„Das Problem ist der Rohdiamant der Innovation.“

CSR
03.05.2016

Wie schafft man mittels CSR Innovation im Unternehmen? Indem man die CSR erst einmal vergisst und sich auf die echten Probleme konzentriert. Ein Gespräch abseits tradierter Sichtweisen mit dem Innovationsexperten Gerald Steiner.

Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt im Bereich der Innovation. Wie passt die Nachhaltigkeit dazu?
Bei Innovation geht es darum, die Zukunft zu gestalten. Von dieser Warte aus betrachtet steckt darin natürlich eine große Verantwortung. Nehmen wir zum Beispiel Mobilität. Wer hier die Zukunft gestalten will, muss auch Verantwortung für die Umwelt und die Gesellschaft als Ganzes übernehmen. Wenn man also in größeren Wirkungskreisen denkt, drängt sich die Nachhaltigkeit im Rahmen der Innovation fast auf.

Verantwortung übernehmen

Es gibt eingeschworene Nachhaltigkeitsjünger, aber auch Kritiker, die das Wort nicht mehr hören können. Wie sieht Ihr persönlicher Zugang zu dem Thema aus?
Mir war es immer wichtig, die Nachhaltigkeit persönlich zu erfahren. Denn ich stamme aus den Bergen der Steiermark und die Natur ist mir wichtig. Das macht die Sache sehr konkret. Diese Haltung habe ich überallhin mitgenommen.

Sie haben auch in Harvard geforscht und gelebt. Wie hat Sie die Nachhaltigkeit in die USA begleitet?
Dort habe ich mich dem Thema der Nachhaltigkeit im internationalen Zusammenhang gewidmet. Es ging dabei zum Beispiel um so große Fragen wie: Was bedeutet Food Security für unser System? Ich habe erforscht, wie sich solche Themen vom Globalen über das Organisationale bis hin zum Individuum durchziehen. In den USA konnte ich die Breite, die Mehrschichtigkeit und die Komplexität von realen Innovationssystemen besser verstehen.

Was war die Kernerkenntnis?
Dass wir besonders achtgeben müssen, solche komplexen, aber realen Systeme überhaupt erfassen zu können. Erst, wenn wir den großen Rahmen erfasst haben, sollten wir darüber reden, wie man mit dem System bestmöglich umgeht, damit eine sinnvolle Entwicklung für die Zukunft herauskommt. 

Viele Unternehmer in Österreich denken nachhaltig und wollen etwas zur Entwicklung einer positiven Zukunft beitragen. Wo sollen sie ansetzen?
Ganz woanders! Ich würde ihnen nämlich raten, gar nicht bei der Nachhaltigkeit zu starten, sondern bei der Situation, in der sie sich befinden.  

Haben Sie ein Beispiel, wie das aussehen kann?
Denken Sie etwa daran, wie gute Beziehungen entstehen. Sicher nicht daraus, dass eine Person sagt, welche Absichten sie hat. Unternehmer müssen als Erstes ganz genau hinhorchen. Welche Themen sind von Interesse? Wo sind Aktionsfelder? Damit kommen sie erst in einen Bereich, wo eine gemeinsame Problemdefinition möglich wird. 

Genau hinhören und analysieren 

Ein ergebnisoffener Dialog steht also am Anfang?
Ja. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: BMW und der Studiengang Indus­trial Design an der FH Joanneum Graz haben sich gemeinsam mit der Zukunft des Autos beschäftigt. Wir wollten ein neues Auto erdenken, das solche Innovationen mitbringt, dass sie BMW abheben und eine starke Positionierung zulassen. Nachhaltigkeit war hier also nicht das zentrale Thema. Sie ist dann aber in der Problemdefinition trotzdem rausgekommen. Dieser Systemansatz hat dazu geführt, dass ein paar Jahre später ein Projekt die Mobilität der Zukunft bearbeitet hat. Und das ist ein deutlich erweitertes System, wo nicht mehr nur der Autoproduzent mitspielt.

Wenn ich Sie richtig verstehe, müssen Unternehmen also gleich zu Beginn ihrer Innovationsprozesse raus aus ihren gewohnten Denkmustern und aus den Grenzen ihres eigenen Unternehmens.
Absolut. Wir leben heute in einer Zeit, wo Vernetzung, Digitalisierung und Globalisierung ganz zentrale Elemente sind. Man kann jetzt einfach nicht mehr sagen, dass man alleine ein nachhaltiges Unternehmen ist. Man ist vielmehr eingebettet in eine große, globale Wertschöpfungskette mit irrsinnig vielen vor- und nachgelagerten Partnern, deren Positionen man mitdenken muss. Und genau darin liegt die Herausforderung, die nach Innovationen schreit. Es geht um einen Denkansatz in einem größeren Rahmen und nicht zuletzt auch um Vernetzung. Erst danach kommt Nachhaltigkeit. Als Erstes muss man die komplexen Systeme mit ihren Wechselwirkungen verstehen. Erst dann sieht man nämlich die Probleme hinter den Symptomen. Die Probleme sind die Rohdiamanten der Innovation. Wir müssen uns darum jetzt überlegen, ob wir nur das Fieber senken oder ob wir den Entzündungsherd angehen wollen.

