Klimawende ohne Spaltung

Klimawandel
26.03.2023

Zwischen denen, die rasch die Welt retten möchten, und jenen, die keine Dringlichkeit für Veränderung sehen, tun sich tiefe Gräben auf. Damit die Klimaziele dennoch erreicht werden können, braucht es große Visionen, richtige Informationen, Brückenbauer und ein neue Zukunftserzählung.
system change - not climate change

Schauplatz Klagenfurt, Anfang März, kurz vor den Wahlen in Kärnten: Während die Wahlkampf-Truppe der Grünen versucht, Kressesamen-Packerln mit der Aufschrift „Klimaschutz wählen“ loszuwerden, will das Wahlvolk etwas anderes loswerden: „Ihr Klimaaffen!“ „Scheiß-Stroßnpicker!“ „Pickn sollns, bis schwoarz werdn!“ und „Bei uns gibt’s ka Krise, wos solln wir noch retten wolln?“ Diese Stimmen fing eine Journalistin für das Onlinemedium „ZackZack“ des Ex-Grünen-Politikers Peter Pilz für eine Reportage ein. Die Szenerie spiegelt eine gesellschaftliche Misere in aller Härte wider, nämlich das Problem, dass zwar Klimaschutzmaßnahmen nötig wären, aber viele Bürgerinnen und Bürger da nicht mitgehen und zornig auf die „Klimakleber“ sind, die den Verkehr behindern, um Maßnahmen wie Tempo 100 zu fordern.
Doch wie kann der Wandel in eine Zukunft ohne schädliche Emissionen gelingen, ohne dass die Spaltung der Gesellschaft voranschreitet? Wie ist es möglich, einen Großteil der Menschen mitzunehmen? Denn das ist – jedenfalls in Demokratien – nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Der Politikwissenschaftler und Meinungsforscher Peter Hajek, der sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung beschäftigt, ist sicher: Wie die Klimakleber der „Letzten Generation“ es tun, wird es nicht klappen: „Das Problem ist: Während sich ein Aktivist auf die Straße klebt, denken sich die Menschen, die im Auto sitzen, ja nicht: Mein Gott, der hat recht!“ Anstatt die Botschaft der Aktivisten zu hören, ärgern sie sich und fühlen sich obendrein persönlich angegriffen. Da seien die früheren Umweltschutz-Aktionen sinnvoller gewesen, als Greenpeace-Aktivisten auf Kraftwerksschlote kletterten, eine Bohrinsel kaperten oder am Bauzaun des geplanten Atommülllagers Wackersdorf protestierten: „Davon war nicht der einzelne Bürger betroffen, sondern die bösen, bösen Öl- und Atomkonzerne. Und da sind die Menschen natürlich mitgegangen.“

In alten Mustern gefangen
Was kann die Politik also tun, wenn Klimaschutz viele so gar nicht interessiert? Für Hajek liegt der Schlüssel im Framing, also darin, wie die Geschichte erzählt wird. Das Problem des falschen Framings hält er für vollkommen unterschätzt. So werde man mit der Verzichtserzählung à la „Finger weg von Auto, Fleisch und Flugreisen“ nicht viel erreichen: „Die Erzählung, dass alles schlimm und schlecht ist und wir alle zugrunde gehen werden, wenn wir uns nicht ändern, interessiert die Menschen nicht. Denn wir denken zwar alle, dass wir eine intakte Umwelt hinterlassen sollten, aber am Ende sind wir in unseren alltäglichen Mustern gefangen.“ Jeder argumentiere aus seiner Perspektive, zum Beispiel: „Wenn das Fliegen teurer wird, ist das okay. Ich flieg eh nur einmal im Jahr. Aber um Gottes Willen, das Auto darf nicht teurer werden!“ Man hilft sich mit dem Floriani-Prinzip: Anstatt sich selbst an die Lösung des Problems zu machen, wird es auf andere geschoben: „Der Nachbar soll einmal beginnen.“ Das kann im großen Maßstab heißen: China und die USA sollen etwas gegen die Klimakrise tun, denn wir in Europa sind ja viel zu klein, als dass unsere Maßnahmen wirklich was bringen.

Die Erzählung, dass wir alle zugrunde gehen werden, interessiert die Menschen nicht.

