Andere Länder beißen nicht!

Weltmarktführer
17.05.2017

Donald Trump ruft im Wirtschaftskrieg zu den Waffen, während in vielen Staaten gegen die EU Stimmung gemacht wird. Wie negativ sich der neue Protektionismus auf die Wirtschaft auswirkt, diskutieren Heinz Scharl, CEO von Klinger, Thomas Haller und Othmar Schwarz von Simon-Kucher & Partners sowie Prof. Thomas Reutterer, Institutsvorstand am Department für ­Marketing der WU Wien.
(v.l.) Stephan ­Strzyzowski, Othmar Schwarz, Thomas Reutterer, Heinz Scharl, Thomas Haller
„In die Türkei zu gehen, war für uns losgelöst von der politischen Entwicklung“, erklärt Heinz Scharl. (li.)

Der amerikanische Präsident will prüfen, welche Unternehmen und Länder der US-Wirtschaft schaden. Besonders im Visier ist dabei die EU. Die versabschiedet sich gerade schweren Herzens von den Briten, während mancher Populist sich die Hände reibt. Was bedeutet diese Entwicklung für die exportorientierten Unternehmen aus Österreich?
Scharl: Die Rhetorik von Präsident Trump ist unerfreulich, aber in der Praxis müssen die Auswirkungen nicht gravierend sein. Wir haben zum Beispiel vor zehn Jahren die Produktionskapazitäten in unserem amerikanischen Werk reduziert. Dafür haben wir die Produktion in Österreich erhöht. Wenn nun Mister Trump die Produktion zurückholen will, stellen wir einfach wieder eine Maschine mehr in Amerika auf. Bei uns ist es also nicht so, dass wir vom Goodwill des Herrn Trump abhängen. Zum Glück können wir rasch reagieren.

Wir wirkt sich diese Entwicklung aber auf Unternehmen aus, die in die USA exportieren, dort aber nicht fertigen?
Haller: Diese Unternehmen treffen höhere Zölle vermutlich massiv. Diese Problematik spiegelt sich auch in den Ergebnissen unserer Umfrage. All jene, die nicht so flexibel wie Klinger agieren können, sehen die Entwicklung als große Bedrohung und haben entsprechend pessimistische Erwartungen. Unternehmen, die vor Ort fertigen, sehen die Drohungen mit einem sportlichen Ehrgeiz und können auf die protektionistische Politik aktiv reagieren. 

Schwarz: Weltmarktführende Unternehmen können eine Entwicklung, die ein oder zwei Länder betrifft natürlich eine Spur entspannter sehen, da sie ja eine große Vielzahl an Märkten bedienen. Bitter sind Strafzölle tatsächlich eher für die gewöhnlichen exportorientierten Unternehmen.

Die Frage ist, ob es bei wenigen Ländern bleibt oder ob sich hier eine bleibende politische Entwickelung abzeichnet.
Scharl: Ein gewisser Protektionismus ist ja wirklich nicht neu. Wir sind dies etwa seit vielen Jahren in Argentinien gewohnt und sehen uns z. B. in Brasilien mit Einfuhrzöllen zwischen 15 und 20 Prozent konfrontiert. Niemand hat sich darüber jemals wirklich aufgeregt.

Woher kommt dann jetzt der Aufschrei?
Scharl: Weil es nun um Amerika und um die EU geht. Trump bedient auch die Medien ganz bewusst. Ich glaube, dass seine Regierung mit dem Bedrohungsfeld China und dem Bild, dass ihnen Arbeitsplätze weggenommen werden, aktiv arbeitet. Er spielt jetzt auf „Made in USA“ und findet damit auch viele, die ihm folgen. Aber Tatsache ist, dass es auch schon vorher viele Länder gab, die Protektionismus betrieben haben – nur eben nicht so marktschreierisch. 
Schwarz: Hier wird tatsächlich vor allem politisch eine spezielle Stimmung kreiert. Mit Wirtschaft hat das alles nur sehr wenig zu tun. Spannend wird allerdings sein, ob Trump damit kurzfristig positive Indikatoren liefern kann. 

Die Börsen feiern jedenfalls aktuell ein All-Time-High.
Schwarz: Was auch an seinen Ankündigungen bezüglich Steuer­senkungen liegt. Was Trump jetzt messbar schaffen kann, sind Arbeitsplätze, und die kann er politisch verkaufen; als Erfolg seines protektionistischen Handelns. Wirtschaftsexperten sind sich allerdings durchwegs einig: Protektionismus ist auf lange Sicht das Falsche! Aber für die breite Masse gilt: Wenn sie sieht, dass es weniger Arbeitslose gibt und die Handelsbilanz sich verbessert, schafft er es in die nächste Legislaturperiode. Und dann wird es spannend, wie sich das in Europa auswirkt.