Probleme lieben lernen

Polemisch gefragt: Wenn jetzt viele auf ressourcen­schonend und vegan, auf bio und fairtrade machen – sind das für Sie echte Innovationen?
Ich glaube, dass es eigentlich weit mehr braucht. Wir benötigen jetzt wirklich große Maßnahmen. Ich sehe aber, dass wir die Tools durchaus bereits in der Hand halten. Open-Innovation, ­Co-Creation, Tripple-Helix, Transdisziplinarität. Was steckt denn da dahinter? Die Begrifflichkeiten sind mehr als nette Modewörter und sie zeigen, dass man erkannt hat, über enge Grenzen hinaus zu kollaborieren. Die tiefere Erkenntnis ist aber: Wer in seiner kleinen Box bleibt, beschränkt sich. Und das muss nicht mehr sein. Ob nun also echte Innovation passiert und die Schlagworte mit Leben gefüllt werden, hängt immer vom Gesamtpaket ab. Jetzt kapiert man, dass man sich öffnen muss. Wir müssen 
umdenken! 

Sehen Sie in Österreich mit seiner Politik und seiner Bürokratie den geeigneten Nährboden für so eine geistige Öffnung?
Die Politik ist sicher ein Teil des Innovationssystems. Aber eben nur ein Teil. Es gibt auch noch die rechtliche, die institutionelle und auch die sozial-kulturelle, die technische sowie die ökonomische und die ökologische Dimension. Die Politik sollte sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen, aber nur weil das nicht funktioniert, darf man sicher nicht die Hände in den Schoß legen und auf den Sündenbock zeigen. 

Zupacken, anstatt raunzen

Ist das Umfeld in den USA weniger langwierig und mühsam?
Wovon Österreich noch mehr vertragen könnte, ist Unternehmergeist. Wenn man ein Sicherheitsdenken und eine Sparbuchkultur hat, wird man kein Silikon Valley aufbauen. 

Vermutlich gibt es aber auch Ausnahmen. Wo passieren denn hierzulande aktuell spannende Innovationen à la Silikon Valley?
Häufig werden die großen Unternehmen in diesem Zusammenhang dargestellt, sehr oft sind aber die kleinen Systeme die großen Innovationsschmieden. Der KMU-Bereich ist etwa ein ganz wesentlicher Innovationsmotor. Was wir nun stärker forcieren müssen, ist eine entsprechende Entrepreneurship-Kultur. Dafür brauchen wir mehr Venture Capital und die Universitäten müssen mehr Spin-offs zulassen. Da liegt viel Potenzial begraben. Und die Aufwertung der Facharbeiterschaft würde auch helfen. Viele erfolgreiche Unternehmer kommen aus einem Lehrberuf und sind keine Akademiker. 

Momentan erleben wir viele Umbrüche. Ist gerade ein guter Zeitpunkt für kreative Zerstörung, wie Sie der Ökonom Schumpeter beschrieben hat?
Schumpeter hat mit der kreativen Zerstörung ein wesentliches Phänomen aufgezeigt. Nämlich, dass oftmals Zerstörung notwendig ist, damit Neues stattfinden kann. Ich möchte aber die Zerstörung ein wenig relativieren. Wir sollten nicht nur sehen, wo es Zerstörung braucht, sondern auch die Frage stellen: Wo müssen wir etwas adaptieren? Oft kommt es zur Zerstörung, wenn man nicht selber auf Veränderungen reagiert und sich nicht anpasst. Dafür wäre aber noch Zeit. Die Probleme zeigen uns aktuell, wo wir stärker werden müssen und wo wir besser zusammenarbeiten müssen. Denken Sie nur an die Flüchtlingskrise. Wir brauchen jetzt echte Innovationen in den sozialen und den politischen Strukturen – keine Schnellschüsse. 

