Deloitte Radar: Wirtschaftsstandort Österreich im Sinkflug
Der Wirtschaftsstandort Österreich befindet sich im Sinkflug – mit fatalen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit, wie eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Deloitte zeigt. Um angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise einen Totalabsturz zu verhindern, sei eine radikale Trendumkehr notwendig.

Zum elften Mal wurde im Rahmen des Deloitte Radar die internationale Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Wirtschaftsstandortes untersucht. Neben der Befragung von rund 600 Top-Führungskräften und der Analyse der wichtigsten globalen Indizes wurde erstmals auch eine Sondererhebung führender europäischer Nationen und Best-Practice-Projekte durchgeführt. Die alarmierende Erkenntnis: Der Abwärtstrend für den Wirtschaftsstandort Österreich habe sich in den letzten Monaten weiter beschleunigt. Angesichts der sich zuspitzenden Lage aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise sei rasches Handeln angesagt. Laut einer Aussendung seien neben Sofortmaßnahmen eine nachhaltige Steuern- und Abgabenreform, eine umfangreiche Entbürokratisierung, die Reform des Arbeitsmarktes sowie langfristige Investitionen in wichtige Zukunftsfelder unabdingbar.
„Österreichs Wirtschaft befindet sich im dritten Jahr einer Rezession, der längsten der zweiten Republik, und steht damit an einem `Tipping Point´. Die Wettbewerbsfähigkeit hat sich weiter verschlechtert, der Wirtschaftsstandort wurde im internationalen Vergleich abgehängt. Im Competitiveness Report des IMD sind wir seit 2020 von Platz 16 auf Platz 26 zurückgefallen. Und auch im innereuropäischen Vergleich liegt Österreich nur auf Platz 12, der Abstand zu den führenden Ländern Schweiz, Dänemark und Irland wird immer größer“, analysiert Harald Breit, CEO von Deloitte Österreich. „Wir brauchen eine Trendumkehr. Österreich muss vom Sinkflug wieder in den Steigflug kommen, sonst droht eine Bruchlandung mit schwerwiegenden Folgen für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt.“

Kein Weiter wie bisher
Die Unternehmen jedenfalls wüssten, warum Österreich in den internationalen Rankings immer schlechter abschneidet. Seit Jahren beklagen sie die überbordende Bürokratie sowie hohe Kosten. Auch heuer beurteilt ein Großteil die Bereiche Einkommensbesteuerung (59 Prozent) und Bürokratie (63 Prozent) mit „Nicht genügend“ oder „Genügend“. Angespannt ist die Situation auch bei den Standortfaktoren Wirtschaftswachstum (61 Prozent) und Staatsverschuldung (57 Prozent).
„Die multiplen Krisen und ihre Auswirkungen machen deutlich, dass ein ‚Weiter wie bisher‘ nicht möglich ist. Kosmetische Maßnahmen, wie sie in der Vergangenheit gesetzt wurden, reichen nicht mehr aus. Es braucht schnelle und echte Reformen“, so Herbert Kovar, Managing Partner im Bereich Tax & Legal bei Deloitte Österreich. „Neben der nachhaltigen Sanierung des Staatshaushaltes benötigen die Unternehmen eine Entlastung des Faktors Arbeit. Die Lohn- und Energiekosten zwingen immer mehr Unternehmen zur Abwanderung oder in die Insolvenz, hier muss gegengesteuert werden.“
Österreichs Großbaustellen
Neben Bürokratie und Steuern gilt auch der österreichische Arbeitsmarkt seit Jahren als Großbaustelle. So beurteilt über ein Drittel der Befragten die Verfügbarkeit von Arbeitskräften als schlecht, bei der Verfügbarkeit von Fachkräften sind es 42 Prozent. Eine weitere Herausforderung besteht bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmender, ein Drittel sieht hier deutliches Verbesserungspotenzial.
„Der Arbeitsmarkt ist weiterhin das Sorgenkind der österreichischen Führungskräfte. Zwar begegnen Politik und Wirtschaft den Herausforderungen bereits seit Jahren, bisher jedoch vor allem mit punktuellen Maßnahmen. Um das volle Arbeitskräftepotenzial zu heben, braucht es aber tiefgreifende Veränderungen und strukturelle Initiativen. Beispiele sind Qualifizierungsoffensiven für Mangelberufe, steuerliche Erleichterungen der Zuverdienstmöglichkeiten in der Pension oder den Ausbau der Kinderbetreuung“, analysiert Elisa Aichinger, Partnerin im Bereich Consulting bei Deloitte Österreich.
Abschauen könne sich der Wirtschaftsstandort einiges von Leuchtturmprojekten anderer, mit Österreich in Größe und Struktur vergleichbarer europäischer Nationen, die in den Rankings kontinuierlich an der Spitze liegen. So liefert etwa Dänemark mit seinem Flexicurity-Modell, das auf Flexibilität und eine sozial abgesicherte, aber zeitlich begrenzte Form der Arbeitslosenunterstützung setzt, ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche Arbeitsmarktreform. In der Schweiz wiederum ermöglicht eine Stellenmeldepflicht in Berufsarten mit hoher Arbeitslosigkeit eine individuelle Jobvermittlung. Und die Niederlande fördern ihre Start-up-Szene unter anderem durch eine zielgerichtete Visapolitik für ausländische Spitzenkräfte.
„Viele europäische Nationen zeigen uns vor, dass man eine Reform des Arbeitsmarktes wirksam umsetzen kann. Die Best Practices sind da, wir sollten sie nutzen“, so Elisa Aichinger.
Neue Impulse für die Zukunft
Dringenden Handlungsbedarf gebe es auch hinsichtlich Investitionen in Zukunftsfelder. Fast 40 Prozent bewerten die Forschungsförderung mit „Befriedigend“ und 21 Prozent mit „Genügend“ oder „Nicht Genügend“. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Breitbandausbau oder der Digitalisierung. Und bei den Faktoren Risikokapital, Start-up-Kultur sowie Entwicklung und Einsatz von Artificial Intelligence (AI) vergeben mehr als zwei Drittel nur durchschnittliche oder schlechte Bewertungen.
Vor dem Hintergrund des explodierenden Budgetdefizits sei Sparen zwar das Gebot der Stunde, dennoch brauche die Wirtschaft neue Impulse. Die Bereiche Digitalisierung, AI und Big Data gelten als Schlüsselfaktoren für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Schweden beispielsweise zeigt mit der öffentlich finanzierten Plattform „AI Sweden“ vor, wie man die AI-Technologie rasch in möglichst vielen Bereichen und Unternehmen in Anwendung bringt.
„Österreich hat im jahrelangen Krisenmodus die Zukunftsperspektive verloren. Wir brauchen mutmachende Vorzeigeprojekte, ein geändertes Mindset und echte Reformen, um das Steuer herumzureißen und unser Land wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Die Menschen müssen spüren, dass es aufwärts geht“, hält Harald Breit abschließend fest.