Bundeskanzler im Talk: Was der Wirtschaft zusteht

Bürokratie
11.10.2017

Bundeskanzler Christian Kern, der selbst aus der Wirtschaft kommt, weiß: Aus Sicht der Unternehmer ist aktuell nicht alles perfekt. Vielmehr braucht es dringend Reformen. Wie er Österreichs KMU entlasten will, und warum sich KMU weder vor Maschinennoch Erbschaftssteuer fürchten müssen, erklärt er im Interview.

Interview: Stefan Böck

Was steht den österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmern aus Ihrer Sicht zu?
Christian Kern: Österreich ist ein Land der Klein- und Mittelbetriebe. Ihre gut ausgebildeten und qualifizierten Fachkräfte sind unerlässliche Garanten für den Erfolg der heimischen Wirtschaft. Damit das auch so bleibt, müssen wir aber dafür sorgen, dass auch die Rahmenbedingungen für KMU passen. Wir wollen einen Job-Bonus für jeden zusätzlich geschaffenen Job und die Senkung der Lohnnebenkosten durch die Halbierung des Familienlastenausgleichsfonds-Beitrags (FLAF).

Die mittelständische Wirtschaft klagt über zu hohe Abgaben, Lohnnebenkosten und Bürokratie. Viele Unternehmer sind von der Politik enttäuscht. Wie wollen Sie konkret mittelständische Unternehmen entlasten?
Wir wollen eine Entlastung des Faktors Arbeit, dafür muss Schluss sein mit Steuerprivilegien und Sonderrechten für Großkonzerne. Unser Vorschlag beinhaltet eine Senkung der Lohnnebenkosten um drei Milliarden Euro, indem der FLAF-Beitrag halbiert wird. Außerdem sollen Einkommen bis 1.500 Euro pro Monat steuerfrei sein. Unser Vorhaben zur Föderalismusreform – ein Bereich, eine Zuständigkeit – bedeutet auch eine Entlastung bei der Bürokratie, weil nicht mehr verschiedene Akteure bei einem Thema mitreden.

Viele Unternehmen leiden im Alltag vor allem unter immer wieder neuen Auflagen wie der Allergenverordnung oder dem Rauchverbot. Was tun Sie, um hier Abhilfe zu schaffen?
Wir wollen alle Regulierungen, die das Wirtschaftsleben komplizierter machen als notwendig, entrümpeln, etwa durch die Reduzierung von Meldepflichten und die Reduzierung von Genehmigungsverfahren beim Arbeitsinspektorat. Erste Schritte dazu haben wir bereits gesetzt. Generell gilt: Wir müssen nicht jeden Moment unseres Arbeits- und Geschäftsalltags regeln. Deshalb wollen wir die Verwaltung modernisieren und Verschwendung beenden. Unser Ziel ist es, das One-Stop-Shop-Prinzip auszubauen, um Staffelläufe zwischen den Behörden einzudämmen. Lohnnebenkosten sowie alle Steuern und Abgaben, die am Faktor Arbeit anknüpfen, sollen einheitlich vollzogen werden. Außerdem wollen wir den Arbeitsschutz dramatisch entrümpeln und planen beim Gewerberecht einen regelrechten Kahlschlag. Unser Credo ist dabei: Probleme lösen, wenn sie da sind, aber keine erfinden.

Welche konkreten Impulse wollen Sie setzen, um das derzeitige Wirtschaftswachstum abzusichern? Was werden Sie tun, damit das Wachstum auch bei den Unternehmern ankommt?
Steuerdumping zu verhindern und KMU zu unterstützen steht auf unserem Plan ganz weit oben. Mit substanziellen Senkungen der Lohnnebenkosten, zum Teil gegenfinanziert durch höhere Steuern von jenen Großkonzernen, die es sich bisher richten konnten.

Bei der Wirtschaft geht es auch um Psychologie: Wie wollen Sie dem Mittelstand wieder Mut und Zuversicht geben?
Eine starke Wirtschaft ist Garantin für Sicherheit und Wohlstand. Die österreichische Wirtschaft und vor allem unsere KMU zählen in vielen Bereichen zur Weltspitze. Als jemand, der selbst aus der Wirtschaft kommt, weiß ich, dass nicht alles perfekt ist in Österreich. An vielen Stellen gibt es Reformbedarf. Im letzten Jahr konnten wir schon einige wichtige Initiativen setzen. Wir liegen beim Wachstum über dem EU-Schnitt und sehen erstmals seit vielen Jahren eine sinkende Arbeitslosigkeit. Nun geht es darum, diesen Weg auch konsequent weiterzugehen. Wir wollen attraktivere Rahmenbedingungen für Neugründungen schaffen, die Lohnnebenkosten senken und weitere Erleichterungen für KMU schaffen, wie etwa eine Reparaturprämie.

