Bio-Wein: Riecht anders, schmeckt anders

Bio
01.03.2019

Das kulinarische Prestigeprodukt Wein kommt unter Druck und bewegt sich in Richtung Bio. Warum Wein wieder ein Naturprodukt werden könnte.
Anne Thysell, Spar

„Man beachte die feine Note an Carbendazim und Azoxystrobin im Abgang mit Anklängen von Procymidon. Und natürlich die nicht zu unterschätzende Menge von Glyphosat, die diesen Jahrgang besonders auszeichnet.“ Solch eine Weinbeschreibung könnte man durchaus hören, wenn sich manche Winzer mehr den Inhaltsstoffen als der Poesie verpflichtet fühlen würden. „Wein ist Monokultur“, sagt Maria Faber-Köchl, Winzerin in Eibes thal im Weinviertel, „schau dir nur den Boden an. Monokultur erzeugt Bodenverdichtung. Dann fährt man dauernd mit dem Traktor drüber. Und dann spritzt man auch noch. Jahrhundertelang wurde der Boden von unseren Vorfahren schonend behandelt. In den letzten Jahren haben wir alles vernichtet.“ Der Boden! Er ist der Winzerin, die heuer ihren ersten Jahrgang an Biowein auf den Markt bringt, am wichtigsten. „Wenn der nicht lebt, versorgt er die Pflanze nicht.“ Den Weinstock könne man nur biologisch stärken. Alles andere schwächt ihn.

GIFT KOMMT IN DEN WEIN

„Es gibt schon gegen jede Spinnen- und Insektenart irgendein Gift. Wo soll denn das hinführen?“, fragt Heidemarie Schwarz, die gemeinsam mit ihrem Mann Franz unter dem Namen „Schwarzspecht“ den einzigen Weinhandel in Österreich ausschließlich mit Biowein betreibt, „das geht doch alles direkt in die Pflanze.“ Und es kommt in den Wein, denn die Flüssigkeit ist ein Kaltauszug des Rebstocks, wo auch leicht flüchtige Inhaltsstoffe aus der Pflanze gelöst werden. Somit also auch systemische Gifte.

Produkte der Agrochemie wurden in manch großem, prestigeträchtigem Bordeaux ebenso nachgewiesen wie in Weinen aus so gut wie allen namhaften Weinbauländern. Ein Skandal? Ein önologischer GAU? Noch wird nicht so scharf geschossen. Aber das Prestigeprodukt Wein kommt unter Druck und kann sich nicht mehr hinter blumigen Beschreibungen verstecken. Der lange Abgang könnte im Krankenhaus enden. Tatsächlich mussten im Jahr 2014 Schulkinder in Blaye in Bordeaux in ein Spital gebracht werden, weil sie über Übelkeit klagten. Ein Winzer nebenan hatte ein Fungizid gesprüht. Schlagzeilen, die das Thema in den Blickpunkt der Konsumenten rücken. Kein Wunder, dass die Ökobewegung nun auch den Weinbau erfasst. In Kalifornien wurde auf Druck der Winzer Glyphosat bereits vor einem Jahr verboten. Aber auch europaweit ist ein Trend hin zu Bioweinen bemerkbar. Österreich ist mit einem Anteil von 12,5 Prozent Bioweingärten (Grüner Bericht, 2017) dabei, Wien tut sich sogar mit 28 Prozent Bioreben hervor.

„Ich wollte eigentlich nur einen guten Wein zu meinem Essen haben“, erinnert sich Franz Schwarz an die Anfänge seines Weinhandels. „Gut“ hieß „gesund“, denn was nicht gesund ist, kann nicht gut sein. Dass es wie Franz auch vielen anderen Österreichern geht, zeigen Zahlen aus dem Handel.

„Wir verzeichnen bei unserer Eigenmarke Biorebe eine starke Steigerung“, betont Anne Thysell, Sortimentmanagerin bei der Handelskette Spar, und Susanne Moser-Guntschnig von Rewe darf sich über Zuwächse bei den Ja!Natürlich-Weinen freuen. „Wir erklären uns das so, dass die Leute, die bei Lebensmitteln bio kaufen, auch beim Wein darauf achten“, so Thysell. Es sind also nicht die Weinfreaks, sondern Bioliebhaber, die für das Umsatzplus beim Biowein sorgen. „Schau mal in deinen Kühlschrank“, rät Maria Faber-Köchl, „wie sieht es dort aus?“ Befänden dort Biolebensmittel, dann würde man einfach auch Biowein trinken wollen. Das wäre eine Lebenshaltung. „Diese Kunden fühlen sich bei klar gekennzeichneten Bioprodukten gut aufgehoben“, betont die Rewe-Sprecherin Moser-Guntschnig.

BIOWEIN-VORREITER ITALIEN

„Besonders in Italien geht der Trend massiv zu Biowein“, sagt Gianni Lo Franco von der Fattoria La Vialla, Italiens bekanntester Biolandwirtschaft in der Toskana, „man muss aber zwischen jenen unterscheiden, die das aus Überzeugung tun, und jenen, die einer Mode folgen.“

Die Überzeugung ist nicht rein ethisch motiviert, sondern auch qualitativ. Es hat sich gezeigt, dass Bioweine eine Möglichkeit sind, sich zu unterscheiden. Die Weine sind anders. Zum Beispiel haltbarer. „Man merkt es bei den Weißweinen“, so Heidi Schwarz von Schwarzspecht. Sie erklärt: „Die Industrie hat geholfen, Weine zu schönen. Wenn man das mit aromatisierten Hefen macht, baut sich die Säure zurück, die Frucht ist weg, und der Wein ist nach einem Jahr schal und leer. Damit kann man dann nicht einmal mehr Glühwein machen.“ Darum wären alle so hektisch und wollten, dass man Weine jung trinkt.

