jahren war, dann würde man die Stadt wahrscheinlich gar nicht wiedererkennen.“
Den Schritt, das Abenteuer im Osten zu suchen, hat Lehr nie bereut. „Ich habe in meinen jungen Jahren schon Dinge erlebt, die viele Menschen wohl in ihrem ganzen Leben nicht sehen werden“, sagt Lehr, wenn er sich an die vergangenen Jahre erinnert. „Man muss hier sehr flexibel sein, schnelle Lösungen finden, aber dafür ist es sicherlich interessanter als in Wien.“ Etwas an seiner Heimatstadt aber vermisst er doch: „Ein gutes Schnitzel, Eierno-ckerln, Heuriger, alles, was ich früher nie so geschätzt habe, geht mir hier schon ab“, sagt Lehr, „aber dafür kann ich ja ins Flugzeug steigen.“