Widerfährt KMU und EPU Ihrer Meinung nach Gerechtigkeit in Sachen Sozialversicherung?
Selbstständige zahlen den gleichen Krankenversicherungsbeitrag wie Unselbstständige, sind aber deutlich schlechter abgesichert. Dass eine selbstständige Grafikerin etwa für eine Untersuchung Selbstbehalt bezahlen muss, während ein Angestellter dieselbe Leistung von der Krankenkasse bezahlt bekommt, ist ungerecht. Wir wollen den Selbstbehalt ersatzlos streichen und alle Leistungen angleichen. Außerdem wollen wir KMU bei der Entgeltfortzahlung besser finanziell unterstützen.

Kleine und mittlere Betriebe haben Angst, im Zuge von Betriebsübergaben durch die von der SPÖ geplante Erbschaftssteuer belastet zu werden. Können Sie das ausschließen?
In Österreich gibt es 315.000 Klein- und Mittelbetriebe. Laut KMU-Forschung Österreich verfügen nur 11.700 KMU, das sind 3,8 Prozent aller KMU, über ein Eigenkapital von mehr als einer Mio. Euro. Die große Masse der österreichischen KMU ist vom SPÖ-Vorschlag also nicht betroffen. Die wenigen Betriebe, die betroffen sind, profitieren natürlich ebenfalls vom Freibetrag von einer Million Euro.

„Mit Steuerprivilegien und Sonderrechten für Großkonzerne muss Schluss sein.“

Die Erbschaftssteuer wird dennoch mittelständische Betriebe treffen.
Die entstandene Steuerschuld kann aber über zehn Jahre abgetragen werden, so werden Finanzierungsengpässe vermieden. Darüber hinaus kann sich die SPÖ besondere Begünstigungen für Übertragungen von KMU im Familienverband vorstellen. Die unzähligen Familienbetriebe sind das Rückgrat unserer Wirtschaft, sie müssen entsprechend unterstützt werden. In der deutschen Erbschaftssteuer gibt es deswegen signifikante Abschläge bei Betriebsübergaben in der Familie. Voraussetzung ist, dass die Beschäftigung am Standort gehalten oder ausgebaut wird. Dieser Ansatz könnte ein Vorbild für Österreich sein.

Wären KMU von einer Maschinensteuer ausgenommen? Wo verläuft die Grenze?
Die von uns vorgeschlagene Wertschöpfungsabgabe soll keine zusätzliche Belastung bringen. Wir wollen auf die Umwälzungen reagieren, die wir zurzeit in der Wirtschaft beobachten, indem wir gleichzeitig die Lohnnebenkosten senken. Große Unternehmen schreiben mit immer weniger Personal immer höhere Gewinne. Ein Steuersystem, das sich so stark auf eine Lohnsteuer stützt wie das unsere, ist extrem unfair gegenüber arbeitsintensiven Branchen und vor allem auch gegenüber KMU. Mit unserem Modell würden KMU tendenziell entlastet, da mit ihr eine Lohnnebenkostensenkung verbunden ist.

Wenn die Digitalisierung nicht zu einer Heerschar an Arbeitslosen führen soll, muss im Bereich der Bildung rasch Bewegung ins System kommen. Welche Konzepte hat die SPÖ gegen den schon jetzt akuten Facharbeitermangel?
Wir schlagen eine großflächige Ausbildungsinitiative mit dem Schwerpunkt im technischen beziehungsweise naturwissenschaftlichen Bereich vor. Ganz konkret wollen wir 5.000 zusätzliche Studienplätze im MINT-Bereich also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Auch den Lehrberuf müssen wir wieder attraktiver machen. Wir müssen für einen Lehrling endlich genauso viel Geld ausgeben wie für einen Maturanten. Hier besteht zurzeit ein Ungleichgewicht, das angesichts des Fachkräftemangels nicht haltbar ist.