Womit rechnen Sie? 
Schwarz: Es könnte gut sein, dass Politiker wie Geert Wilders Rückenwind bekommen, wenn sich zeigt, dass der Ruf nach Protektionismus nicht nur Marktschreierei ist, sondern tatsächlich positive Kennzahlen liefern kann. 

Der Wunsch, die Industrie im eigenen Land zu stärken, ist ja nicht illegitim, nur stellt sich die Frage, ob die USA überhaupt ausreichend qualifizierte Fachkräfte dafür haben. 
Scharl: Wir haben vor zwei Jahren eine Firma an der Westküste gekauft. Das Unternehmen ist hochprofitabel, aber als wir uns das Werk angeschaut haben, fanden wir eine überraschend schwache Prozessorganisation vor. Viele Maschinen waren veraltet, und 50 Prozent der Arbeiter leiden unter  Übergewicht, schwitzen bei kleinster Belastung und können kaum acht Stunden effektiv arbeiten. Auch wenn die USA in vielen Bereichen Trends setzen; in der Prozessindustrie brauchen wir Europäer sie nicht zu fürchten. 

Haller: Jetzt könnte man zynisch sagen: Trump lädt international agierende Unternehmen gerade ein, sein Land zu entwickeln. Realität ist einfach, dass die amerikanische Industrie in vielen Bereichen seit Jahren nicht in ihre Infrastruktur investiert hat. Dort stehen Maschinen und Anlagen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Diesen Investitionsstau will er jetzt wohl mit sehr viel Nachdruck lösen. Und das könnte aufgehen.

Scharl: Das könnte tatsächlich die Hidden Agenda sein. Wenn er es so gut hinter den protektionistischen Maßnahmen versteckt hat, muss ich sagen, dass er cleverer ist, als er wirkt. 

Schwarz: Was die Amerikaner allerdings besser können, ist das Prinzip „Costumer First“. Daraus schöpfen sie viel Kraft. Sie können verkaufen. Wenn sie jetzt auch noch auf der Produktionsseite aufrüsten, werden sie ein sehr gefährlicher Konkurrent der europäischen Industrie.

Wie stellen sich Unternehmer so einem Marktumfeld im Idealfall?
Scharl: Aktiv! Wir haben zum Beispiel im Oktober ein Unternehmen in der Türkei gekauft, obwohl viele gesagt haben „Finger weg“. Die Kontrollbank hat die Deckung des politischen Risikos zwischenzeitlich versagt, und als wir zur Vertragsunterzeichnung runterfliegen wollten, war das Attentat am Flughafen. Alles hat dagegen gesprochen. Aber wir haben gesagt: Das Land hat mehr Einwohner als Deutschland, ist wirtschaftlich sehr stark, hat viele geschickte Hände, und der Tourismus fällt gerade massiv zurück. Erdogan wird es sich also nicht auch noch mit der Industrie verscherzen wollen. In die Türkei zu gehen, war für uns also losgelöst von der politischen Entwicklung.

Und wie läuft es bis jetzt?
Scharl:  Gut, die Leute dort sind froh, dass sie nun zu einer internationalen Gruppe gehören und dass wir investieren. Es ist ihnen egal, wer es tut, auch wenn es zwischen unseren Ländern gerade Differenzen gibt. Sie wollen einfach, dass etwas weitergeht.

Klingt, als würde sich die Wirtschaft in vielen Bereichen über das politische Säbelrasseln hinwegsetzen können. Fraglich ist ja generell, ob sich die Globalisierung überhaupt rückgängig machen lässt. 
Scharl: Ich glaube, dass Trump und Erdogan noch immer im Wahlkampf stecken und einfach dem Populismus frönen. Da kommen harte Ansagen super an. Aber lassen Sie einmal die Monate ins Land ziehen. Dann schwächt sich manches ab, und die Wirtschaftsindikatoren bringen die Wahrheit ans Licht. Die Herren werden also das Schiff der Wirtschaft auch nicht großartig umlenken.

Schwarz: Wenn wir sagen, dass die Wirtschaft zwar Leidtragender, aber nicht Auslöser für den Protektionismus ist, glaube ich auch nicht, dass die Globalisierung aufzuhalten ist. Alleine wenn wir uns ansehen, wie Menschen heute über Facebook und Twitter global kommunizieren, wirkt Trump wie ein Widerspruch in sich selbst, wenn er permanent ein Kommunikationsinstrument der globalisierten Welt verwendet. Ein Zurück gibt es also nicht. 

