Teuerungswelle

In der Klemme

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12.09.2022

Strom, Gas, Treibstoff, Stahl, Holz, Plastik, Verpackungsmaterial und Personal: Praktisch alle Ressourcen sind aktuell knapp oder teuer – meist beides. Woran das liegt und wie Unternehmen mit Situationen wie diesen bestmöglich umgehen.
Inflation - die Wirtschaft - in der Klemme

Für KMU sind die Zeiten so schwierig wie noch nie: Da waren die Finanzkrise Ende der Nuller-Jahre, Automatisierung und Digitalisierung, dann die Corona-Lockdowns und jetzt auch noch Krieg in der Ukraine. All dies hat wichtige Ressourcen wie Strom, Gas, Benzin, industrielle Rohstoffe und Personal knapp oder teuer gemacht – oft beides. Hinzu kommt eine Inflation, die sich der Zehn-Prozent-Marke nähert. Und die Ungewissheit, wie lange all das noch weitergeht, ist hoch.
Hermann Simon, Gründer und Honorary Chairman von Simon-Kucher & Partners, dem Weltmarktführer in der Preisberatung, geht davon aus, dass die Inflation wie in den 1970ern etwa zehn Jahre anhalten werde. Kein Wunder, dass viele Unternehmer gerade schlecht schlafen. Simon: „Besonders Mittelständler sind sehr besorgt, weil so viele risikobehaftete Einflüsse auf sie einwirken. Gleichzeitig sind sie etwas ratlos, was sie machen sollen, denn sie haben Druck auf der Einkaufs- und Beschaffungsseite, bei den Preisen und bei der Verfügbarkeit der Produkte, die sie brauchen.“ Anders als 2009/10 besteht jetzt nicht nur eine Nachfragekrise, sondern auch eine Beschaffungskrise: „Jetzt drückt der Schuh überall bis hin zu fehlenden Fachkräften.“

Prognosen erschwert
Josef Baumgartner, Senior Economist am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien, erstellt seit fast 20 Jahren vierteljährlich Inflationsprognosen. Die aktuelle Lage mit zwei sich überlagernden Krisen – Covid und Ukraine-Krieg – mache diese Aufgabe deutlich schwieriger als in Vor-Corona-Zeiten: „Seit Beginn der Covid-Krise ist die Erstellung von Wirtschaftsprognosen erschwert, denn es treten jetzt immer öfter Ereignisse auf, zu denen wir wenig bis keine Anhaltspunkte aus der Vergangenheit haben. Modellrechnungen weisen damit einen viel größeren Unsicherheitsbereich auf.“ Beispielsweise sind die Preissteigerungen bei Strom und Gas „Werte, die wir seit der Liberalisierung des europäischen Strom- und Gasmarktes noch nie hatten“. So lag Anfang 2021 der Großhandelspreis pro Megawattstunde Erdgas unter 15 Euro, stieg bis März 2022 kurzfristig auf 200 und landete Mitte August nach Einschränkungen der russischen Gaslieferungen nach Europa bei 225 Euro. Wie schnell solche Entwicklungen auf Endverbrauchpreise für private Haushalte und KMU überwälzt werden, ist schwer vorherzusagen, da Energieversorger jetzt auch unterjährig Endkundenpreise anpassen. Baumgartner: „Bisher wurden die Preissteigerungen am europäischen Großhandel für Gas und Strom nur zum Teil an die Endnutzer weitergegeben. Es werden weitere Belastungen auf Haushalte und Unternehmen zukommen.“ Insbesondere kleinere Gewerbebetriebe oder Dienstleistungsunternehmen sind meist noch von lokalen Energieversorgern abhängig.

Ein Problem, viele Ursachen
Eine Hauptursache für die Preissteigerungen bei Rohstoffen und Vorprodukten ist Baumgartner zufolge die Verschiebung der privaten Konsumnachfrage im Zuge der Pandemie, nicht zuletzt durch Lockdowns, in denen viele Menschen auf Dienstleistungen wie Urlaube oder Restaurantbesuche verzichten mussten. Dagegen wurde für Konsumgüter wie Möbel, Haushaltsgüter, Gartenausstattung oder Sportequipment mehr ausgegeben: „Die Weltwirtschaft, im Besonderen die Industrie, hat sich dadurch schneller und stärker erholt. Die hohe Nachfrage nach Konsumgütern hat die Industrie-Produktion beflügelt: Sie lag bereits Anfang 2021 über dem Vor-Corona-Niveau. Und jetzt produzieren wir – und das ist nach wie vor der Fall – noch mehr als vor der Corona-Krise.“ Dabei hatte es bereits 2017/18 die „erste echte globale Hochkonjunktur in der Industrieproduktion seit der Finanzkrise gegeben, wo man nahe an die Kapazitätsgrenzen herangekommen war.“ Die Engpässe haben sich weiter verschärft. Rohstoffe wie Stahl oder Vorprodukte wie Chips sind neben Strom, Gas und Öl hochbegehrt, was deren Preise enorm ansteigen ließ. Auch dass Container-Schiffe während der Lockdowns im Hafen festlagen, hat zu Lieferengpässen und -verzögerungen und höheren Transportkosten im internationalen Güterverkehr geführt.

