LEadership

Auch Führungskräfte können ausbrennen

05.11.2025

Sie müssen immer Stärke zeigen, nie schwach wirken und permanent Veränderungsbereitschaft ausstrahlen: Der Druck auf Führungskräfte ist enorm – und oft unterschätzt. Viele denken inzwischen ans Aufhören.

Führungskräfte müssen stets Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen. Sie dürfen zudem nie Schwäche zeigen. Mit diesem Anspruch sehen sich die meisten von ihnen konfrontiert. Doch es fällt vielen zunehmend schwerer, diesem gerecht zu werden.
„Eigentlich habe ich keinen Bock mehr. Ich sehne nur noch meinen Ruhestand herbei“ oder „Ich würde am liebsten etwas ganz anderes tun.“ Solche Aussagen hört man seit einiger Zeit vermehrt auch von Führungskräften auf der Top-Ebene von Unternehmen – zumindest, wenn man privat mit ihnen spricht oder im Rahmen jahrelanger Beratertätigkeit eine Vertrauensbeziehung aufgebaut hat.

Verbergen, wie es wirklich um sie steht

Im Kollegenkreis würden die betreffenden Führungskräfte solche Aussagen nie tätigen. Als Abteilungs- oder Bereichsleitungen, Geschäftsführende oder Vorstandsmitglieder wissen sie genau, was von ihnen erwartet wird:
Sie wissen, dass sie – ganz gleich, wie schlecht oder perspektivlos sie selbst die aktuelle Situation empfinden – stets Zuversicht und Hoffnung ausstrahlen müssen. Auch wenn sie keine Lust auf Veränderung mehr haben, wird von ihnen erwartet, Veränderungs- und Lernbereitschaft zu zeigen und ein Vorbild für andere zu sein. Das gilt selbst dann, wenn sie sich innerlich leer und ausgebrannt fühlen. Also verhalten sie sich entsprechend – auch wenn es sich für sie selbst längst wie ein Schmierentheater anfühlt und manche innerlich schon gekündigt haben.

Pausen sind unerwünscht, Ausstieg selten

Eine normale Reaktion auf dieses Befinden wäre, sich eine Auszeit zu nehmen, um neue Energie zu tanken. Doch gerade Führungskräfte auf der oberen Ebene gönnen sich das meist nicht. Von ihnen erwartet man, nie Schwäche zu zeigen und stets Tatkraft und Energie auszustrahlen. Viele haben zudem die Maxime „No pain, no gain“ verinnerlicht – also: Beruflicher Erfolg ist immer mit Anstrengung und Schmerz verbunden. Deshalb handeln sie auch in schwachen Momenten nach dem Motto: „Augen zu und durch.“

Auch der komplette Ausstieg – also: „Ich kündige hier und jetzt und mache etwas ganz anderes“ – bleibt meist aus. Dafür gibt es viele Gründe:

  • Verantwortungsgefühl gegenüber der Organisation
  • mangelnde finanzielle Vorsorge für die Zeit danach
  • der Wunsch nach einem „goldenen Handschlag“
  • Angst vor einem emotionalen Tief ohne Struktur und Aufgabe
  • Identifikation mit dem Titel „Head of …“ oder „Chief of …“

Sinkende Motivation: ein Tabu auf Führungsebene

Während über innere Kündigung und mangelnde Veränderungsbereitschaft bei Mitarbeitenden häufig gesprochen wird, ist das Thema auf Führungsebene nahezu tabu. Dabei ist dieses Phänomen dort mittlerweile ähnlich weit verbreitet.
Ein Grund: Führungskräfte sind in vielen Unternehmen seit Jahren extrem gefordert – nicht nur aktuell. Gleichzeitig wurden vielerorts Programme zur Führungskräfteentwicklung weitgehend ausgesetzt. Vielen ist dadurch unklar, was ihre Rolle im Kontext fundamentalen Wandels eigentlich erfordert. Zudem herrscht in zahlreichen Unternehmen eine Kultur des individuellen Überlebenskampfes – über alle Hierarchie- und Funktionsstufen hinweg. Zwar wird regelmäßig beschworen „Wir sind ein Team“, doch gelebt wird oft etwas anderes

Der Motor der Veränderung stottert

In vielen Organisationen fehlt es – entgegen aller Bekundungen – derzeit an Veränderungsenergie. Die nötigen Changevorhaben werden nicht angestoßen oder mit zu wenig Kraft verfolgt.

Stattdessen dominiert das Wehklagen:

  • über Mitarbeitende, die zu wenig Veränderungsbereitschaft zeigen,
  • über die unsichere Weltwirtschaft,
  • über eine Politik, die nötige Reformen nicht vorantreibt.

Sicher, all das erschwert das Handeln im Unternehmensalltag. Aber wie steht es um die eigene Reformfähigkeit? Wo ist der interne Antrieb, der Risiken trägt und Veränderung vorlebt? Diese Fragen sollten sich Führungskräfte selbstkritisch stellen.

Wenn Führungskräfte innerlich nicht mehr mitgehen

Organisationen erreichen ihre herausfordernden Ziele nur, wenn die Führungskräfte voll hinter den dafür nötigen Veränderungen stehen – und zwar aus Überzeugung, nicht nur formal aufgrund ihrer Funktion. Andernfalls spüren Mitarbeitende schnell die fehlende Authentizität. Auch sie stimmen dann nur verbal in den Chor „Wir müssen etwas ändern“ ein – ohne dass sich faktisch etwas verändert.
Umso wichtiger wäre es in vielen Unternehmen, Strategien zu entwickeln, wie die Führungskräfte ihren Esprit nicht verlieren. Denn sie sind – man glaubt es kaum – auch nur Menschen. Auch sie können ausbrennen und den Mut verlieren. Zumal sie häufig besser als ihre Mitarbeitenden abschätzen können, wie groß die bevorstehenden Aufgaben wirklich sind.

Führung braucht Rückhalt und Reflexion

Gerade jetzt sollten Unternehmen bereichs- und hierarchieübergreifend eine Vertrauenskultur etablieren, in der sich Führungskräfte im Kollegenkreis offen über Zweifel und Belastungen austauschen können. Ebenso wichtig sind Coachings, in denen sie ihr eigenes Befinden reflektieren und neue Impulse für ihre Führungsrolle gewinnen können.
Daneben braucht es Gelegenheiten für persönliche Begegnungen – Events, bei denen sich Führungskräfte „von Mensch zu Mensch“ treffen, vielleicht auch einmal gemeinsam ein Glas Bier oder Wein trinken. Nur so entstehen persönliche Bande, aus Einzelpersonen wird ein echtes Team.
Doch genau dafür fehlt im hektischen Alltag oft die Zeit. Viele Führungskräfte fühlen sich deshalb einsamer als ihre Mitarbeitenden, die zumindest Kolleg*innen für den Austausch haben.

Ohne motivierte Führung kein Wandel

Deshalb ist es für Unternehmensleitungen wichtiger denn je, gezielt Maßnahmen zu fördern, die ihre Führungskräfte stärken. Denn ohne eine Führungsmannschaft, die aus innerer Überzeugung hinter den Changeprozessen steht, wird kein Veränderungsziel erreicht. Erst recht nicht, wenn die Führung bereits ausgebrannt ist und sich innerlich vom Unternehmen entfernt hat.


Zum Autor

Dr. Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist Autor mehrerer Change- und Projektmanagement-Bücher. Er hat eine Professur an der Technischen Universität Clausthal und ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe und der IAE in Aix-en-provence.

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