Peter Hajek, Meinungs­forscher und Politikwissenschafter

Peter Hajek
Peter Hajek

Gutes Framing wäre laut Hajek jenes vom lässigen Umweltschutz. So seien Argumente wie „Fahrradfahren ist gesund“ oder „Fahrradfahren ist umweltfreundlich“ nicht so wirkungsvoll wie „Fahrradfahren ist lässig“. Die Menschen seien eher dabei, wenn man ihnen die Sinnhaftigkeit vermittelt, also zum Beispiel sagt: „Wenn du das tust, bekommst du etwas ganz Tolles: mehr Lebensqualität, Skipisten und sauberes Wasser anstatt Quallenwasser im Meer.“ Ein Beispiel für eine intelligente Maßnahme sei das Klimaticket, wo die Erzählung lautet: „Schau, wir sollten alle weniger mit dem Auto fahren und weniger fliegen. Deshalb machen wir ein Klimaticket. Das kostet dich zwar was, aber du hast auch was davon.“

Positive Zukunftsbilder
Sabine Hoffmann, Inhaberin der Agentur Ambuzzador, die Unternehmen auf dem Weg zum Geschäftsmodell der Zukunft berät, engagiert sich seit 2019 für Nachhaltigkeit, wobei eine Reise nach Neuseeland prägend war. Dort sah sie mit eigenen Augen, wie viel der Gletscher alle zehn Jahre weggeschmolzen ist – und umso mehr, je näher man in die Jetztzeit kam. Mittlerweile verzichtet Hoffmann bewusst auf Flugreisen und fährt 365 Tage im Jahr mit dem Fahrrad: „Ich hätte nie gedacht, dass das geht.“ Sie glaubt an die Wirkung positiver Zukunftsbilder: „Man kann so viele schöne Bilder zeichnen: Wie wäre es, wenn’s überall sauberes Wasser und gute Luft gäbe, wenn wir viel gesünder wären und die Menschen sich nicht mehr so viel einwerfen würden? Wie wäre es, wenn die Ressourcen gleich verteilt wären und es keine Flucht und keinen Krieg gäbe?“

Schöne Bilder zeichnet Hoffmann auch mit „Empower This Planet“, einer Initiative „von und für Menschen, die bereit sind, sich zu 100 Prozent für die Balance auf diesem Planeten einzusetzen“. Dazu gehören bisher etwa Sonnentor-Gründer Johannes Gutmann, die Hotelière Michaela Reitterer, die das weltweit erste SDG-Hotel betreibt, oder Elisabeth Zoubek vom Biohof Adamah. Sie alle bilden laut Hoffmann einen „bunten Strauß der Ermutigung“, indem sie zeigen, dass der nachhaltige Weg ein Gewinn ist. Das klingt gut. Doch Hoffmann ist klar, dass die Lage schwierig ist: „Wir sind im Zeitalter des Chaos, wo niemand vorhersehen kann, was passiert.“ Oft hört sie von Kunden: „Wenn wir so aufgestellt bleiben wie jetzt, können wir zusperren.“ Deshalb will sie mit ihrer Arbeit Räume schaffen, wo Menschen über ihre Zukunfts- und Existenzängste sprechen können. „Erst wenn wir über unsere Emotionen sprechen, beginnt der Prozess, uns zu engagieren. Vorher denkt sich jeder ‚Was kann ich schon ändern?‘ und fliegt weiter nach Mallorca. Das ist menschlich.“

Wir sind im ­Zeitalter
des ­Chaos.

Sabine Hoffmann, Ambuzzador

Sabine Hoffmann
Sabine Hoffmann

Geduld trotz Zeitdruck
Wenn wir so weitermachen wie bisher, kippt der Planet in vier Jahren, sagt Hoffmann, die unter anderem eine Ausbildung bei Climate Fresk absolviert hat, die sie befähigt, Menschen in drei Stunden Klimawissen zu vermitteln. Das Dilemma: „Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird man unruhig. Eigentlich haben wir keine Zeit mehr, aber trotzdem müssen wir uns die Zeit nehmen, Menschen zu überzeugen, sich zu bewegen.“ Um Spaltung zu verhindern, müssten sich beide Seiten disziplinieren, Geduld und Offenheit an den Tag legen, Dinge anders zu machen. Innovation ist dabei ein Teil der Lösung, aber Reduktion sei ebenso wichtig: „Wir verbrauchen viel zu viele Ressourcen.“ Dennoch sieht Hoffmann die unternehmerischen Chancen: „Ich wette, wenn wir es anders machen, werden sich alle wohlfühlen und wir werden nicht mehr verstehen, wie wir so leben konnten wie bisher.“
Über die Website von „Empower This Planet“ werden auch Jobs ausgeschrieben. Mitinitiatorin Nadine Schratzberger, die das nachhaltige Sportmode-Label Montreet betreibt, ist das wichtig, „damit wir der jungen Generation zeigen, wo man mit gutem Gewissen arbeiten kann und sich nicht nur ausbeuten lassen muss, sondern auch etwas bewegen kann für die eigene Zukunft, für die Gesellschaft nach uns, für die Kinder“. Immer mehr Menschen wollen ihre Arbeitskraft für die gute Sache einsetzen, doch das ist nicht so einfach: „Wenn man nach transparenten Industrien, Geschäftsmodellen und Unternehmen sucht, sucht man die Nadel im Heuhaufen.“ Empower This Planet soll so etwas wie ein Haufen voller Nadeln werden.

