Harald Katzmair

Geld, Macht, Status, Meaning

Netzwerk
05.10.2021

Unsere Welt verändert sich und damit auch die Art, wie Netzwerke funktionieren. Warum sie kleinteiliger werden, welche Player an Bedeutung verlieren und wieso einfache Lösungen eine Illusion sind, erklärt der Netzwerkforscher Harald Katzmair im Interview.
Harald Katzmair

Wie haben sich Netzwerke in den vergangen Jahren verändert?

Netzwerke werden immer kleinteiliger. Ganz große Netzwerkknotenpunkte, die sich früher rund um politische Parteien, Institutionen, Banken und Konzerne gebildet haben, verlieren zusehends an Bedeutung. Das liegt daran, dass sich die Zyklen beschleunigt haben und damit auch die Vertragsdauer von Führungspersonen kürzer geworden ist. Dadurch verändert sich auch die Möglichkeit in soziales Kapital zu investieren und Netzwerke aufzubauen. Es geht sich zeitlich einfach nicht mehr aus.

Wie wirkt sich das aus?

Wir sehen immer öfter rein transaktionale Beziehungen. Man gibt einander, um im Gegenzug rasch etwas zu erhalten. Es geht fast nicht mehr anders, weil Netzwerke durch die Beschleunigung den Schatten der Zukunft verlieren. Was planen wir? Was liegt vor uns? Über welchen Zeitraum können wir gemeinsam gehen? Solche Fragen stellen sich nicht mehr.

Werden etablierte Netzwerke dadurch auch schwächer?

Davon würde ich ausgehen. Grundsätzlich gibt es in Beziehungen zwei Archetypen. Variante eins: Wir können uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzen, wobei der Dialog und die Transaktion im Vordergrund steht. Variante zwei: Wir stehen Seite an Seite. In dieser Konstellation zeigt man einander die blinde Flanke und hat einen gemeinsamen Weg vor sich. Wie bei einem Brautpaar, das sich beim Gelübde gegenüber steht und danach Seite an Seite aus der Kirche geht. In der Business-Welt sehen wir nur mehr wenig Seite an Seite. Doch genau dieser Ansatz macht Netzwerke stark. Ohne gemeinsame Projekte und dem Raum für mittelgroße Horizonte, geht das nicht. Wenn der Zeithorizont im rasenden Stillstand schrumpft, haben Netzwerke keine Möglichkeit mehr echte Win-Win-Beziehungen zu schaffen. Die Idee der Komplementarität, des Beistandes – das alles hat strukturell abgenommen.

Es geht immer um Geld, Macht und Status.

Harald Katzmair

Um in Netzwerken eine Rolle spielen zu können, muss man für die anderen Mitglieder nach wie vor attraktiv sein. Muss man heute andere Ressourcen mitbringen als noch vor ein paar Jahren?

Die Währungen der Netzwerke sind zeitlos. Es geht immer um Geld, Macht und Status. Diese Aspekte ändern sich nicht, weil wir uns nicht ändern. Es gibt aber noch eine zusätzliche Währung, die langsam wichtiger wird: Meaning. Es geht immer öfter auch um ein gemeinsames Ansinnen. Wer mitmischen will, braucht heute Money and Meaning.  

An kommunizierten Ansinnen scheint kein Mangel zu herrschen. Immer mehr Menschen setzen sich zum Beispiel, auch unabhängig von ihrer aktuellen Tätigkeit, für Themen wie Nachhaltigkeit ein. Entstehen dadurch neue, langfristige Netzwerke?

An solchen Themen wird natürlich intensiv gearbeitet – aber eher informell. Auf die operative Eben schaffen es solche Themen nicht so häufig. Deswegen gehen auch die Veränderungen rund um ökologische Weichenstellungen nur so langsam voran. Meaning-driven-Networks operieren oft an der Peripherie der großen Netzwerke, vor allem, weil die Akteure selbst keine Mittel haben. Die Ausdauer, große Themen zu treiben, nimmt stetig ab. Gewaltige Projekte, wie den EU-Betritt, würden wir heute sicher nicht mehr schaffen. Ich sehe nur mehr sehr wenige große gemeinsame Anstrengungen.

Auf der anderen Seite wurde innerhalb kürzesten Zeit aufgrund internationaler Kooperation und Vernetzung der Wissenschaft ein Covid-19-Impfstoff entwickelt.

Stimmt, aber hinter dieser Entwicklung steckt eine zehnjährige Anstrengung, die bereits vorhanden war, sowie enorme wirtschaftliche Interessen. Die einzigen Situationen, in denen wir also noch Seite an Seite stehen, sind Krisen und Katastrophen. Dann sind wir zu Kooperation gezwungen.

Die Welt scheint komplexer geworden zu sein. Alleine zielsicher Entscheidungen zu treffen, ist für Manager heute fast unmöglich. Gewinnen Netzwerke in diesem Licht an zusätzlicher Bedeutung?

