Wir müssen zurück zur sozialen Marktwirtschaft

Inflation
25.08.2022

Geht es nach Monika Köppl-Turyna, muss Europa die Welt jetzt davon überzeugen, dass es keinen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie gibt. Welche Rolle dabei Technologieoffenheit spielt, welche Fehler die Politik unterlassen sollte und wie lange uns die Inflation erhalten bleiben wird, erklärt die Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria im Interview.
Priv.-Doz. Dr. Monika Köppl-Turyna

Mit Corona, Krieg und Inflation hemmen gerade drei Krisen die Wirtschaft. Wie außergewöhnlich ist die aktuelle Situation aus Sicht einer Ökonomin?

Die wirtschaftliche Lage war schon aufgrund der Corona-Krise außergewöhnlich. Nun sind noch weitere negative Einflussfaktoren dazu gekommen. Im Falle eines völligen Gasstopps sprechen wir über eine tiefe Rezession mit minus 6-7 Prozent beim BIP.  Und das, nachdem uns schon Corona starke Einbrüche beschert hat. Aktuell sind die offiziellen Zahlen noch positiv, weil es auch Aufholeffekte nach Corona gibt, aber die ersten Anzeichen aus Deutschland deuten darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum langsamer wird.

In welchen Bereichen macht sich die Abkühlung bereits bemerkbar?

Die Retail-Sales zeigen bereits ein Minus von 8,8%. Wir sehen auch, dass die Investitionstätigkeit der Industrie in Deutschland und Frankreich deutlich nachlässt. Die Erwartungen der Industrie sind insgesamt stark eingebrochen. Das ist ein echter Lead-Indikator. In Amerika ist bereits eine offizielle Rezession am Start. Bei uns wird es im Herbst soweit sein. Umso eher, wenn es tatsächlich zu einem völligen Gas-Stopp kommt. Das würde für uns einen BIP-Einbruch von drei bis acht Prozent bedeuten. Aber auch ohne Stopp rechnen wir mit signifikanter verlangsamtem Wachstum. Und wir sollten lieber nicht darauf bauen, dass sich die Preissteigerung vor Frühling verlangsamt. Die Terminmärkte für Strom und Gas zeigen eindeutig, in welche Richtung die Tendenz geht.

Was könnte dazu führen, dass sich die Stimmung wieder aufhellt?

Ich fürchte bei einem Angebotsshock kann man nicht viel tun. Das Problem liegt in den Produktionskosten. Der Staat kann sie den Firmen absichern und Unterstützungen für energieintensive Betriebe einführen. Damit werden aber auch Geschäftsmodelle gefördert, die nicht überlebensfähig sind. Die Insolvenzzahlen sind jetzt zwar gestiegen, aber die Corona-Hilfen sind viel zu lange gelaufen. Wir beobachten jetzt einen sehr schnellen, starken Schock. Bei so einer von außen verursachten Veränderung des Angebotes ist es für den Staat schwer gegenzusteuern.

Als Gegenmaßnahme hat die EZB den Leitzins erstmals seit Jahren um 0,5 Prozent angehoben und schon drohen Staaten wie Italien, Griechenland und Portugal ernsthafte Probleme bei der Refinanzierung. Hätte die EZB schon früher ansetzen müssen?  

Das Erhöhen der Leitzinsen hemmt das wirtschaftliche Wachstum, wirkt aber gegen die Inflation. Bei einer nachfragegetriebener Inflation, verlangsamt die Erhöhung des Leitzinses die Inflation. Bei einem angebotsseitigen Shock funktioniert das ebenfalls, aber mit dem Effekt einer möglichen Rezession. Zu den Problemen mit den internationalen Lieferketten werden jetzt auch noch die Kreditkosten teurer. Infolge wird mehr gespart und die Unternehmen investieren weniger. Wenn sie keine Finanzierungen mehr bekommen und höhere Kosten haben, fördert das die Rezession.

Hätte die EZB den Leitzins nicht anheben sollen?

Die Maßnahme war trotzdem richtig. Doch wir haben ein Spread-Problem, vor allem in Italien. Italien hat kurze Anleihen zu variablen Zinssätzen emittiert, die jetzt steigen. Die Refinanzierung wird rasch ein Problem werden. Dass Italien die drittgrößte Wirtschaft in der Eurozone ist, macht die Situation noch komplexer.  

Wie lässt sich das Dilemma lösen?

Nur durch strukturelle Reformen in den betroffenen Ländern. Alles andere schadet der gesamten Eurozone. Man hätte natürlich auch schon früher aus niedrigen Zinsen aussteigen können. Zudem wäre eine Reform der Schuldenbremse und der fiskalischen Nachhaltigkeitskriterien nötig. Die Schuldenabbaukriterien müssen so gestaltet werden, dass Flexibilität für hochverschuldete Länder bestehen bleibt, sie ihre Schulden aber konsequent zurückzahlen.

Wird uns die Inflation länger erhalten bleiben und wo verorten Sie die wesentlichen Treiber?

Ich sehe zwei wesentliche Elemente. Einerseits wurde Nachfrageseitig zu viel „Geld gedruckt“. Andererseits treibt das verringerte Angebot die Preise in die Höhe. Dahinter stecken die Energieproblematik und die Engpässe in den Lieferketten. Zudem balanciert ein Markt immer zwischen Angebot und Nachfrage. Viel billiges Geld schafft eine hohe Nachfrage. Die Investitionsprämie hätte man deshalb schon vorher abdrehen können. Es gibt aber noch mehr spannende Elemente in der Gleichung.

Welche sind das?

