Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Green Software als Chance für KMU

10.07.2025

Streaming, Cloudlösungen und KI boomen – und damit auch der Energieverbrauch. Der Wissenschaftler Mazhar Hameed erklärt im Interview, warum nachhaltiges Software-Engineering gerade für österreichische KMU entscheidend ist und welche konkreten Maßnahmen umgesetzt werden können.

Digitalisierung verspricht Innovation, Effizienz und Wachstum. Doch die zunehmende Nutzung digitaler Technologien hat einen hohen Preis: Der Energiebedarf und der damit verbundene CO₂-Ausstoß der IT-Branche wachsen stetig. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) in Österreich stehen vor der Herausforderung, die Digitalisierung voranzutreiben und zugleich ihre ökologische Verantwortung wahrzunehmen. Doch welche konkreten Ansätze gibt es, um Nachhaltigkeit in der IT-Praxis umzusetzen? Im Interview erklärt Mazhar Hameed, Professor für Software-Engineering an der GISMA University of Applied Sciences in Potsdam und Experte für Green Software-Engineering, wie KMU ihren digitalen CO₂-Fußabdruck spürbar senken können – und das ganz ohne große Budgets.

Die WIrtschaft: Green Software-Engineering wird oft mit Großkonzernen assoziiert. Welche konkreten Hebel haben kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Österreich, um ihren digitalen CO₂-Fußabdruck zu verringern – besonders im Bereich Softwareentwicklung?
Mazhar Hameed: Auch ohne große Budgets stehen KMUs wirkungsvolle Hebel zur Verfügung. Einer der effektivsten ist das Schreiben effizienter Codes, eine schlanke Software verbraucht zur Laufzeit weniger Ressourcen. Zudem können KMUs energieeffiziente Cloud-Anbieter wählen und kritisch prüfen, welche Dienste tatsächlich dauerhaft laufen müssen. Das regelmäßige Aufräumen redundanter Prozesse und Daten kann bereits messbare Effekte bringen. Nachhaltigkeit erfordert nicht immer radikale Veränderungen, oft geht es um viele kleine, bewusste Entscheidungen.

Sie arbeiten an Metriken zur Messung des Energieverbrauchs von Software. Welche Werkzeuge oder Methoden könnten IT-Manager in KMU nutzen, um den Energiebedarf ihrer digitalen Anwendungen sichtbar und steuerbar zu machen?
Der erste Schritt ist Transparenz. IT-Verantwortliche können einfache Energieüberwachung in Entwicklungs- und Deployment-Prozesse integrieren, um ein erstes Verständnis dafür zu gewinnen, wo Energie verbraucht wird. Wir arbeiten auch an leichtgewichtigen, code-integrierten Metriken, die Entwickler:innen während der Laufzeit helfen, den Energieeinfluss ihrer Anwendungen zu bewerten. Sobald der Verbrauch sichtbar ist, lassen sich Muster erkennen und gezielte Verbesserungen vornehmen.

Streaming-Dienste und KI-Anwendungen boomen, gleichzeitig wächst ihr Energiebedarf. Wie lässt sich in der Praxis der Spagat zwischen technischer Innovation und nachhaltigem Ressourceneinsatz meistern?
Wir müssen Innovation nicht stoppen, aber wir müssen unsere Prioritäten verschieben. Anstatt ausschließlich auf Leistung oder Skalierbarkeit zu setzen, muss Nachhaltigkeit zu einem zentralen Kriterium bei der Entwicklung und Beschaffung werden. Dazu gehört der Einsatz vortrainierter Modelle anstelle eigener Trainingsläufe, die Optimierung von Inferenzprozessen und eine kritische Prüfung des tatsächlichen Bedarfs an hochkomplexen Systemen. Häufig sind kleinere, effizientere Lösungen nicht nur nachhaltiger, sondern auch günstiger und einfacher zu warten.

