Unternehmerisch fühlen

Meinung
12.02.2020

Jedes Unternehmen braucht heute einen Häuptling und einen Medizinmann. Unternehmertum ist eine spirituelle Angelegenheit geworden.

Wie denkt man heute unternehmerisch? Vor ein paar Jahren war das noch leicht zu beantworten. Es gab einen definierten Geschäftsauftrag, und den galt es umzusetzen. Dabei sollten die Handlungen so gesetzt sein, dass die vorhandenen Kräfte und Potenziale optimal genutzt werden. Sparsam, effizient und effektiv. Das Ganze sollte in Gewinn und in einem netten, gemeinsamen Skiausflug kulminieren.

Das war sehr erdig und klar. Seit rund zwanzig Jahren hat aber zunehmend die Metaphysik im ökonomischen Alltag Einzug gehalten. Die Führungsperson ist heute nicht diejenige, die bloß den Unternehmensplan hat, sondern die Anbindung zum Göttlichen. Sie soll Sinnstifter und Visionär sein, nicht mehr Vorarbeiter, sondern Vorleber, also jemand mit vorbildlicher Lebensführung im Sinne der Unternehmenswerte. Jemand, der die Qualitäten dualer Führung in sich vereint, wie man sie von einem Indianerstamm kennt. Dort gibt es den Häuptling, der im Hier und Jetzt die Richtung vorschlägt. Er verbindet das Gestern mit dem Morgen auf einer horizontalen Achse. Von daher kommen wir, dorthin gehen wir. Das haben wir gestern getan, das tun wir heute. Der Indianerstamm hat aber noch eine zweite wichtige Führungsperson, nämlich den Medizinmann oder die Schamanin, also jemanden, der das Oben mit dem Unten verbindet auf einer vertikalen Achse. Das Unten ist die Vergangenheit der Vorfahren, die Weisheit der Alten und das Gewissen der Natur. Das Oben ist das Numinose, die junge Generation und die noch unbekannte Zukunft. Dies ist insgesamt eine spirituelle Angelegenheit, wo die Tradition mit dem größeren Auftrag verbunden wird. Die schamanische Aufgabe ist es, ebenfalls eine Richtung vorzuschlagen – und zwar eine seelische. Aus dem Kräfteausgleich der zwei Achsen entsteht die Bewegung des Unternehmens.

Es ist nicht allen Menschen gegeben, beide Funktionen auszuüben. Darum heißt es auch „duale“ Führung. Die FühDER AUTOR Harald Koisser schreibt philosophische Bücher und ist Herausgeber des Mutmacher-Magazins „wirks“. www.wirks.at, www.koisser.at rung teilt sich auf zumindest zwei Personen auf. Wenn wir heute von unternehmerischem Denken reden, so ist es in Wahrheit ein unternehmerisches „Fühlen“ geworden, denn die vertikale Achse erschließt sich nur bedingt der Ratio. Man braucht ein Gespür für Geschichten, Werte und Verantwortung, für den Abgleich von Bilanz und Bibel. Viele große Unternehmen scheitern daran, auch wenn sie Nachhaltigkeitsberichte verfassen. Die immer noch starke Verhaftung in Gewinnstreben und Wachstumsgedanken führt zu pseudoverantwortlichen Maßnahmen, die reine Kopfgeburten sind – erdacht, um den Anschein jener Spiritualität zu erwecken, die von der Geschäftsleitung hinter geschlossenen Türen als esoterische Spinnerei und Geschäftsbehinderung gesehen wird.

Der plötzliche Wandel hin zur gesamt gesellschaftlichen Verantwortung ist ja auch nicht leicht zu verkraften, wenn man damit nie etwas am Hut gehabt hat. Jedes Farbpigment, das im Friseursalon verwendet wird, hat plötzlich eine weltweite Auswirkung. Woher kommt es, wer hat es abgefüllt, unter welchen Bedingungen? Und wo geht es hin? Wird es den Kanal, die Donau und schließlich die Weltmeere verschmutzen? Die Kunden und die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fragen solche Sachen. Es scheint, als würde auf jeder Registrierkassa eine kleine mahnende GretaFigur sitzen.

DAS WORT „SPIRITUALITÄT“

Dieser Begriff findet erstmals auch Eingang im universitären Bereich. Die BerthavonSuttnerUniversität in St. Pölten folgt den Zeichen der Zeit und bietet ab Herbst einen Masterlehrgang für „Weltanschauliches Wirtschaften“ an. Sozusagen ein Medizinmannstudium für Wirtschaftstreibende.