Weltmarktführer-Potential

Radlnarrisch in die Zukunft

Weltmarktführer
11.05.2022

Zwei Unternehmer haben mit woom ein Fahrrad auf den Markt gebracht, das ergonomisch perfekt auf Kinder zugeschnitten ist. Die Nachfrage ist beachtlich und lässt das Unternehmen derzeit jährlich um mehr als 50 Prozent wachsen.
woom GmbH

Die Gründer von woom, beide Väter und nach eigener Beschreibung „radlnarrisch“, waren unzufrieden mit dem Angebot an Kinderfahrrädern und dachten, das könnten sie besser. Das war die Initialzündung für die Gründung von woom. Heute, neun Jahre später, zeigt sich auf vielen Spielplätzen, dass sie einen richtigen Riecher hatten. Woom bikes, die es für jedes Kindes- und Jugendalter gibt, sind im deutschsprachigen Raum bereits so beliebt, dass teilweise durch Pandemie-bedingte Lieferengpässe gebrauchte woom bikes teurer waren als neue.
Der Industriedesigner Christian Bezdeka und der Marketingmanager Marcus Ihlenfeld fingen also 2013 in einer Garage in Wien an, ein ergonomisch perfekt auf die körperlichen Anforderungen und Proportionen von Kindern zugeschnittenes Fahrrad zu entwickeln, ein „Kinderfahrrad für Kinder“. Denn es sollte auf keinen Fall eine weitere kleine Version eines Erwachsenen-Rads werden, das eigentlich zu schwer für ein Kind ist, wo der Schwerpunkt falsch liegt und bei dem die Griffe zu groß für Kinderhände sind. Heute sind 80 bis 90 Prozent der Komponenten wie etwa Rahmen, Kurbeln und Lenker eigens für Kinder konstruiert, vieles davon von woom selbst designt, und zwar für jede Altersgruppe extra.

Starkes Wachstum
Mittlerweile findet die Entwicklung der Räder nicht mehr in der Garage, sondern vorwiegend in Büros statt, in denen man mit CAD-Programmen und digitalen Zwillingen arbeitet. Zuletzt wurde mit woom NOW ein neues Modell entwickelt, das im April auf den Markt kam. Es ist mit seinem Front-Gepäckträger, der für Rucksäcke designt ist, vor allem für den urbanen Raum gedacht. Zum woom-Portfolio gehört unter anderem auch ein Laufrad ohne Pedale für Eineinhalbjährige und sogar E-Mountainbikes für Kinder.

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Fingen 2013 in einer Garage an: Industriedesigner Christian Bezdeka und der Marketingmanager Marcus Ihlenfeld.

Derzeit hat woom, das den Hauptsitz in Klosterneuburg hat, 207 Mitarbeiter – Tendenz stark steigend: Anfang 2023 sollen es 300 sein. Das jährliche Wachstum liegt derzeit im Schnitt bei mehr als 50 Prozent – 2020 waren es gar 63 Prozent. Besonders stolz ist man darauf, dass Ende 2021 das 500.000. woom bike produziert wurde. Mehr als die Hälfte davon, nämlich 290.000 Räder, wurden allein 2021 verkauft und damit ein Umsatz von 85 Millionen Euro erzielt – auch hier rechnet man 2022 mit einer deutlichen Steigerung. Dass sogar die Kinder von Mark Zuckerberg auf woom radeln, wird dem Geschäft auch nicht gerade schaden.