Anpassen, anstatt untergehen

Sehen Sie eine Chance, dass eine große, technologische Innovation in absehbarer Zeit für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgt? 
Ich sehe eher eine echte Chance in der Vernetzung. Die Digitalisierung und die zunehmende Vernetztheit bedingen, dass die Wirkungen auf einer Seite des Systems sich auf der andere Seite auswirken. Was Europa trifft, trifft zum Beispiel auch Amerika. Aber auch was dort eine Lösung bietet, kann hier weiterhelfen. Wenn wir uns also alle auf gemeinsame Zielsetzungen konzentrieren, können wir viel erreichen. Und eines ist klar: Die Herausforderungen sind enorm. Die Weltbevölkerung wächst, und so wie es aussieht, können wir die Menschen nicht ernähren. 

Und was können nun die Unternehmer konkret tun?
Sie sollen sich auf die verschiedenen Aktionspunkte im System konzentrieren. Und da gibt es sehr viele: die Bewässerung, die Futtermittel, die Logistik etc. Ein sehr spannendes südafrikanisches Projekt, das aufzeigt, wie es gehen kann, dreht sich um Fliegenlarven. Sie fressen Abfälle und werden dann selbst zu hochwertigen Futtermitteln verarbeitet. Eine tolle Lösung für zwei große Probleme. 

Und was können etablierte Unternehmen tun?
Sie können in ihrem Bereich Innovationen umsetzen. Es muss ja nicht immer disruptiv und groß sein. Auch inkrementelle Innovationen, Verbesserungen im Produktionsbereich und bei den Serviceleistungen sind sehr wertvoll. Wenn ein Unternehmen auf Chemie in der Produktion verzichten kann oder durch den Einsatz neuer Methoden Energie sparen, dann ist schon viel gewonnen. Denn durch neue Zugänge kann man auch zu Verhaltensveränderungen beitragen und zu einer Sensibilisierung. Oft kommen Innovationen zustande, weil konkrete Probleme gelöst werden sollen. Dass die Lösung zum Beispiel Energie spart und zu CSR passt, zeigt sich erst nachher. Wenn man also die Mitarbeiter an Lösungen arbeiten lässt, die sie wirklich betreffen, gewinnt man sie in vielen Fällen besser, als wenn man sie von der ethischen Seite her anspricht. 

Wie viel Kreativität ist aus Ihrer Erfahrung im Innovationsprozess gefordert?
Kreativität entwickelt sich immer dort, wo Menschen das Bedürfnis haben, etwas zu verändern. Sie soll also zielgerichtet sein. Das gelingt, wenn es klare Zuständigkeiten, abgesteckte Aktionsfelder und einen eindeutig definierten Prozess gibt. 

Unbequeme Player einbinden

Wer muss aller involviert sein? 
Ich rate immer dazu, nicht nur die Leute zu nehmen, die sowieso interessiert sind, sondern genau die, denen es egal ist. Interessant sind nämlich vor allem die Nicht-Kunden – die machen es einem schwer und sind gerade deshalb von besonderem Interesse. Firmen, die bereits eine Nachhaltigkeitsorientierung haben, tun sich miteinander leicht, aber wenn es Player sind, die anders ticken, kann ein enormes Kreativitätspotenzial entstehen. Das darf ruhig unbequem sein. 

Die CSR-Werhaltung ist also aus Ihrer Sicht nicht wirklich wichtig, um nachhaltige Innovationen anzustoßen?
Ja, genau. Allerdings gibt es sehr wohl Situationen, in denen es eine klare Werthaltung braucht. Zum Beispiel beim Klimawandel. Wenn ich mir etwas für ein zukünftiges Nachhaltigkeitssystem wünschen könnte, wäre es, dass die Positionen der CSR nicht losgelöst, sondern in den Wertschöpfungsprozess integriert sind. Oft gibt es noch einen Nachhaltigkeitsverantwortlichen, einen für Innovation, einen für Marketing und Produktentwicklung. Diese Personen müssen stärker zusammenwirken. Der CSR-Beauftragte muss durchaus für ein neues Geschäftsmodell sorgen können. Das soll kein Tabuthema sein. Die Bereiche müssen ver-
schmelzen. 

Wie sieht Ihre Vision aus, was ein so vernetzter Innovationsansatz bewegen könnte?
Wenn wir diesen Ansatz verfolgen, werden wir nicht nur Innovation vorantreiben, sondern tatsächlich der Lösung großer Probleme wie Mobilität, Migration, Hunger und Terrorismus näher kommen. Eine nachhaltig orientierte Innovation kann sich in Bereiche entwickeln, die weit über ihren Ausgangspunkt hinausgehen. 

Zur Person:
Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Steiner
Departmentleitung – Professur 
für Organisationskommunikation und Innovation
Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement
Donau-Universität Krems