Krieg als Draufgabe
Die Lesart, dass nur der Krieg und die Reduktion der Gaslieferungen aus Russland für Ressourcen-Knappheiten und Preissteigerungen verantwortlich sind, ist laut Baumgartner zu kurz gegriffen. Die Preissteigerungen haben schon im Nachklang der Covid-Krise begonnen, der geopolitische Konflikt kam zu den Entwicklungen jedoch erschwerend hinzu: „Auf diesen bunten Strauß aus Ereignissen hat der Ukraine-Krieg noch das Seine draufgesetzt.“ Weil Russland als Europas wichtigster Gaslieferant die Liefermenge reduziert und Europa noch nicht genug alternative Energiequellen hat, steigen die Preise weiter. Baumgartner rechnet im Fall, dass Russland den Gashahn ganz zudreht, noch im Winter mit einer Rezession. Passiert das nicht, erwartet er 2023 eine Abschwächung des BIP-Wachstums von 4,5 (2022) auf 1,5 Prozent (2023). Unternehmen konnten laut Baumgartner Kostensteigerungen bisher auf Endprodukt-Preise überwälzen: „Aber durch den Kaufkraftverlust, den wir heuer haben, wird auch die Konsumnachfrage weiter beeinträchtigt.“ Die Produktionsindikatoren sind nach wie vor gut, doch die Stimmungsindikatoren getrübt: So hat sich etwa die Investitionsbereitschaft der Unternehmen bereits abgeschwächt.
Berater Hermann Simon führt die Inflation auch auf die Geldpolitik zurück: Geldentwertung folgt auf Geldvermehrung. Die aktuelle Situation stellt laut Simon eine gigantische Herausforderung an Unternehmen dar und verlangt von CEOs und Managern enorme Umstellungen. In seinem im Juli erschienenen Buch „Die Inflation schlagen – agil, konkret, effektiv“ schreibt Simon, die heutige Managergeneration tue sich besonders schwer mit der starken Infla­tion, weil sie damit noch keine Erfahrung sammeln konnte: Eine ähnliche Entwicklung gab es zuletzt in den 70ern. So müssten sie sich in erster Linie daran gewöhnen, Preise viel öfter zu erhöhen als bisher, damit ihre Unternehmen profitabel bleiben – womöglich mehrmals pro Jahr.

Angst vor dem Preis
Preise erhöhen ist schon ohne schwierige Rahmenbedingungen so eine Sache. Simon: „Sogar in normalen Zeiten gilt, dass Manager Angst vor dem Preis haben, weil man ja nie weiß, wie die Kunden reagieren.“ Unter Inflationsbedingungen sei das Preisthema eine zwiespältige Angelegenheit: „Zum einen erwarten die Kunden, dass die Preise steigen, andererseits ist ihr Widerstand stärker, insbesondere, wenn man alle paar Monate die Preise erhöhen muss. Aber es gibt keine Alternative.“ Es gibt nur drei Gewinntreiber: Preis, Absatz und Kosten: „Der Preis ist der einzige Treiber, mit dem man die negativen Entwicklungen bei Absatz und Kosten kompensieren kann.“
Preise zu erhöhen, sei also keine Willkür, sondern eine Notwendigkeit. Doch warum so oft? Simon: „Ich halte es für besser, die Preise häufiger in kleinen Schritten zu erhöhen als sechs Monate zu warten, um dann den großen Schluck aus der Pulle zu nehmen. Dann ist das Jahr nämlich gewinnmäßig kaputt und es gibt noch größeren Widerstand auf Kundenseite.“ Ziel ist eine präemptive Preissteigerung, das heißt, dass man mit eigenen höheren Preisen den steigenden Kosten etwa bei Personal, Rohstoffen oder Transport­aufwendungen zuvorkommt. Auch Praktiken wie Skonto-Zahlungen und Preisgleitklauseln, bei denen sich der Preis zum Beispiel nach dem Dieselpreis richtet, sollten Simon zufolge wieder üblicher werden.