Zum Beispiel die Demographie. Wir werden schon bald noch weniger günstige Arbeitskräfte am Markt haben. In China wächst die Wirtschaft bereits langsamer, aufgrund der Ein-Kind-Politik ist das Land zudem mit einer Überalterung konfrontiert. Das wird die Produktionskosten weiter steigern. Auch die politischen Ziele der Dekarbonisierung und die Verkürzung der Lieferketten werden die Kosten erhöhen. Und die Verschuldungssituation in Europa bringt uns auch noch in eine Zwickmühle. Zudem reagiert die EZB bei weitem nicht so schnell wie die Fed. Diese Elemente führen dazu, dass die Inflation mittelfristig höher bleibt, als gewohnt.     

Müssen wir uns auf ein anhaltendes Szenario Umwelt gegen Wachstum bzw. Wirtschaft gefasst machen?

Diesen Widerspruch muss es nicht geben, der ist hausgemacht. Europa ist für rund 8% der weltweiten Treibhausgas-Emission verantwortlich. Wenn wir uns zu Tode regulieren, um sie zu senken, werden wir die Welt trotzdem nicht retten.

Wie könnten wir sie denn retten?

Indem wir die Welt davon überzeugen, dass es keinen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie gibt. Kein afrikanisches Land wird eine Umweltpolitik umsetzen, die seiner Wirtschaft schadet. Dort verhungern noch immer Menschen. Die Welt ist immer noch sehr arm. Deshalb dürfen wir ihr unser Korsett nicht zumuten. Wir müssen zeigen, dass es nur gemeinsam mit der Wirtschaft geht. Das müssen wir schlau angehen, die Preise wirken lassen und den Umstieg durch Technologieoffenheit vorantreiben.

Sie sprechen damit vermutlich die Elektromobilität an?

Ja, das Verbot von Verbrennungsmotoren ist ein gutes Beispiel, wie es nicht geht. Es gibt natürlich mittlerweile tolle Alternativen. Aber dadurch werden ganze Industriezweige abgedreht, die nichts mehr entwickeln können. Wir müssen auch die Bürokratie abbauen, wenn wir ökologische Lösungen wollen. Viele PV-Genehmigungsverfahren dauern ewig. Zudem wartet man auf einen Handwerker Jahre lang. Auch, weil man aufgrund des Gewerberechts fünf verschiedene Handwerker braucht. Das ist alles zu kompliziert. Es braucht aber auch Planbarkeit und Zugang zu Finanzen. Das sichert Investitionen. 

Sehen Sie, dass solche Veränderungen nun tatsächlich in Gang kommen?

Das BMK plant grade Vereinfachungen bei PV und Windrädern. Wasserkraft war dabei allerdings nicht explizit genannt. Aber das wäre besonders wichtig. Viel größer ist das Problem, dass die europäischen Märkte nicht integriert sind. Wir müssten auf PV in Spanien setzen oder Offshore Windanlagen an der Nordsee und auf hochpotente Leitungen bauen, die den Strom transportieren können. Das ist zum Teil nicht einfach. Aber wir brauchen Energiemarktmobilität. Alles andere ist Ineffizient. 

Rund um die Preissteigerungen von Energie bemüht sich die Politik darum, die Verunsicherung der Bürger mit der Gießkanne einzudämmen, Industrie und Unternehmen sehen sich der Situation dagegen recht schutzlos ausgeliefert. Welche Auswirkungen erwarten Sie?

Im Juni wurde eine Art Zuschuss für Unternehmen beschlossen, deren Energiekosten mehr als 3 Prozent ausmachen. Aber es gibt keine Verordnung dazu und kein Budget. Wir können natürlich nicht alles durchfördern. Aber wenn die Terminmärkte für Strom eintreten, dann haben wir im Winter ein echtes Problem. Und wenn manche Firmen nicht mehr produzieren können, sinkt das Angebot erneut.  

Die EU versucht jetzt neue Lieferanten für Gas zu finden und hat dabei auch Gespräche mit Nigeria aufgenommen. Ein sinnvoller Ansatz?

Die Abhängigkeit von nur einem Land ist natürlich ein Problem. Aber eines, das sich lösen lässt. Polen bezieht zum Beispiel auch Gas aus Norwegen sowie Flüssiggas, wofür zeitgerecht Terminals gebaut wurden. Österreich hätte ebenfalls auf mehrere Handelspartner setzen und einen Zugang zu anderen Pipelines wie Nabucco schaffen können. Wir importieren übrigens auch 80% der PV-Anlagen aus China. Auch da müssten wir auch schauen, dass wir bei Schlüsseltechnologien mehr Souveränität gewinnen. Das Grundproblem liegt darin, dass jene Länder, wo es Bodenschätze gibt, oft keine Demokratien sind. Deswegen ist Diversifizierung der einzige Weg. Und es ist enorm wichtig, dass wir Innovationen ermöglichen und uns unabhängiger machen. Wir müssen mehr Rohstoffe recyceln und neue Technologien aufbauen, die auf andere Ressourcen abstellen.

Die Politik scheint zu langsam zu sein, um die Weichen zeitgerecht zu stellen. Könnten die Märkte das Problem lösen?

In Österreich setzt die Politik gerne auf direkte Eingriffe über Steuern und Förderungen. Man meint: Ein starker Staat müsse sich überall einmischen. Aber ein wirklich guter Staat sorgt dafür, dass es einen ordnungspolitischen Rahmen gibt, in dem Veränderungen stattfinden können. Der Staat müsste dafür sorgen, dass es Wettbewerb gibt und dass die Märkte funktionieren. Das wird oft nicht so verstanden. Viel lieber wird Geld in die Hand genommen oder reguliert. Das ist ein Fehler. Wir müssen zurück zur sozialen Marktwirtschaft.  

Zur Person:

Priv.-Doz. Dr. Monika Köppl-Turyna ist Direktorin von EcoAustria. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen, Arbeitsmarkt und Fragen der politischen Ökonomie.