Harald Koisser macht Mut
Wir sind Weltmarktführer der Unmittelbarkeit geworden. Alles muss jetzt geschehen, und für die Zukunft haben wir keine Zeit. Aber wer keine Zeit für die Zukunft hat, verspielt sie. Ein Plädoyer fürs Innehalten und Nachdenken über Visionen.

Wir sind ein kleines Land und in vielem, wo wir gerne Weltmarktführer wären, sind wir es nicht. Fußball zum Beispiel. Aus irgendeinem Grund wäre es uns aber wichtig, obwohl wir es nicht so ganz hinbekommen. Die USA hingegen spielten in der WM sehr achtbar mit, obwohl das wiederum einem Großteil der Amerikaner völlig wurscht war. Dafür sind wir international recht gut in den Disziplinen Xenophobie und Misanthropie, nur gibt es dafür eher wenig Applaus. Diese Weltmarktführerschaft muss man nicht zwingend anstreben und umjubeln. Dafür sind wir nach wie vor Weltmeister im Mülltrennen und haben, auf die Größe des Landes bezogen, mit Abstand die meisten Bio-Landwirtschaftsbetriebe.
Also, wo wollen und können wir noch Meisterschaft zeigen? Wo trauen wir uns zu, über uns hinauszuwachsen? Wo haben wir Pepp, Verve, Courage? Wo streben wir Exzellenz an? Ganz persönlich und mit unserer Firma? Inmitten des Alltags stellen wir solche Fragen nicht, weil wir zu sehr mit dem nächsten Schritt des Lebens beschäftigt sind. Das Überleben ist uns näher als die langfristige Vision, und wir sagen dann: „Dafür habe ich jetzt keine Zeit.“ Wir müssen jetzt Geld verdienen, jetzt die Miete zahlen, jetzt auf Urlaub fahren. Wir sind in unserer Industrie- und Konsumgüterwelt Weltmarktführer der Unmittelbarkeit geworden. Alles muss jetzt sein. Der Konsum muss jetzt stattfinden, die Umstellung der Produktion jetzt, alles jetzt.
Aber wie wollen wir reich und glücklich werden, wenn wir nicht warten können und ein Leben führen wie die Tiere und die Kinder? Für Tiere und Kinder gilt nur und ausschließlich die Gegenwart. Gedanken an später gibt es nicht. Das wirkt aufs Erste sehr lebendig und frisch, aber es ist im Wortsinn auch kurzsichtig. Das Bewusstsein für die Zukunft fehlt. Interessant ist, dass genau das ein Kernbestandteil unserer Ökonomie geworden ist. Wir verkaufen das Morgen für das Heute, glauben allen Ernstes, dass der unablässige Konsum im Hier und Jetzt eine ökonomische Glanzidee ist und haben keine Zeit mehr für die Zukunft. Die Konsumenten nehmen Konsumkredite, um jetzt auf Urlaub zu fahren und irgendein Zeug zu kaufen, das sie später in Form von Kreditraten teuer bezahlen müssen. Die Unternehmer produzieren Produkte, die entsprechend rasch verfügbar sind, kaum nachhaltige Wirkung haben und verscherbeln das alles in einem einzigen unendlichen Abverkauf. Jetzt! Billig! Zwei für eins!
So, und jetzt lehnen wir uns einmal zurück, inmitten des anbrechenden Herbstes und des am Horizont dräuenden Weihnachtsgeschäftes. Zurücklehnen! Jetzt! Und dabei achten wir auf die Gedanken, die uns kommen. Von ganz tief innen, dort wo unsere Sehnsucht wohnt. Die uns sagt, was wir wirklich wollen, wofür wir wirklich da sind mit unserem Unternehmen. Wo sind unsere Stärken, woran glauben wir, welche Vision haben wir, wo wollen wir hin, was ist uns wirklich etwas wert? Wirklich wirklich. So können wir Weltmarktführerschaft in vergessenen Disziplinen erringen: Authentizität, Achtsamkeit, Zukunftstauglichkeit.