Talentmanagement in Zeiten von Personalabbau
Der Wandel am Arbeitsmarkt fordert von Unternehmen ein neues Denken im Talentmanagement – auch in Zeiten von Personalabbau. Entscheidend ist, frühzeitig die Kompetenzen von morgen zu identifizieren und systematisch aufzubauen.

Viele Unternehmen benötigen, um künftig in ihrem Markt erfolgreich zu sein, teils andere Kompetenzen als ihre heutigen. Deshalb müssen sie ein aktives, vorausschauendes Talentmanagement betreiben – selbst wenn Teile ihrer Organisation gerade mit einem Personalabbau beschäftigt sind.
Im Arbeitsmarkt hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen. Lautete vor circa zwei Jahren noch das allgemeine Credo, der Arbeitsmarkt habe sich von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt und der Fach- und Führungskräftemangel werde sich weiter verschärfen, so ist heute aufgrund der veränderten Markt- und Rahmenbedingungen eine differenziertere Betrachtung nötig.
In vielen Branchen sind Unternehmen aufgrund der lahmenden Konjunktur derzeit mit Personalabbau beschäftigt. In anderen Branchen hingegen ist die Frage „Wie und wo finden wir die benötigten Mitarbeitenden?“ weiterhin die alles entscheidende Schicksalsfrage – auch, weil viele Babyboomer aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Und in wiederum anderen Branchen bauen Unternehmen zwar einerseits Personal ab, suchen zugleich aber gezielt Mitarbeitende mit neuen Kompetenzen – getrieben durch Neuausrichtung und technische Innovationen wie künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung.
Maßgeschneiderte Personalstrategien entwickeln
Die aktuelle Situation erfordert individuelle, auf den spezifischen Unternehmens- und Branchenbedarf zugeschnittene Personalstrategien. Deshalb überdenken viele Unternehmen derzeit ihre Personalarbeit – nicht nur in den Bereichen Personalsuche, -auswahl und -entwicklung sowie Vergütung, sondern auch im Hinblick auf Unternehmens- und Führungskultur sowie Arbeitsorganisation.
Ziel ist eine HR-Strategie, die sowohl den veränderten Marktbedingungen und den Bedürfnissen der (potenziellen) Mitarbeitenden als auch den Unternehmenszielen entspricht – einschließlich der Fähigkeit, schneller und flexibler als früher auf Veränderungen zu reagieren.
Voraussetzung hierfür ist eine fundierte Analyse der Ist-Situation mit folgenden Leitfragen:
- Wo stehen wir heute?
- Welche Veränderungen und Herausforderungen kommen auf uns zu (Markt, Technologie, Prozesse)?
- Wo wollen wir hin (Vision, Ziele, Werte)?
- Darauf aufbauend erfolgt ein Soll-Ist-Vergleich:
- Über welche Kompetenzen verfügen unsere Organisation und unsere Teams heute?
- Über welche Kompetenzen müssen sie künftig verfügen – etwa aufgrund technologischer Entwicklungen, veränderter Kundenbedürfnisse oder strategischer Ziele?
Das Kompetenz-Gap schließen
Basierend auf diesem Abgleich gilt es, eine Strategie zu entwickeln, wie das bestehende oder absehbare Kompetenz-Gap geschlossen werden kann. Zu klären ist unter anderem:
- Welche Kompetenzen müssen wir firmenintern aufbauen, da sie strategisch relevant sind?
- Welche Kompetenzen können wir durch externe Partner abdecken?
- Müssen wir unsere Ausbildungskapazitäten erhöhen, um künftig benötigte Talente frühzeitig zu gewinnen und zu binden?
Eine zentrale Rolle spielen dabei:
- das Identifizieren und Fördern von Talenten innerhalb der Organisation – auch in Bereichen mit Personalabbau, sowie
- die externe Rekrutierung passender Talente.
Talente im Unternehmen erkennen und fördern
Welche Kompetenzen und Entwicklungspotenziale Mitarbeitende tatsächlich besitzen, zeigt sich im Arbeitsalltag. Talentmanagement gehört daher zu den originären Aufgaben jeder Führungskraft.
Talente sind Personen, die bereits im Alltag herausragende Leistungen zeigen und das Potenzial haben, mittelfristig komplexere Aufgaben zu übernehmen – sei es als Fachkraft, Spezialist oder Führungskraft. Sie zeichnen sich durch Lernfähigkeit, Motivation und vernetztes Denken aus.