Kundenerlebnis zentral
Neben dem DACH-Raum sind die USA der wichtigste Markt des Unternehmens. Dort ist fast ein Drittel der Mitarbeiter tätig – der Rest in der EU. Den Vertrieb in den USA hat Mathias Ihlenfeld, der Bruder eines der Gründer, aufgebaut. 2021 wurde woom USA integriert und gemeinsam mit dem Standort Österreich unter einer Holding vereint. Nachdem sich die Gründer aus dem operativen Geschäft zurückgezogen haben, ist Mathias Ihlenfeld seit heuer neuer CEO. Zur neuen Geschäftsführung gehören auch CFO Paul Fattinger und COO Martin Bartmann.
Woom verkauft die Fahrräder in den USA ausschließlich online über die eigene Website. Auch in Europa kann man online bestellen, aber hier gibt es auch ein Händlernetzwerk, wobei man auf ausgewählte Fachhändler mit guter Beratung setzt. Woom verfolgt einen Omnichannel-Ansatz und legt dabei viel Wert auf das Kundenerlebnis. Fattinger: „Der Kunde steht im Zentrum unserer Strategie. Wir haben eine eigene Customer-Experience-Abteilung und denken auch, nachdem der Kunde gekauft hat, noch an ihn, denn unser Verständnis der Marke ist, eine Beziehung zu pflegen.“ Bei woom können Kund*innen zum Beispiel noch beim Kundenservice anrufen, wenn sie Fragen oder Probleme haben.

Weltmarktführer-Potenzial
Insgesamt ist woom derzeit auf 30 Märkten vertreten, darunter Italien, Spanien, Ungarn, Tschechien und Polen. Fattinger: „Die großen Märkte, die wir in diesem und nächstem Jahr verstärkt angehen, sind Frankreich, die Niederlande und UK.“ Der Markt mit dem größten Potenzial sind aber klar die USA: „Wir haben in den USA noch einen relativ geringen Marktanteil, aber wir wachsen dort sehr viel stärker als 50 Prozent.
Wir sehen in diesem Markt mit großer Kaufkraft ein Riesenpotenzial.“
Ein Riesenpotenzial sehen offenbar auch andere im Geschäft von woom: So holte das Unternehmen im Herbst 2020 erstmals Investoren an Bord, darunter Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner, der dem Unternehmen sogar zutraut, internationaler Marktführer zu werden und an die Börse zu gehen. Paul Fattinger sagt dazu: „Wir haben nicht das Ziel, Weltmarktführer zu werden. Was uns antreibt ist die Vision, Millionen von Kindern fürs Fahrradfahren zu begeistern und den Planeten zu einem besseren Platz zu machen.“ Er hält es aber für möglich, dass sich dabei die Weltmarktführerschaft einstellt: „Wir brauchen für unseren Weg Mittel für Innovationen, und das heißt, wir müssen wachsen. So gesehen ist auch der Weltmarktführer nicht weit.“ Wichtig dabei sei es, profitabel, aber auch nachhaltig zu wachsen, also die Prozesse und die Qualität hochzuhalten und viel ins Unternehmen zu investieren.

Produktion in Europa
Nachhaltigkeit verfolgt man auch bei der Produktion. Zunächst ließ woom die Fahrräder in Kambodscha produzieren, was allerdings zu Kritik führte: Die „Zeit“ hatte 2019 über schlechte Arbeitsbedingungen in dem Werk berichtet. Die Geschäftsführung sagte, sie wolle die Sache genau überprüfen. Laut Paul Fattinger liegen die Produktionsstandorte aktuell neben Kambodscha in Taiwan und Bangladesch – und außerdem erfolgt seit 2021 ein Teil der Produktion in einem Werk in Polen.
Corona hat woom nachfrageseitig alles andere als geschadet, eine überhitzte Nachfrage hat es laut Fattinger in Europa im Kinderfahrrad-Bereich aber nicht gegeben. Allerdings haben sich die Wartezeiten aufgrund von Liefer­engpässen teils verlängert. Fattinger: „Supplyseitig sind die Pandemiejahre echt zwei schwierige Jahre.“ So haben sich die Vorbestellzeiten für manche Komponenten auf derzeit bis zu zweieinhalb Jahre erhöht. Immerhin hatte woom schon vorher auf starkes Wachstum hingearbeitet und daher viel Material vorbestellt.
Der Krieg in der Ukraine bringt weitere Herausforderungen und lässt etwa Rohstoffpreise steigen – und das wird auch woom spätestens dann treffen, wenn Verträge erneuert werden müssen. Die hohe Qualität und Langlebigkeit der Fahrräder wird immerhin dazu führen, dass jene Räder, die schon verkauft sind, nicht am Müll landen, sondern fleißig an junge Nachfolgerinnen und Nachfolger weitergereicht werden.