Brücken bauen
Dass es am Weg in eine nachhaltige Zukunft Tendenzen der Spaltung gibt, hat auch damit zu tun, dass die verschiedenen Lager nicht miteinander kommunizieren. Dass etwa junge Menschen als Klimaterroristen verschrien, anstatt zu Heldinnen gemacht werden, macht Charly Kleissner traurig. Der Impact-Investor versteht die junge Generation: „Wenn man ihnen keinen Sitz am Podium gibt, müssen sie sich anders Aufmerksamkeit verschaffen.“ Dass sie ausgeschlossen werden, erlebt er, der sich als Brückenbauer sieht, immer wieder: So sagte zum Beispiel eine Person, die er für ein Panel am Katapult Future Festival in Oslo eingeladen hatte, ab, weil sie dort mit dem norwegischen Jugendvertreter der Klimaaktivisten von Extinction Rebellion hätte sprechen müssen. Auch erlebt er, dass die Politik junge Menschen von der Zukunftsplanung ausschließt mit dem Argument, das seien „alles Extremisten“.
Oft wird von einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen dem reichen einen Prozent und dem Rest gesprochen. Charly Kleissner gehört zu dem einen Prozent. Der Tiroler studierte Informatik und ging ins Silicon Valley, wo er unter anderem mit Steve Jobs zusammenarbeitete und um die Jahrtausendwende durch den Verkauf von Unternehmensanteilen reich wurde. Er und seine Frau Lisa, die aus Hawaii stammt, gründeten eine gemeinnützige Stiftung und steckten viel Geld in philanthropische Projekte – mit wenig Effekt. So sei etwa fast kein Geld bei den armen Fischerdörfern Sri Lankas angekommen: „Wir haben verstanden, dass die momentane Art der Philanthropie nicht geeignet ist, die systemischen Probleme wie Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu lösen, sondern dazu beiträgt, sie größer zu machen.“ Sie verzerre die Märkte, steigere Korruption und mache die Almosen-Empfänger abhängig.

Designfehler im Finanzsystem
Schließlich beschäftigten sich Charly und Lisa Kleissner mit der Welt des Finanzierens und stellten fest, dass alles nur um die Maximierung des Returns der Investoren geht: „Es macht sich niemand Gedanken darüber, wer die Externalitäten in Bezug auf Soziales und Umwelt trägt.“ Das Geld für ein „Clean-up“ des Planeten und eine gerechte Gesellschaft fehle im System. So sieht Kleissner einen Designfehler im aktuellen Finanzsystem. Das sei „der Hauptgrund für unsere multisystemische Krise“. Es brauche ein neues System, das nicht nur Shareholder, sondern alle Stakeholder einbindet. Genau daran arbeitet er an vielen Ecken und Enden.

Zehn Milliarden Menschen müssen ein glückliches und erfülltes Leben führen können.

