Trends erkennen, Chancen nutzen

Digitalisierung
09.06.2022

Fachkräfte, Breitbandausbau, Businessmodelle: Die Digitalisierung hält die Wirtschaft in Atem, doch noch läuft es nicht in allen Bereichen rund. Alfred Harl, Obmann des Fachverbands Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie (UBIT) der WKÖ gibt einen Überblick zu den aktuellen Baustellen.
UBIT-Obmann-Alfred-Harl

Ob und wie gut Unternehmen von der Digitalisierung profitieren können, hängt maßgeblich davon ab, ob sie Fachkräfte mit dem entsprechenden Knowhow finden. Doch genau hier gibt es einen eklatanten Engpass. Wie viele Kräfte fehlen der Wirtschaft aktuell? Europaweit werden in den nächsten acht Jahren gut elf Millionen zusätzliche IT-Fachkräfte fehlen – das besagen offizielle Zahlen der EU-Kommission. Dies entspricht fast der Einwohnerzahl von Schweden. Die Thematik der Stellenbesetzung im IT-Bereich hat sich in den letzten Jahren enorm verschärft. Wie der IKT Statusreport des Kärntner Instituts für Höhere Studien (KIHS) belegt, liegt in der IT-Bildung im Hochschulsektor ein wesentlicher Grund dafür. Zugangsbeschränkungen in IT-Studiengängen an österreichischen Hochschulen verstärken den mittlerweile eklatanten Mangel an hochqualifizierten IKT‐Fachkräften zusätzlich.

Wie könnte man für mehr Absolventen sorgen? Es wäre schon einmal enorm wichtig, die Drop-out Quote in IKT-Studiengängen zu senken. Sieht man sich die Drop-out Zahlen des IKT-Statusreportes 2021 an, so wird ersichtlich, dass die Quoten vor allem im Bachelorstudium viel zu hoch sind. Dies ist insofern wichtig, da IT-Studenten die ihr Bachelor-Studium abbrechen, mit hoher Wahrscheinlichkeit der IT-Branche für immer verloren gehen. Dropout-Quoten in Masterstudiengängen sind meist den sogenannten Job-outs zuzuschreiben ist. Dies bedeutet, dass IT-Studenten ihr Studium berufsbedingt frühzeitig abbrechen, um in der IT-Wirtschaft zu arbeiten. Jedoch sind auch diese zu hoch.

Wenn aus dem universitären Bereichen nicht so rasch Abhilfe kommen kann: Können Unternehmen ihre Angestellten selbst auf das nötige Niveau weiterbilden? Aus- und Weiterbildung ist mit Sicherheit für jedes Unternehmen ungemein wichtig. Jeden Tag gibt es am Markt neue Entwicklungen, die Auswirkungen auf das Geschäft und die Führung von Unternehmen haben. Das sehen wir Beispielsweise auch bei den UBIT-Betrieben: Sie investierten im Jahr 2021 insgesamt rund 386 Millionen Euro in Schulungen und Ausbildungsprogramme. Das meiste Geld nahm die Berufsgruppe Informationstechnologie mit gut 215 Mio. Euro in die Hand. Der Fachverband UBIT unterstützt die Unternehmen mit Hilfe der UBIT-Akademie incite bei Ausbildungsthemen und bietet mehr als 200 Schulungen und Ausbildungsprogramme pro Jahr an.

Es ist wichtig neue Trends zu erkennen und  Chancen zu nutzen.

Alfred Harl, Obmann des Fachverbands Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie (UBIT)

Welche Rolle können Lehrlinge mittelfristig spielen? Die Entwicklung der Lehrlinge im IKT-Bereich nimmt einen positiven Verlauf an. Waren es im Jahr 2005 nur 1.596 Lehrlinge, so gab es in den letzten 15 Jahren eine stetige Steigerung. 2021 waren fast 6.000 Lehrlinge im Bereich Informatik/EDV/Kommunikationstechnik aktiv, dies entspricht ungefähr 5,5 % der gesamten Lehrlinge in Österreich. Dem Fachverband UBIT ist die Lehre eine sehr wichtige Angelegenheit. Wir sind überzeugt, dass die IT-Lehre ein gutes Werkzeug ist, mit dem junge Menschen für die IT-Branche begeistert werden können. Daher drängen wir auch darauf, die Lehre – in der IT sowie auch allgemein – zu fördern und attraktiv zu machen. Der Trend nach oben freut uns daher sehr.