Treue ist ein ­entscheidender
Erfolgsfaktor in jede Richtung

Georg Emprechtinger, Team7

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Preiserhöhungen teils unverständlich
Beim Möbelhersteller Team7 aus Oberösterreich, der dank der hohen Nachfrage nach den Lockdowns noch volle Auftragsbücher hat und mit einem guten Jahresergebnis rechnet, schlägt vor allem der Strompreis schmerzhaft zu Buche: Dieser hat sich laut Eigentümer und CEO Georg Emprechtinger verdreifacht. Auch mancher Lieferant kommt jetzt mit teils unverständlichen Preiserhöhungen von bis zu 30 Prozent daher, die dann zwar meist noch verhandelbar sind, aber dennoch die Kosten stark erhöhen. Solche Preisentwicklungen erlebt Team7 seit rund eineinhalb Jahren. Das bemerkt man insbesondere durch die Investition in die neue Team7-Welt in Ried im Innkreis, wo bis 2023 unter anderem ein Bürogebäude aus Holz für 180 Mitarbeiter entsteht: Der Preis für Schnittholz hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht. Im neuen Gebäude werden rund 5.000 Festmeter Rundholz verbaut – immerhin kommt ein Fünftel davon aus dem eigenen Wald.
2021 entschied sich Team7 ­gegen eigene Preiserhöhungen. Emprechtinger: „Am Anfang haben wir gesagt, wir werden selbst effizienter. Wir haben unsere Holz­ausbeute deutlich verbessert und in allen Bereichen an der Effizienzschraube gedreht.“ Doch die Lage hat sich verschärft, sodass Preisanpassungen nötig wurden. Teils passiert das über temporäre Materialkosten-Zuschläge auf Endprodukte, die in der ­Branche üblich sind.

Treue als Erfolgsfaktor
Team7 hat einen hohen Grad an eigener Wertschöpfung und besitzt etwa ein Sägewerk und einen Wald, der jedoch nicht den gesamten Holzbedarf abdeckt. Neben Energie müssen also auch Holz oder etwa Beschläge zugekauft werden. Damit das Holz langsam reifen kann, hat man einen Jahresvorrat angelegt. Eingekauft wird bei Lieferanten, mit denen stabile Beziehungen bestehen. Emprechtinger: „Wir haben einen großen Vorteil durch unsere langjährigen Geschäftsbeziehungen und unsere Position am Markt: Wir sind der führende Anbieter für maßgefertigte Naturholzmöbel aus edlen Laubhölzern.“ Team7 liefert Möbel und Innenausstattungen in 30 Länder und hat 730 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Jetzt zählt Zusammenhalt. Emprechtinger: „Treue ist ein entscheidender Erfolgsfaktor in jede Richtung – bei Lieferanten, Händlern, Endkunden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“ Weil die Personalsuche durch den ausgeschöpften Arbeitsmarkt eine Herausforderung darstellt und es im Innviertel viele weitere starke Unternehmen gibt, die versuchen, Mitarbeiter abzuwerben, hat man sich etwas überlegt: Seit 2021 wird eine Treueprämie von bis zu 1.700 Euro – abhängig von der Dauer der Firmenzugehörigkeit – an Mitarbeiter bezahlt. 2021 ließ sich Team7 die Maßnahme 1,3 Millionen Euro kosten. Emprechtinger: „Das ist bei einem Jahresumsatz von gut 100 Millionen ein ordentlicher Betrag. Aber es hat sich gelohnt. Wir haben damit Stabilität geschaffen und momentan ist ziemliche Ruhe eingekehrt.“