Winzerin Maria Faber-Köchl weiß auch mittlerweile aus eigener Erfahrung: „Was die Franzosen Terroir nennen, kommt im Biowein deutlicher zum Ausdruck.“ Und es hat für sie Auswirkungen im Keller. Spritzt man im Weingarten Herbizide, dann habe man auch keine Scheu, im Keller Reinzuchthefen zu verwenden. Wer aber im Weingarten auf Bio setzt, mag den Wein dann im Keller nicht „versauen“. „Bei Biowein hat man Spontangärung“, freut sich Faber-Köchl, „da ist der Wein unmittelbar. Er wird wieder zu dem, was er eigentlich ist. Wein wird wieder zu einem Naturprodukt.“

Wir verzeichnen bei unserer Eigenmarke Biorebe eine starke Steigerung. Anne Thysell, Spar

ERFREULICHE KETTENREAKTION

„In Österreich kommt der Bioweintrend von den Winzern selbst“, bemerkt Anne Thysell von Spar, „fast entsteht ein bisschen Druck unter den Winzern, auch biologisch anzubauen.“ Dieser Druck könnte ein Hinweis auf geschmackliche und qualitative Differenzierungsmöglichkeiten sein. Ausprobieren, was vielversprechend ist und neue Absatzmöglichkeiten bietet, gehört zum Marketing.

Druck gibt es auf jeden Fall durch den Klimawandel. Spätfrost, gefolgt von sengender Hitze, und extrem regnerische Jahreszeiten, gefolgt von Dürreperioden, plagen die Winzer in Europa. „Wir müssen das Wetter laufend beobachten“, sagt Maria Faber-Köchl. Niederschlag und Luftdruck zeigen an, wie hoch der Befallsdruck durch Schädlinge sein kann, ob Pilze entstehen oder Sporen ausfallen können. Dann muss man schnell sein, sehr schnell. „Das muss gelebt und live in Angriff genommen werden“, so Bandino Lo Franco von la Vialla, „wir müssen uns auch nach neuen Rebsorten umsehen, vielleicht nach alten autochthonen Sorten.“ Auch Faber-Köchl meint, sie würde heute im Weinviertel keinen Grünen Veltliner mehr auspflanzen. Vielleicht kommt bei ihr ein Umstieg auf mehr Welschriesling. Der hält mehr Hitze aus.

Franz und Heidi von Schwarzspecht stellen fest, dass es eher die jungen Leute sind, die Biowein wollen. „Die merken, das riecht anders und schmeckt anders und – befriedigt anders“, so Heidi Schwarz. Für sie ist Bioweinhandel auch ein Beitrag zum kultivierten Umgang mit der Droge Alkohol.

Eine Beobachtung, die auch Gianni Lo Franco von La Vialla teilt. „Mittlerweile bevorzugen unsere Kunden Weine, die so naturbelassen wie möglich sind, nicht gefiltert werden und nur eine ganz geringe Menge Schwefeldioxit enthalten.“ Die Landwirtschaft, die seine Familie 1978 übernommen und vor dem Verfall gerettet und wiederaufgebaut hat, besteht seit mehr als 2 Jahrhunderten. Heute bestellt die Familie 1.400 Hektar mit der biologischen und biodynamischen Methode auf der größten von Demeter zertifizierten Fläche Europas und erzeugt neben Wein auch Olivenöl Extravergine, Pecorino, Antipasti, Soßen, Pasta, Kekse und Süßes, Honig und Essig. Alles stammt aus eigener Herstellung, kommt direkt aus dem Weinberg in die Flasche, aus dem Gemüsegarten ins Glas. Man findet ihre Spezialitäten in keinem Geschäft, Kunden können sie sich aber mit der Post direkt nach Hause senden lassen, indem Sie hier online bestellen oder den Prospekt anfragen.

An die große Glocke hängen ihre Bioambitionen allerdings nicht alle Winzer. Susanne Moser-Guntschnig von Rewe beobachtet, dass manche auf biologische Wirtschaft umstellen, ohne dies explizit auszuloben. Tatsächlich gibt es eine Bewegung in Richtung „Natural Wine“ und „Orange Wine“, die beide einen neuen Entwicklungszweig in der Weinwirtschaft eröffnen. Biologischer oder gar biodynamischer Ausbau ist selbstverständlich, der Wein kommt, so wie früher, in Amphoren und wird einer Spontangärung ausgesetzt. Chemische Zugaben, Enzyme, Hefen oder Zucker sind verpönt. Kategorisierungen oder Labels gibt es für diese Weinrichtung noch nicht. Die Winzer experimentieren mit der Zukunft.

Das Problem im Bordeaux, wo der Weinbau Kinder ins Spital gebracht hat, wurde übrigens durch folgende Maßnahmen „gelöst“: Es sollten Hecken um Weinberge in der Nähe von Schulen gepflanzt werden und Chemikalien nur noch außerhalb der Unterrichtszeit ausgebracht werden. So geht’s natürlich auch – wenn man bald den nächsten Skandal haben möchte.