Der Selbermacher

Redaktion Die Wirtschaft
06.12.2012

Ein Technologiepark am Rande von Steyr. Der graue Himmel passt zum wenig spektakulären Architekturkonzept, das hier in die Landschaft gesetzt wurde. Hinter einem unscheinbaren Firmenschild mit der Aufschrift „Automotive Solutions" arbeitet Wolfgang Bittner.

Text: Daniel Nutz

Sein Büro ist klein. Aber viel Platz braucht man nicht zum Herumspinnen. „Wir leben davon, Dinge anders zu machen“, beschreibt der Mann mit dem graumelierten Haar seine Tätigkeit. Normalerweise ist es sein Job, Unternehmern bei der Umsetzung ihrer Ideen zu helfen. Zu seinen Kunden zählen nicht nur die großen Player der Automobilindustrie, sondern auch viele Klein- und Mittelbetriebe. Denn Bittner ist ein Meister der Vernetzung. Beim Aufbau des Automobil-Clusters Oberösterreich leistete er einst Pionierarbeit. Heute will er KMU zusammenbringen, um Projekte umzusetzen, die sonst nur von einem Konzern gestemmt werden können.
 
Eine schicksalhafte Begegnung
Eines dieser Projekte ist nun zu seiner ganz persönlichen Antriebskraft geworden. Inspiriert wurde Bittner dabei durch eine eher zufällige Begegnung mit dem Philosophen und Arbeitstheoretiker Frithjof Bergmann. Bittner teilte sofort die Vision Bergmanns von einer „Neuen Arbeit“, welche die individuelle Entfaltung und Kreativität in den Mittelpunkt stellt. Es dauerte nur wenige Treffen, bis der amerikanische Philosoph und der Unternehmensberater das Gerüst für ihr gemeinsames Projekt schmiedeten. Das Ziel: ein Motorrad zu entwickeln, das aufgrund eines Elektroantriebs umweltschonend ist, in komplett neuartigen kleinbetrieblichen Strukturen hergestellt wird, regionale Wertschöpfung schafft und beim Konsumenten den mittlerweile verlorenen Spieltrieb wieder weckt. Sprich: an dem man selbst schrauben kann und nicht für jeden Reifenwechsel in die Werkstatt muss. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist heute als Prototyp in Bittners Firma zu sehen und nennt sich „Steyrer“.
 
Das postindustrielle Motorrad
Das Design erinnert an Science-Fiction-Serien der 1970er-Jahre oder daran, wie sich deren Macher damals die Zukunft vorgestellt haben. Unangepasst könnte man es wohlwollend nennen. Jedenfalls passt es aber zum Gesamtkonzept, in dem das gewöhnungsbedürftige Äußere der kleinste Stilbruch mit dem Altbekannten ist. Im Herzen des 14 PS starken E-Motors pocht nämlich eine Weltanschauung, die die Konstanten der Industriegesellschaft verschieben will. Man könnte den „Steyrer“ als Gegenentwurf zur derzeit vorherrschenden Großserienproduktion in Konzernen beschreiben. Bergmann nennt die Manufakturen, die über die Lande verteilt entstehen und in denen die Fahrzeuge produziert werden sollen, „Fabriken der Zukunft“. In diesen nur rund 25 Mitarbeiter großen Manufakturen sollen möglichst viele Komponenten des Motorrads selbst hergestellt und schließlich zum einsatzfähigen Fahrzeug zusammengesetzt werden. Zwei solcher Fahrzeuge sollen dort pro Tag produziert werden – rund 700 auf das Jahr hochgerechnet. Nichts, im Vergleich zu den Serien der Industrie.
 
Regionale Wertschöpfung
Trotzdem rechne sich die Herstellungsweise, behauptet Bergmann. Klingt wie die Umkehrung jeglicher betriebswirtschaftlichen Lehrmeinung. Bergmann – der lange Zeit als Berater für General Motors tätig war – kontert: Durch neue Produktions- und Herstellungsverfahren ließen sich im Vergleich zur industriellen Produktion jede Menge Nebenausgaben wie Transport-, Vertriebs- oder Umweltkosten einsparen. Letztendlich soll der Verkaufspreis mit 5.000 bis 8.000 Euro auch unter vielen industriegefertigten Modellen liegen und zudem noch regionale Wertschöpfung schaffen.

Zwar könne nicht jede der sogenannten Manufakturen jegliche Teile wie etwa eigene Bremsscheiben herstellen, aber zumindest der Gussrahmen würde aus der Region kommen, meint Bittner. Die Manufakturen hätten zudem die Möglichkeit, das Motorrad mit regionalspezifischem Zubehör auszustatten und so ihre eigene Innovationskraft einzusetzen. Seine Firma „Automotive Solutions“ fungiere dabei nur mehr als eine Art Franchise-Geber, der letztendlich auch für den Wissenstransfer und die Schulung der Partner zuständig ist. „Daraus ergeben sich komplett neue Geschäftsmodelle. Die Rolle des Herstellers und des Verkäufers werden neu definiert“, argumentiert Bittner die revolutionäre Kraft des Projekts.
 
Zukunftsmusik
Plötzlich kramt er zwei Plastikteile aus einer Schublade: „Schon bald wird man ein Fahrzeug wie unseres selbst designen und produzieren können“, sagt er. Auf dem Tisch liegen zwei Erzeugnisse eines sogenannten Fabrikators – einer Art 3-D-Drucker –, die aus einer Kooperation mit einer deutschen Universität entsprungen sind. Es sind aus Plastik fabrizierte Bauteile eines Motorrads. Geht es nach Bittners Vorstellungen, werden sich Tüftler in naher Zukunft ihr eigenes Fortbewegungsmittel selbst planen und die Teile dafür über Fabrikatoren auch selbst herstellen können. Zum Transfer von Ideen schwebt Bittner eine Tauschbörse für Baupläne vor, die ähnlich wie ein App-Store funktionieren soll. Doch das ist noch Zukunftsmusik.

Derzeit schlägt man sich noch mit grundlegenden Problemen wie der Finanzierung herum. Finden die derzeit laufenden Verhandlungen mit einem amerikanischen Investor einen positiven Abschluss, wird eine erste Serie des „Steyrers“ in einer Kooperative von sechs KMU aus Steyr produziert und als Baukasten ausgeliefert. Der Zusammenbau kann dann in Heimarbeit oder bei Distributionspartnern erfolgen, aus denen sich irgendwann die genannten Manufakturen entwickeln sollen. Ab dem Frühjahr 2014 sollen dann die ersten Motorrad-Revolutionäre über die Straßen rollen. Der Anfang einer Bewegung, wie Bittner hofft.

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