Herbert Auer im Portrait

Kein Versorgungsproblem
Auch Pollmann International, Automobilzulieferer aus Niederösterreich mit Produktionsstandorten in China, Mexiko, Tschechien und Österreich und 1.600 Mitarbeitern, treffen die Entwicklungen hart. Lieferanten erhöhen laufend die Preise, etwa für Kunststoffe, Stahl oder sekundäre Stoffe wie Verpackungen oder Papier. Ein energieintensives Industrieunternehmen wie Pollmann spürt die massive Teuerung bei den Energiepreisen stark. So haben sich etwa laut CEO Herbert Auer für das Werk in Tschechien die Energiepreise verdreifacht. Ein weiteres Problem ist das Personal, das in Zeiten der Vollbeschäftigung noch schwerer zu finden ist als zuvor. Und es kommt bei manchen Bauteilen – in der Autobranche allen voran Halbleiter – zu längeren Lieferzeiten, wobei dieses Problem laut Auer durch gute Planung abgefedert werden kann: „Wir haben kein Versorgungsproblem, sondern eine Teuerungsproblematik.“
Die steigenden Kosten werden mit Preiserhöhungen kompensiert. Auer: „Natürlich versuchen wir, die Kosten auch durch interne Einsparungen wie zum Beispiel Energiesparmaßnahmen zu kompensieren. Aber man kann mit KVP-Maßnahmen nicht die extremen Teuerungen wegbringen.“ Dabei steht der Automobilzulieferer Konzernen gegenüber, die in der Regel ihre Marktmacht ausspielen. Auer: „Auch wenn die eine oder andere Kundenbeziehung ein paar Kratzer abbekommt, bleibt uns im Moment nichts anderes übrig als die steigenden Kosten eins zu eins weiterzugeben.“ Die Automobil-Hersteller würden aber derzeit gute Margen verdienen, weil sie den Endkunden aufgrund der schlechten Verfügbarkeit keine Rabatte anbieten. Auer: „Es ist wichtig, dass die Hersteller auch etwas davon an die Zulieferer weiterreichen.“

Wir
haben kein
Versorgungsproblem.

Herbert Auer, Pollmann International

Mit breitem Spektrum punkten
Ein Vorteil ist, dass Pollmann Weltmarktführer bei Schiebedach-Kinematiken und Türschloss-Gehäusen ist. Laut CEO Auer hilft aber vor allem ein breites Spektrum. Deshalb will man sich breiter aufstellen, etwa durch den Ausbau der E-Mobilität und außerhalb des Automotive-Bereichs. So hat Pollmann im Jänner das oberösterreichische Unternehmen Maxxom übernommen und baut so den Bereich Automatisierungstechnik für Kunden stärker aus. Pollmann hat laut CEO Auer in seiner 130-jährigen Geschichte schon größere Krisen als jetzt erlebt, weshalb er optimistisch auf die nächsten 130 Jahre blickt: „Es ist wichtig, unter all den Einflüssen wie Covid, Lockdowns, dem China-USA-Konflikt und dem Krieg in der Ukraine kühlen Kopf und eine positive Haltung zu bewahren und auszustrahlen, dass auch wieder bessere Zeiten kommen werden.“

Sechs Tipps für KMU in der Inflation

Pricing-Experte Hermann Simon  rät KMU zu folgenden Maßnahmen und Überlegungen

1. Führen Sie Preiserhöhungen nicht naiv im Kosten-Plus-Sinne durch. Überlegen Sie, wie hoch die Bereitschaft der Kunden ist, mehr zu bezahlen. Das unterscheidet sich stark nach Branchen.
2. Stellen Sie verstärkt auf Nutzen-Kommunikation um und bieten Sie eventuell zusätzliche Services an, um eine höhere Preisbereitschaft zu schaffen.
3. Mit niedrigen Inflationsraten ist der Vertrieb einmal im Jahr zum Kunden gegangen, um den Preis zu erhöhen. Jetzt muss er vielleicht achtmal jährlich zum Kunden. Da es aber nicht immer möglich ist, höhere Preise durchzusetzen, steigt der Druck im Vertrieb.
4. Die Inflation betrifft nicht nur Preispolitik und Vertrieb, sondern alle Unternehmensbereiche. So muss zum Beispiel der Einkauf nicht mehr nur Produkte möglichst preisgünstig beschaffen, sondern auch sicherstellen, dass er sie überhaupt bekommt – oft, ohne viel Pricing-Power zu haben.
5. Inflation bedeutet, dass Geld eine verderbliche Ware ist: Man muss es möglichst rasch einsammeln und schnell wieder loswerden. Nehmen Sie daher Ihr Finanz- und Bestands-Management unter die Lupe und führen Sie zum Beispiel Skonto wieder ein, also einen Preisnachlass bei Zahlung innerhalb von 8 Tagen.
6. Arbeiten Sie auch an den Kosten. Mit Preiserhöhungen kann man ca. 50 Prozent der steigenden Kosten kompensieren, ca. 20 Prozent mit Effizienz und ca. 30 Prozent muss man vermutlich schlucken.