Darüber hinaus besteht ein großer Teil seines Stabs aus ehemaligen Goldman-Sachs-Managern, die vermutlich auch keine Feinde ihres Geldes sein werden. Von den Teilnehmern der Umfrage wollten wir wissen, in welchen Ländern sie Veränderungen zuungunsten ihres Unternehmens erwarten. Die Weltmarktführer haben Großbritannien und die USA genannt. Die klassischen Unternehmer Ungarn, Polen. Wie ist das zu bewerten? 
Scharl: Ich glaube, dass die Antworten vom aktuellen Tagesgeschehen beeinflusst sind. Der Brexit, Trump, Orban und die neue polnische Regierung sind permanent massiv in den Medien. Und der Unterschied in der Ländernennung ist nur logisch: Jedem ist das Hemd näher als der Rock, daher wundert mich dieses Ergebnis nicht. Ich bin mir aber sicher: Wir werden wieder zur Tagesordnung zurückkehren. Wir Unternehmer sollten uns nicht auf den Baum jagen lassen, wegen einer Ankündigung, die getwittert wurde. Oft sind solche Forderungen nicht zu Ende gedacht und kommen auch nicht.

Haller: Ist man durch diese Entwicklungen als Unternehmer nicht auch gefordert, wieder einmal seine eigene Strategie zu überprüfen? Zu überlegen, in welchem Markt man wachsen will und wo man sich zurückzieht?

Scharl: Natürlich. Wir sind zum Beispiel vor ein paar Jahren nach Rumänien gegangen, und ich bedaure diesen Schritt. Nicht nur wegen der wirtschaftlichen Entwicklung. Mit zu viel an Korruption hat sich das Land leider sehr zu seinem Nachteil entwickelt. Das würden wir heute anders machen! 

Es gehört für Sie also einfach zum Business, immer wieder Märkte zu testen und auch wieder zu verlassen.
Scharl: Klar, und es fällt einem kein Stein aus der Krone, wenn man einmal irgendwo scheitert. Man muss einfach ab und an seine Aufstellung überdenken.

Die Weltmarktführer haben bei unserer Umfrage eine sehr positive Sicht auf die Globalisierung angegeben. Die konventionellen Unternehmen bewerten die Globalisierung dagegen gerade einmal neutral. Woran liegt das?  
Haller: Hidden Champions sind im Durchschnitt in 62 Ländern präsent, ihre Risikostreuung ist entsprechend groß. Die gewöhnlichen Unternehmen sind dagegen in elf Ländern aktiv. Wenn ein Land wegkippt, hat man da also einen massiven Nachteil. 

Reutterer: Die Globalisierung liegt einfach in der DNA der Hidden Champions. Globalisierung ist etwas Positives für sie, sie lehnen jeglichen Protektionismus ab. Sie können mit Krisen in aller Welt umgehen, und jetzt kommt halt noch eine mehr dazu. Das ist für sie nichts Neues. Und: Sie haben grundsätzlich eine optimistische, risikofreudige Einstellung. 

Scharl: Wir haben vor drei Jahren eine Ausschreibung von Shell mit der Auflage bekommen, dass man 30 Standorte beliefern muss. Selbst wir haben Probleme damit, Wladiwostok oder Singapur zu beliefern. 27 Standorte decken wir aber ab. Die konventionellen Unternehmer befürchten zu Recht, mit ihren wenigen Standorten gar nicht mitbieten zu können. So gesehen ist die Globalisierung für sie ein Bedrohungsfeld, während wir hier Chancen bekommen. 

Das spiegelt sich auch bei der Frage wider, ob es notwendig ist, manche Branchen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Hier haben 81 Prozent der gewöhnlichen Unternehmer mit Ja geantwortet. Bei den Weltmarktführern haben sich 73 Prozent dagegen ausgesprochen. 
Scharl: Bei uns geht die strategische Ausrichtung aktuell stark in Richtung Dienstleistung. Da kann ich mir schon vorstellen, dass man protektionistisch vorgeht und sagt: Egal, woher das Produkt ist, die Dienstleistung sollte im Land, wo das Produkt gewartet werden muss, durchgeführt werden. Das schafft kurze Wege, spart CO₂ und sichert Arbeitsplätze.   

Haller: Aber das würde bedeuten, dass Sie in allen Ländern Trupps haben müssen, die diese Leistung erbringen können.