Charly Kleissner, Impact Investor

Kleissner Charly
Charly Kleissner

Als Impact Investor macht er etwa keine rein spekulativen Investments, sondern setzt sein Geld dafür ein, dass die Welt als Ganzes zu einem besseren Ort wird. Zum Beispiel investierten er und seine Frau schon vor elf Jahren in den ersten Social Impact Bond, bei dem die Rendite stieg, je weniger Ex-Häftlinge rückfällig wurden. Das Prinzip dahinter: Bei einem Social Impact Bond geht der Staat einen Vertrag mit einem Intermediär ein, der sich Geld von Impact-Investoren holt, um soziale Dienstleistungen wie etwa ein Resozialisierungsprogramm für entlassene Häftlinge durchführen zu lassen. Wird das Ziel erreicht, also etwa die Wiedereingliederung einer bestimmten Anzahl von Häftlingen in die Gesellschaft nach einer bestimmten Zeit, zahlt der Staat den Investoren ihr Kapital plus eine Rendite zurück. Für den Staat ist das ein gutes Geschäft, weil er so weniger Sozialleistungen und soziale Einrichtungen finanzieren muss. Kleissner hofft, dass diese Idee bald skalierbar wird, damit auch Aktien entwickelt werden, die abhängig vom Impact steigen oder fallen.
Kleissners Vision ist groß: „Wir müssen uns so weiterentwickeln, dass zehn Milliarden Menschen ein glückliches und erfülltes Leben führen können in einer Art, die den Planeten und andere Lebewesen nicht negativ beeinflusst.“ Um das zu erreichen, gründete er etwa den Impact Hub Tirol und Toniic mit, ein Netzwerk für Impact-Investoren. Dort diskutieren die rund 600 Mitglieder regelmäßig darüber, wie sie mit ihrem Geld zum Systemwandel beitragen und einen nachhaltigen Impact mit einem adäquaten finanziellen Return verbinden können. Außerdem arbeitet der Technologe daran, durch Digitalisierung ein gerechteres Finanz- und Wirtschaftssystem zu entwickeln. Kleissner sieht Reiche in der Pflicht: „Wir haben mehr Verantwortung, weil wir mehr Geld haben. Vermögen geht Hand in Hand mit Verantwortung, weil Geld noch so stark mit Macht verbunden ist.“

Es gibt Lösungen
Die Tatsache, dass immer noch viele Menschen wenig Notwendigkeit für Veränderung sehen und sich über persönliche Einschränkungen wie zum Beispiel ausgeweitete Parkverbote in Städten ärgern, führt Rana Adib auch darauf zurück, dass viel Desinformation verbreitet wird, sowohl über den Klimawandel als auch über neue Technologien. Adib ist Geschäftsführerin von REN21, einer internationalen Gemeinschaft, deren Mitglieder sich für erneuerbare Energien einsetzen, darunter Wissenschaftler, Regierungen, Industrie oder NGOs. Zum Beispiel werde behauptet, es sei nicht möglich, auf 100 Prozent erneuerbare Energie zu kommen oder dass die Kosten für Erneuerbare zu hoch seien. Auch Falschinformationen über tote Vögel durch Windkraft, die Umweltauswirkungen von Batterie-Technologien oder Solarpaneele würden verbreitet. Adib: „Erneuerbare Energien bieten heute die günstigste Lösung, um Elektrizität herzustellen. Und es gibt bereits die technischen Lösungen, zum Beispiel für Netze, Netzanschlüsse oder die Speichermöglichkeiten.“ Der Studie „Net Zero by 2050“ der Internationalen Energieagentur zufolge werden 2030 allein Solar- und Windenergie sowie Energieeffizienz-Maßnahmen bereits für die Hälfte der nötigen Emissionsreduktionen sorgen. Desinformationen verlangsamen die Entwicklung und führen Adib zufolge zu Zweifeln und dazu, dass der nötige Ausbau erneuerbarer Energien zu langsam passiert. Adib: „Wir haben die Lösungen für die Klimakrise bereits, aber wir brauchen jetzt mutiges politisches Leadership und Maßnahmen, damit Investoren und Unternehmen sich mehr engagieren.“ Adib wünscht sich auch eine breitere Debatte: „Wir brauchen nicht nur eine Experten-Diskussion über Energie, sondern auch eine ökonomische und gesellschaftliche. Ob Bürger, Städte, Unternehmen – jeder kann eine aktive Rolle am Weg in ein demokratischeres Energiesystem spielen, wo auch die Gewinne besser verteilt werden.“ Deshalb sollte jeder die Relevanz des Themas in seinem Lebensbereich, in seiner Branche verstehen. Adib betont, insbesondere KMU hätten durch die Transformation große Chancen, zum Beispiel durch Reduktion sowie besseres Management der Energiekosten, die Schaffung neuer Jobs und die Implementierung neuer Geschäftsmodelle. Die Lösung zur Überwindung der Gräben ist also ein Paket mehrerer Faktoren: Es braucht die Politik, die mutige Gesetze auf den Weg bringt. Es braucht die Unternehmen, die in aller Welt innovative Lösungen entwickeln und umsetzen. Es braucht die Visionäre, die ein ganz neues Wirtschafts- und Finanzsystem aufbauen. Und es braucht eine Mehrheit an Menschen, die den Sinn der Transformation auch für sich ganz persönlich erkennen können.“