Der Bonus ist aufgebraucht

Arndold Schuh
11.05.2018

Die Region CEE entwickelt sich weiter, und neue Player wie China drängen auf den Markt. Am Rande des Groweast- Kongresses haben wir Prof. Arnold Schuh, Direktor des Competence Center for Emerging Markets & CEE, gefragt, wohin die Reise geht und was das für heimische Unternehmen bedeutet.

Welche Bedeutung haben Mittel- und Osteuropa heute für heimische Unternehmen und im Speziellen für Hidden Champions? Für Weltmarktführer und Hidden Champions, die global in Nischen tätig sind, ist CEE „nice to have“. Weltmarktführer agieren grundsätzlich eher kundengetrieben, folgen ihren Großkunden auf Auslandsmärkte und denken nicht so stark in Regionen. Natürlich hat die Ostöffnung diesen Hidden Champions auch große Aufträge gebracht, vielfach in Russland.

Wer konnte denn besonders in CEE reüssieren? Die echten Gewinner durch die Öffnung der Region waren Firmen wie die OMV, die sich in Rumänien einkauften, mittelständische Produzenten, darunter auch Hidden Champions wie Palfinger oder Miba, die ihre arbeitsintensive Produktion dorthin auslagerten, und vor allem der Dienstleistungssektor. Für den ist die regionale Expansion die natürliche Wachstumsoption. Finanzdienstleister wie Banken und Versicherungen und Handelsunternehmen wachsen vor allem um ihren Heimmarkt herum, und Westeuropa war ja bereits besetzt. Das gilt auch für alle Wirtschaftsdienstleister, die ihren Kunden ins Ausland folgen, wie Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Berater sowie Logistikunternehmen.

Bleibt die Region für diese Player von so großer Bedeutung oder verliert sie sukzessive an Relevanz? Aus österreichischer Sicht verliert CEE eher an Stellenwert. Das sieht man am abnehmenden Anteil des Direktinvestitionsbestands, der von über 50 Prozent vor der Krise nun auf unter 30 Prozent gefallen ist. Die globale Wirtschaftskrise hat diese Region besonders stark getroffen. Infolgedessen haben viele österreichische wie auch westliche Firmen ihre Investitionen zurückgefahren. Dieses Vakuum haben diverse neue Player genutzt, um nach CEE zu expandieren – chinesische, arabische und auch türkische.

Was zieht diese Unternehmen in die Region? Mittel- und Osteuropa waren immer aus zwei Motiven heraus für ausländische Unternehmen interessant: als Absatzmarkt und als Produktionsstandort. Das gilt sowohl für österreichische als auch für neu aufkommende Player. China ist am Absatz seiner Produkte interessiert, die Neue Seidenstraße wird das noch verstärken. Und CEE gewinnt immer mehr Bedeutung als Produktionsstandort, mit Lohnkosten, die zwischen 15 und 30 Prozent von jenen in Österreich betragen. Was Übernahmen betrifft, ist nach den großen Privatisierungswellen wenig an attraktiven lokalen Unternehmen übrig. Heute kaufen internationale Firmen andere dort tätige internationale Unternehmen auf.

„China ist am Absatz seiner Produkte interessiert.“

Welche Firmen sind denn besonders relevant für Investoren? Interessante Kooperationspartner wären die „Local Heroes“, die ich mir in Forschungsprojekten näher angesehen habe. Das sind innovative und gutgeführte lokale Unternehmen, die vielfach auch in Nischen unterwegs sind. Aus Polen kommen etwa die Schuhkette CCC und der Autoersatzteilhändler Inter Cars, die Marktführer im CEE-Raum sind. Oder digitale Spieleanbieter wie CD Projekt, die global erfolgreich sind. Gerade im IT-Bereich gibt es eine Menge an Firmen, die im Antivirusbereich global aufgestellt sind. Solche Unternehmen sind natürlich für Investoren aus der ganzen Welt spannend.