Scharl: Stimmt. Ein konkretes Beispiel: Wir haben eine kleine Produktion von Dichtungen in Aberdeen. Wenn draußen auf einer Erdölplattform eine Instandhaltung gemacht wird und eine Dichtung benötigt wird und deshalb die Anlage steht, kostet das bis zu 250.000 Dollar pro Stunde. Wenn wir diesem Kunden einen 24-Stunden-7-Tage-Service bieten und ihm die Dichtung sofort rausfliegen, kostet der Service 2000 Pfund, die Dichtung 20 Pfund. Da fragt der Kunde nicht einmal nach. 

Wenn wir schon thematisch vor der englischen Küste sind: In der Umfrage haben 58 Prozent der klassischen Unternehmer gesagt, dass sie nach dem Brexit mit weiteren EU-Austritten rechnen. Bei den Weltmarktführern waren es hingehen nur 35 Prozent. Wie erklärt sich dieser Unterschied? 
Haller: Das ist schwer zu interpretieren, man muss vorsichtig sein, dass man den stärker regional ausgerichteten Unternehmen nicht eine EU-Skepsis unterstellt. 

Vielleicht muss man es ja nicht einmal so sehen, dass sie sich mehr Austritte wünschen, sie befürchten sie lediglich.
Reutterer: Hier kann man es auch so sehen, dass Weltmarktführer grundsätzlich optimistischer sind und weniger den Teufel an die Wand malen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Unternehmen einen Zerfall der EU wünschen. 

Scharl: Ich glaube, dass es damit zusammenhängt, dass bei den Unternehmern, die im Durchschnitt in elf Ländern aktiv sind, wahrscheinlich zehn davon in der EU liegen. Aufgrund dieser Risikostreuung drücken sie wohl eher eine Befürchtung aus. Wir beliefern dagegen 70 Länder und sind daher weniger abhängig von der weiteren Entwicklung der EU. 

Das zeigt sich auch bei der Frage nach den geplanten Investitionen. Während die Hidden Champions gerade in China und in den USA durchstarten wollen, setzen die arrivierten Unternehmer auf die DACH-Region. In diesem Licht ist es klar, dass weitere Austritte gravierend ins Gewicht fallen würden. 
Haller: Hier zeichnet sich eine Flucht nach vorne bei den WMF ab. Sie gehen dorthin, wo Probleme, aber auch Chancen prognostiziert werden, während sich die anderen auf die Heimatregion zurückziehen. 

Scharl: Donald Trump könnte vermutlich nichts Besseres passieren, als wenn die EU zerbricht und er einen Gegner weniger am Weltmarkt hat. Dann könnte er sich voll auf die Chinesen als Bedrohungsfeld stürzen. 

Die Tatsache, dass Amerika eine Weltmacht ist, die eine wirtschaftliche und politische Agenda hat, rückt nun durch die offensive Strategie Trumps wieder ein wenig mehr in den Fokus.
Haller: Und auch, dass Europa keine hat. Die Amerikaner, die Chinesen und die Russen haben eine klare Agenda, die EU hat in den letzten zehn Jahren dagegen keinen vernünftigen Plan entwickelt.

Reutterer: Europa ist traditionell stark mit sich selbst beschäftigt. Trump tritt jetzt zwar auf wie der starke Mann, aber wenn die demokratischen Institutionen in den USA funktionieren, ist er eben kein Putin und kein Erdogan. Er konnte bislang ja nur wenige seiner Verordnungen umsetzen, wie die Gesundheitsreform gezeigt hat. 

Scharl: In anderen Ländern können halt immer unerwartete Probleme auftauchen. Ich geben Ihnen ein Beispiel: Argentinien ist nach Brasilien die größte Volkswirtschaft Südamerikas. Nur haben wir rechtlich keine Chance, auch nur einen Euro Dividende aus dem Land nach Österreich zu bekommen. Ob das ein gutes Investment war? Wir machen schöne Ebits, entwickeln uns, aber bekommen kein Geld zurück. Hier können wir nur auf eine moderatere Politik hoffen.

Kann man als Unternehmer solche Risiken überhaupt vermeiden, wenn man am Weltmarkt aktiv sein will?
Scharl: Es geht aus meiner Sicht darum, überhaupt große Schritte zu wagen. Man muss sich von seinen Ängsten befreien, sich seiner Stärken bewusst werden und den Mut finden, sich manchmal wieder zurückzuziehen. Andere Länder beißen nicht! Man soll sich trauen, aus Europa rauszugehen.   

Schwarz: Man muss Veränderung als Chance sehen, dass ist es auch, was Weltmarktführer ausmacht. Sich neu zu erfinden, regionale Strategien anzupassen: Das ist etwas, wovon sich auch andere ein Scheibchen abschneiden können.