Hermann, Neuburger & die Versöhnung

CSR
05.04.2021

Thomas und Hermann Neuburger haben sich auf die Suche nach wirklich exquisitem fleischlosem Geschmack gemacht. Warum sie dafür quer durch Asien reisen und über 50 Millionen Euro investieren mussten – ein Porträt über ein Unternehmen, das auf eine ethische Trias setzt.
Den Nährboden, auf dem die Pilze der Neuburgers gedeihen, stellen sie selbst her. Er besteht aus biologischer Buche und Fichte.
Den Nährboden, auf dem die Pilze der Neuburgers gedeihen, stellen sie selbst her. Er besteht aus biologischer Buche und Fichte.
Die Neuburgers staunten, welch enorme Vielfalt an vegetarischen Speisen auf Märkten in Asien angeboten wurde.

"Normal ist langweilig“, lacht Hermann Neuburger, und wenn man am Firmenareal in Ulrichsberg im Mühlviertel steht, weiß man, dass der mittlerweile 68-jährige Unternehmensgründer immer noch ein aufregendes Leben hat. Da stehen zwei topmoderne Fabrikshallen. In der Halle links wird Neuburger produziert und rechts Hermann. „Neuburger“ wurde vom jungen Hermann kreiert. Er sollte die Fleischerei seines Vaters in Ulrichsberg übernehmen, hat mit geringer Freude die Fleischerlehre gemacht, Koch gelernt und dann eine dramatische Entscheidung getroffen. Sein Vater hatte schon begonnen, für Leberkäse anstatt der üblichen Fleischreste exquisite Rohstoffe zu verwenden, Edelteile wie Schnitzelfleisch zum Beispiel. Auf diese eine Karte wollte Hermann Neuburger setzen. Anstatt unzählig vieler Fleisch- und Wurstwaren sollte nur noch ein einziges Produkt angeboten werden: jener Leberkäse, zu dem man niemals Leberkäse sagen darf. Eine der herausragendsten österreichischen Marken war geboren, mit der die Firma heute sehr erfolgreich ist.

Herausragend. Das ist auch so ein Lieblingswort von Hermann Neuburger. „Es geht nicht nur darum, ob es ‚richtig‘ ist, was jemand macht. Die Frage ist: Ist es herausragend? Diese Frage führt einen.“ Herausragend, freundschaftlich, achtsam. Das ist die ethische Trias der Firma.

HOHES BEWUSSTSEIN IM ZENTRUM

Herausragend ist ohne Zweifel die neue Marke „Hermann“, die nicht nur als Immobilie der Neuburger-Fabrikation direkt gegenübersteht. Hermann ist vegetarisch und voll biologisch. Hermann gibt es als Rostbratwürstchen, panierte Taler, Schnitzel, Bratstreifen, Käsebratwurst und Faschiertes. Hermann versteht sich als Premiumprodukt der neuen Zeit, wo bewusste, gesunde Ernährung, Einklang mit der Natur und hohes Bewusstsein im Zentrum stehen. Ein vegetarisches Produkt, das „voll sauber“ ist – die gesamte Lieferkette, die Verpackung, das Produkt selbst –, einfach alles ist wie aus dem Lehrbuch der Nachhaltigkeit. „Ohne Thomas hätte ich das nicht angefangen“, sagt Hermann und freut sich, dass sein 32-jähriger Sohn Wirtschaft und Jus studiert hat und hochmotiviert in den Betrieb eingestiegen ist. Ohne Thomas wäre die neue Marke ebenso wenig auf diesem Erfolgsweg wie ohne Geld. Richtig viel Geld. Satte 50 Millionen Euro hat Neuburger investiert. Warum macht man so etwas, wenn man schon derartigen Erfolg hat? 1980 hat das Werk 15 Tonnen Neuburger pro Jahr produziert. Dieselbe Menge wird heute pro Tag ausgeliefert. Während der Fleischmarkt heute gesättigt ist, hat Neuburger Wachstumspotenzial und kann den höheren Verkaufspreis locker halten. Neuburger hat sich vom heimischen Lebensmittelhandel emanzipiert und liefert ein Drittel seiner Produktion nach Deutschland. Neuburger könnte nicht nur genau so weitermachen, sondern eigentlich eine zweite Halle dazubauen und expandieren. Warum dann bloß dieses Risiko? „Ich habe wirklich versucht, Neuburger biologisch zu machen“, sagt Hermann, „aber das ist kolossal gescheitert. Das System der Massentierhaltung mit Billigfleischproduktion lässt das nicht zu. Und die Konsumenten machen einfach zu wenig Druck.“