Ist es nicht auch so, dass sich China sehr strategisch – auch politisch gesteuert – in die Region einkauft? Im Zuge der Neue- Seidenstraße-Initiative ist CEE ein Zielgebiet der chinesischen Expansion – das ist strategisch von der chinesischen Regierung vorgegeben, und die Unternehmen folgen diesem Aufruf. Dabei geht es um die Schaffung von Transportkorridoren zwischen China und Europa, wobei der Hafen von Piräus, aber auch die Bahntransporte über Polen, Ungarn und der Slowakei eine wichtige Rolle als Eintrittspunkte in die EU spielen. Für China ist das die Chance, die Überkapazitäten der heimischen Unternehmen auf ausländischen Märkten abzuladen. CEE selbst ist als Absatzmarkt wichtig, noch wichtiger ist die Region als Sprungbrett nach Kerneuropa. Mit der Übernahme europäischer Unternehmen und der kostengünstigen Produktion in CEE kann näher an die Kunden herangerückt werden. Falls die USA mit Handelsschranken den Export der Chinesen einschränken, dann werden diese Mengen nach Asien und Europa umgeleitet, der Druck Chinas wird noch stärker spürbar sein.

Wenn Länder wie China sich stärker bei unseren Nachbarn engagieren: Müsste sich Westeuropas Wirtschaft dann ebenfalls stärker positionieren, um nicht an Einfluss zu verlieren? Die Chinesen füllen hier nur ein Vakuum bei den Investitionen, das die westlichen Investoren nach der globalen Finanzkrise hinterlassen haben. Die Regierungen in Südost- und Mitteleuropa heißen die neuen Investoren herzlich willkommen, weil sie Infrastrukturprojekte anstoßen, die für westliche Unternehmen zu riskant sind. Im Rahmen der Neue-Seidenstraße/ 16+1-Initiative wurde ein eigener China-CEE Investment Cooperation Fund aufgelegt, der ganz gezielt die Stärkung von innovativen lokalen Firmen im Auge hat.

Viele heimische Unternehmen waren schon früh in CEE aktiv. Können österreichische Firmen noch von diesem Bonus zehren? Der Bonus ist aufgebraucht. Man muss auch berücksichtigen, dass sich die Situation in Mittel- und Osteuropa grundlegend verändert hat. Vor 30 Jahren gab es dort kein modernes Bank- und Handelswesen. Westliche Unternehmen haben mit ihren Direktinvestitionen den Ländern auch moderne Technologien und Managementmethoden gebracht. Das gab es davor nicht. Heute ist das aber Standard. Wenn man heute mit einer Innovation in CEE durchdringen will, die den Kunden mehr kostet, ist es genauso schwierig, wenn nicht schwieriger als bei uns. Was unseren Unternehmen aber geblieben ist, ist eine starke Präsenz, die schwer zu kopieren ist. Doch es zeigt sich Gegenwind. So versuchen Regierungen in manchen Ländern den ausländischen Firmen über Sondersteuern und neue Regeln das Leben so schwer wie möglich zu machen, sie zu einem Verkauf an lokale Unternehmen zu zwingen.

Rechnen Sie damit, dass solche protektionistische Entwicklungen weiter voranschreiten werden? Davon können wir wohl ausgehen. Begonnen hat das mit den Banken, denen die Schuld für die Finanzkrise zugeschrieben wurde und die dafür mit der Bankenabgabe bezahlen mussten. Ungarn wollte die Gebühren für Lebensmittelkontrollen von bisher 0,1 Prozent des Umsatzes auf bis zu sechs Prozent erhöhen – was aber nur ausländische Handelsunternehmen getroffen hätte, da die kleineren ausgenommen waren. Diese Aktivitäten richten sich übrigens ausschließlich gegen jene Firmen, die nur am nationalen Markt interessiert sind. Wenn Unternehmen vor Ort produzieren und alles exportieren, werden sie hingegen unterstützt. Aber wehe, man ist ein ausländisches Handelsunternehmen, eine Bank, ein Energieunternehmen oder ein Telekomanbieter. Dann ist man einer nationalistisch eingestellten Regierung, die „Multinational Bashing“ betreibt, ziemlich ausgeliefert. Denken Sie nur an den immer wiederkehrenden Vorwurf seitens der lokalen Politiker, dass bekannte Markenartikel in CEE mindere Qualitäten aufweisen. Die ausländischen Lebensmittelkonzerne werden an den Pranger gestellt und pauschal verurteilt.

Woran liegt es, dass die EU hier nicht bestimmter durchgreift? Das frage ich mich selber. Das hätte im Fall von Ungarn schon längst geschehen sollen. Aber da gibt es anscheinend politische Freunde im Westen, die das durchgehen lassen. Wenn ein EU-Regierungschef die „illiberale Demokratie“ ankündigt, dieses Vorhaben nicht einmal verbirgt und ihn keiner dabei stoppt, dann ist das eine traurige Entwicklung. Und ruft Nachahmer auf den Plan wie eben Polen.