Die Bedeutung von Netzwerke liegt mit Sicherheit nicht mehr ausschließlich im Ausüben von Macht, sondern im Sourcing und darin, ein Lagebild und eine Einschätzung der Wirklichkeit zu ermöglichen. Es geht darum, Risiken bei Entscheidungen zu reduzieren. Dieses Orientierungswissen wird unternehmerisch immer wichtiger. Man darf aber nicht übersehen, dass nicht alle Akteure am gleichen Strang ziehen.

Inwiefern?

Es gibt zwei Gruppen von Akteuren. Die eine Gruppe von Akteuren, kann es sich nicht leisten, der Wirklichkeit nicht ins Auge zu blicken. Ein Unternehmer, der das Feedback der Wirklichkeit nicht wahrnimmt, wird scheitern. Er muss sich vernetzen, um sein Wissen zu erweitern. Doch es gibt auch Akteure, denen es darum geht, die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu formen. Ihnen geht es um Kommunikation. Der Abstand zwischen der kommunizierten Wirklichkeit, die durch sie hergestellt wird, und der tatsächlichen Wirklichkeit, auf die alle anderen reagieren müssen, wird immer größer. Wer exportiert, muss sich mit der ganzen Welt befassen und verstehen, was in China passiert. Jene Welten rund um die sozialen Medien, wo Menschen von der Wirklichkeit entkoppelt sind, erzeugen dagegen lediglich gewaltige Spannungen und Spaltung. Sie tragen nichts zur realen Lösung von Herausforderungen bei.

Scheuen viele Betriebe die Vernetzung mit zu vielen Stakeholdern, weil sie abgesehen von Einblicken auch die Entscheidungsfindung verkompliziert?

Der Wunsch nach Einfachheit endet immer in einer Enttäuschung. Doch viele haben immer schon trainiert mit Komplexität umzugehen. Feuerwehrmänner, Hospizmitarbeiterinnen, die Verantwortlichen von KMU: Sie können mit Komplexität umgehen. Wer versucht, Entscheidungen einfach zu gestalten, sprengt den Laden in die Luft. Das sehen wir auch in der Politik. Man kann nicht militärisch sauber aus Afghanistan rausgehen. Das ist eine Illusion. Leadership liegt heute darin, der Realität ins Auge zu sehen und Seite an Seite mit Mitarbeitern, Kunden, Partner und Wissenschaftlern und der Zivilgesellschaft darauf zu reagieren. Was soll die Firma Doppelmayr machen, wenn die Chinesen 200.000 Sessellifte billigst auf den Markt werfen, um den Markt zu reststrukturieren? Sie werden reagieren und experimentieren und im schlimmsten Fall geht ihre Branche den Bach runter. Ich glaube aber nicht, dass die Welt zu komplex geworden ist. Wir wollen nur nichts ändern und sagen deswegen, dass alles so kompliziert ist. 

Wie verändert sich die Position der wichtigen Knotenpunkte? 

Früher haben wir in Netzwerken oft fünf große Knotenpunkte gesehen, heute sind es manchmal 400 kleine. Der Erfolg von Unternehmen ist heute wirklich stark damit verbunden, Beziehung einzugehen. Wir haben für einen großen Pharma-Hersteller eine Analyse zu seinen Forschungs- und Kompetenznetzwerke gemacht und festgestellt, dass sie gigantisch groß sind. Das Unternehmen hat unglaublich viele Projekte überall auf der Welt. Diese Fähigkeit produktive Beziehungen einzugehen, ist extrem wichtig geworden, weil sie das Überleben sichert. Welche Knotenpunkte wirklich wichtig sind, hängt dabei mitunter ganz von der aktuellen Herausforderung ab.

Verlagern sich die technologischen und monetären Machtzentren von Europa weg in Richtung Asien und USA?

Die Hyperclass sitzt schon lange nicht mehr bei uns in Europa. Rund um Konzerne wie Google sind unglaubliche Macht-Konzentrationen entstanden. Diese Entwicklung verschärft sich zusehends. Eine Folge daraus ist auch Populismus als eine Form der Revolte gegen diese Machtzentren. Wenn wir keinen Weg finden, wie wir die unterschiedlichen Ebenen von Stadt und Land, von KMU und Konzernen, von Bürgern und Politik wieder verbinden, dann wird  diese westliche Kultur, wie wir sie kennen, nicht überleben. Dann wird es das chinesische Modell. Denn es kann nicht sein, dass Konzerne etwas mit Algorithmen tun, das Auswirkungen auf uns alle hat. Doch wir haben null Einfluss.  

Zur Person

Der Philosoph, Netzwerk- und Resilienzforscher Harald Katzmair ist Gründer und Direktor von FAS.research.