AUF DER SUCHE NACH ALTERNATIVEN

Dann musste es eben etwas ganz anderes werden, um die Welt besser zu machen. Die Frage, die sich bereits 2009 stellte, war allerdings: Wie macht man überhaupt gute vegetarische Lebensmittel? Es gibt in Europa keine Tradition und kein Wissen dazu. Also begann eine intensive und abenteuerliche Reisetätigkeit von Vater und Sohn Neuburger nach Taiwan, China und Japan. „Wir wussten gar nicht, was wir suchten“, sagt Hermann. Gefunden haben sie immer wieder Möglichkeiten, mit Weizeneiweiß in Form von Seitan, Soja und Pilzen. Diese Pilze in Asien! Die Neuburgers staunten, welch enorme Vielfalt da auf Märkten angeboten wurde. Ein Pilzsteak in China hatte es ihnen angetan, zart und innen rosa. Wie macht man so etwas? Aber die Asiaten lächelten und schwiegen.

Mit großer Beharrlichkeit reisten die Neuburgers in die geheimnisvolle Welt der Pilze, und dort erschloss sich ihnen der exquisite, fleischlose Geschmack. Und schließlich verliebten sie sich in den Kräuterseitling. Just der Kräuterseitling, eine unglaublich sensible Art! Sie stammt aus Norditalien, ist dort aufgrund schlechter Umweltbedingungen ausgestorben, aber in Japan heimisch geworden. Von dort haben sie ihn zurückgeholt. Ganz nah an sich heran. Er wächst jetzt in der zweiten großen Produktionshalle neben dem Neuburger. Eigentlich ist es ein einzigartiges, hochtechnisches Pilzgewächshaus, das die Neuburgers hier hingestellt haben.

AUF DEN BODEN KOMMT ES AN

Den Nährboden, auf dem der Pilz gedeiht, stellen sie selbst her. Er besteht aus biologischer Buche und Fichte. Die angelieferten Pellets müssen ganz sauber sein, denn der Pilz als Pioniergewächs zieht die Mineralstoffe aus dem Holz. In einem großen Mischer wird nach selbst erarbeiteter Rezeptur das Substrat hergestellt, also jener Nährboden, aus dem die nächste Generation an Kräuterseitlingen wachsen darf. Mit hohem Aufwand wird so ein absolut perfekter Waldboden simuliert samt dem bestmöglichen Klima. Da gibt es vier Wochen lang Sommer, und dann kommen die Pilze in den Herbst mit hoher Luftfeuchtigkeit bei rund 15 Grad. Dann wird händisch geerntet. „Wir müssen sechs Wochen vorher wissen, welche Mengen wir wirklich brauchen“, sagt Thomas, aber das muss man bei einem Naturprodukt erst einmal hinbekommen. „Auf der frischen Seite kann man nichts puffern.“ Darum entwickeln sie jetzt einen Burger, den man hoffentlich tiefkühlen kann und der nach dem Auftauen ohne jeglichen Vitalverlust großartig schmeckt. Mit Lachen erzählt Hermann von einem Koch in Thailand, der ihnen für tausend Dollar Cash in seiner Küche gezeigt hat, wie man einen wirklich guten vegetarischen Burger macht. Jetzt stellen sie alle Hermann-Produkte aus genau fünf Grundzutaten her: Hühnerei, Reis, Pflanzenöl, Gewürzen und natürlich dem Kräuterseitling als Star. Die neue Marke soll nicht einfach nur nachhaltig sein, sondern Freude machen und die Menschen mit sich selbst und der Natur versöhnen.

Darum ist bei Hermann alles sauber: Das abgeerntete Substrat des Produktionsprozesses geht in die Kompostierung. Das ist sehr gut, aber vielleicht geht es noch besser. Gerade ist ein Forschungsprojekt am Laufen, wo geklärt wird, ob man daraus ausreichend Chitosan gewinnen kann, also jenen Stoff, der in Bandagen enthalten ist. Thomas ist auch überzeugt, dass der Hermann-Abfall wunderbarer Rohstoff für die Zellstoffherstellung ist. „Der Pilz spaltet die Holzfaser perfekt auf“, sagt er, „sonst muss man das immer erst irgendwie herbeiführen. Bei uns passiert das automatisch. Da könnte man relativ einfach Fasern für Kleidung daraus machen.“ Dann wäre die Lebensmittel-Marke Hermann eine von vielen Perlen auf einer langen Wertschöpfungskette. Das wäre dann wirklich – herausragend.