Führungskräfte sollten diese Potenzialträger identifizieren und in strukturierten Gesprächen deren Entwicklungspotenziale reflektieren. Ergänzend sind vom HR-Bereich moderierte Personaldurchsprachen hilfreich, etwa mit dem 9-Box-Model.
In größeren Unternehmen folgt häufig ein Potenzial-Assessment-Center, um zu prüfen, inwiefern Kandidat*innen tatsächlich über das erforderliche Potenzial verfügen. Auf Basis der Ergebnisse werden mögliche Karrierewege skizziert und passende Förderprogramme ausgewählt.
Talente extern gewinnen und binden
Ziel des HR-Bereichs ist es, das Unternehmen für potenzielle Mitarbeitende mit den gesuchten Kompetenzen als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren. Dazu gehören Tools wie:
- flexible Arbeitszeitmodelle,
- Programme zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
- attraktive Vergütungssysteme.
Zudem ist eine zielgruppengerechte Darstellung des Unternehmens in sozialen Medien entscheidend. Positive Erfahrungsberichte von Mitarbeitenden zur Unternehmenskultur, Zusammenarbeit und Entwicklungsmöglichkeiten erhöhen die Attraktivität – ebenso wie transparente Karriereseiten auf der Firmen-Website.
Wichtig sind außerdem digitale Bewerbungsprozesse mit schnellem Feedback und ein strukturierter Onboarding-Prozess, der neue Kolleg*innen frühzeitig einbindet.
Wertegemeinschaft schaffen
In den Förderprogrammen für Talente sollte weniger die fachliche Qualifikation im Mittelpunkt stehen, sondern die Entwicklung einer Haltung, die zur Position und zu den Unternehmenszielen passt – insbesondere in einer von Veränderung geprägten Welt.
Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Programm ermöglicht kritische Selbstreflexion, Erkenntnisgewinn und Persönlichkeitsentwicklung. Ziel ist auch, die emotionale Bindung zum Unternehmen zu stärken.
Talentprogramme praxisnah und partizipativ gestalten
Die Persönlichkeits- und Skillentwicklung sollte sich eng am Arbeitsalltag orientieren. Zentral sind praxisbezogene Formate wie Fall- und Projektarbeit, abgestimmt auf verschiedene Entwicklungsrichtungen (Fachlaufbahn, Projektmanagement, Führung). Seminare sollten begrenzt und mit der Praxis verzahnt sein. Mögliche Elemente:
- persönliche Entwicklungsziele
- eigenverantwortliche Lernangebote im LMS mit Lernlogbuch
- Führungskräfte als Mentoren
- regelmäßiges Feedback
- kollegiale Beratung
- Praxistransfer durch Präsentationen, Umsetzung und Evaluation
- digitale Know-how-Cafés
- Feedbackgespräche mit Mentor*innen
Auch Krankheitsvertretungen, Auslandsentsendungen, Job-Rotation oder Zusatzaufgaben können gezielt zur Entwicklung genutzt werden.
Selbstverantwortung und Unternehmertum stärken
Das Förderprogramm sollte funktions- und bedarfsabhängig langfristig angelegt sein (z. B. 18 bis 24 Monate) und moderne Kommunikationstechnologie nutzen. So werden funktionsübergreifende, virtuelle Zusammenarbeit und eine Kombination aus Präsenz- und Online-Lernen gefördert.
Teilnehmende sollten aktiv in die Programmgestaltung eingebunden werden:
- Für die Teilnehmenden: ein modulares Programm basierend auf Potenzialanalyse
- Mit den Teilnehmenden: Mitgestaltung der Inhalte
- Durch die Teilnehmenden: Übernahme von Verantwortung für Organisation und Budget – unterstützt durch HR und Trainer
Diese Beteiligung fördert Eigenverantwortung und unternehmerisches Denken.
Kompetenzen der Zukunft sichern
Auch wenn Unternehmen aktuell in Teilen Personal abbauen, dürfen sie den Fokus auf den Aufbau künftiger Kompetenzen nicht verlieren. Denn ein vorausschauendes Personal- und Talentmanagement wird – angesichts des Fachkräftemangels und sich rasant wandelnder Rahmenbedingungen – ein zentraler Erfolgsfaktor bleiben.
Es schafft die Grundlage dafür, dass die erforderlichen Kompetenzen auch mittel- und langfristig verfügbar sind. Dabei sollten Unternehmen die Potenziale digitaler Technologien für ihr Talentmanagement gezielt nutzen.