Welche Rolle spielt „explainable AI“ für eine nachhaltige Digitalisierung – besonders wenn KMU in Österreich beginnen, KI-gestützte Lösungen etwa für Logistik, Kundenservice oder Umweltanalysen einzusetzen?
Erklärbare KI ist ein Grundpfeiler nachhaltiger Digitalisierung. Sie sorgt dafür, dass algorithmische Entscheidungen nachvollziehbar, transparent und begründbar sind. Für KMUs schafft das Vertrauen bei Nutzer*innen, Kund*innen und Regulierungsbehörden. Gleichzeitig können so frühzeitig Ineffizienzen und Fehler erkannt werden, was sowohl ökonomisch als auch ökologisch vorteilhaft ist. Gerade in Bereichen mit großer Wirkung wie Logistik oder Umwelttechnik sorgt Erklärbarkeit dafür, dass KI den Menschen dient, nicht nur den Systemen.

Wie können ethische Prinzipien wie Privacy-by-Design oder Fairness-by-Design in typischen IT-Projekten von KMU schon in frühen Phasen berücksichtigt werden – ohne die Entwicklungszeit oder Kosten explodieren zu lassen?
Der Schlüssel liegt darin, diese Prinzipien von Anfang an mitzudenken, nicht erst im Nachhinein. Der Einsatz datenschutzfreundlicher Frameworks, Bias-Checks in frühen Modellphasen und die Auswahl von Datensätzen mit klarer Herkunft können umgesetzt werden, ohne die Komplexität erheblich zu steigern. Es gibt mittlerweile viele Open-Source-Tools und Vorlagen, mit denen KMUs ethische Best Practices standardisieren können. Langfristig sparen diese Maßnahmen sogar Zeit, da sie Risiken bei der Compliance und der Reputation minimieren.

Was raten Sie Technik- und IT-Managern in KMU, die Nachhaltigkeit als Teil ihrer Digitalstrategie integrieren möchten – aber oft vor der Herausforderung stehen, knappe Ressourcen und Fachkräftemangel ausgleichen zu müssen?
Klein anfangen, aber konsequent. Wählen Sie ein System oder einen Prozess und analysieren Sie dessen Energieverbrauch. Lässt sich etwas optimieren, vereinfachen oder zurückfahren? Setzen Sie auf schnell umsetzbare Maßnahmen, etwa das Stoppen inaktiver Serverprozesse oder das Löschen unnötiger Daten. Sensibilisieren Sie zudem Ihr Team: Nachhaltigkeit ist keine reine Technikfrage, es ist eine Haltung. Wenn sie Teil der Unternehmenskultur wird, entsteht Dynamik, selbst bei knappen Ressourcen.

Sehen Sie politische oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die angepasst werden müssten, um nachhaltige Softwareentwicklung auch in der Breite – etwa in der österreichischen KMU-Landschaft – zu fördern?
Ja. Anreize und Unterstützungsstrukturen sind essenziell. Das könnten Steuererleichterungen für nachhaltige Cloud-Nutzung sein, Förderprogramme für Green-IT-Tools oder Zertifizierungssysteme für nachhaltige Software. Ebenso wichtig ist Bildung, von der Berufsausbildung bis zu Studiengängen. Wir müssen die nächste Entwicklergeneration mit dem richtigen Handwerkszeug und den passenden Werten ausstatten. Erst wenn Nachhaltigkeit sowohl belohnt als auch in der Ausbildung verankert wird, kann sie zur Norm werden.

Vielen Dank für das Interview.


Zur Person

Mazhar Hameed
Prof. Dr. Mazhar Hameed, Professor für Software Engineering an der GISMA University of Applied Schiences (C)GISMA

Mazhar Hameed ist Professor für Software-Engineering an der Gisma University of Applied Sciences in Potsdam und forscht intensiv zur Schnittstelle von Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Ethik. Seine Arbeiten verbinden technische Innovationskraft mit gesellschaftlicher Verantwortung. Als mehrfach ausgezeichneter Wissenschaftler (u.a. Best Paper Award der EDBT-Konferenz 2024, Research Highlights Award der Sigmod-Konferenz 2024) bringt er sowohl theoretische Tiefe als auch anwendungsnahe Perspektiven aus Industrieprojekten ein.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
logo

Newsletter abonnieren

Sichern Sie sich Ihren Wissensvorsprung vor allen anderen in der Branche und bleiben Sie mit unserem Newsletter bestens informiert.


Zum Newsletter