Muss das Thema generell breiter in den Bildungskanon Einzug halten? Wir fordern seit Jahren eine tiefgehende und praxisorientierte Informatik-Bildung, die bereits im Kindergarten beginnt. Der Vorschlag des Bildungsministeriums für ein neues Pflichtfach "Digitale Grundbildung", das ab Herbst 2022 in der Mittelschule und der AHS Unterstufe unterrichtet werden soll, hat jedoch mehr mit der Vermittlung von Medienkompetenzen als mit echten Informatikkompetenzen zu tun, die von den Unternehmen dringend benötigt werden. Wir begrüßen den Vorstoss natürlich, jedoch muss Informatik ein eigenes verpflichtendes Schulfach werden. Das Bild des IT-Berufs muss transparent aufgeschlüsselt und schon in einem frühen Alter attraktiv beworben werden. Nur so wird der IT-Fachkräftemangel aktiv und nachhaltig bekämpft.

Sehen Sie eine realistische Chance eine nennenswerte Anzahl von Fachkräften aus dem Ausland zu rekrutieren? In Österreich fehlen derzeit 24.000 IT-Fachkräfte - in den nächsten fünf Jahren könnten es bis zu 30.000 sein. Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben ist für zahlreiche Firmen oft die einzige Möglichkeit, ihren Bedarf an IT-Expertise zu decken, da Österreich aktuell schlicht zu wenige ausbildet. Die geplante Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte ist ein erster wichtiger Schritt, um Betrieben rascher zu dringend benötigten Fachkräften zu verhelfen. Dass auch nicht mehr jeder Angestellte physisch vor Ort sein muss, haben wir in den letzten zwei Jahren eindeutig gesehen. Home-Office funktioniert in vielen Unternehmen gut und bietet beim Recruiting aus dem Ausland zusätzliche Chancen. Vielleicht können manche Betriebe auch Fachkräfte aus der Ukraine aufnehmen.

Genauso wichtig wie qualifizierte Mitarbeiter ist eine leistungsfähige Infrastruktur. Wie steht es aktuell um den Breitbandausbau? Die Pandemie hat gezeigt, dass Breitband und Hochleistungsbreitband, Stichwort Glasfaser, oberste Priorität haben und der Netz-Ausbau noch schneller voran gehen muss. Flächendeckendes Highspeed-Internet, ist in Österreich besonders in ländlichen Gebieten noch ausbaufähig: Österreich ist mit nur 5,1 % Anteil von Glasfaseranschlüssen an allen stationären Breitbandanschlüssen im OECD-Länder-Ranking beinahe Schlusslicht. Nur Belgien und Griechenland haben eine geringere direkte Glasfaser-Netzabdeckung. Erfreulich ist hingegen, dass aktuell 43 Prozent der österreichischen Haushalte mit gigabitfähigen Anschlüssen ausgerüstet sind. Wien mit 92 % und Tirol mit 62 % sollen sogar im europäischen Spitzenfeld liegen. Beim 5G-Mobilfunk liegt die Versorgung genau bei der Hälfte der 4 Millionen Haushalte. Anschlüsse mit mehr als 100 Mbit-Geschwindigkeit liegen aktuell bei 68 % und sollen bis 2024 bei 77 % liegen. Seit 2015 wurden 905 Mio. Euro an Breitbandförderung des Bundes vergeben. Insgesamt wurden Investitionen von insgesamt 2,3 Mrd. Euro ausgelöst.

Reichen diese Investitionen aus, um Österreich wettbewerbsfähig zu halten? Der Zugang zu Breitbandinternet wirkt sich positiv auf Löhne, Beschäftigung, Unternehmensumsätze und viele andere Aspekte einer Volkswirtschaft aus. Und darin muss noch mehr investiert werden. Wenn in Österreich bis 2026 zusätzlich 1,4 Mrd. Euro in den Breitbandausbau investiert werden, entsteht dadurch bis 2028 eine Wertschöpfung in Höhe von 1,5 Mrd. Euro und 13.266 zusätzliche Jobs – das zeigen die Ergebnisse des Wertschöpfungsrechners der WKÖ. Hinzu kommt, dass sich der flächendeckende Zugang zu Breitbandinternet positiv auf die Arbeitsproduktivität auswirkt und die tatsächliche Wertschöpfung deshalb höher ausfallen dürfte. Davon profitieren besonders ländliche Regionen, wie Studien zeigen.

Was können KMU selbst tun, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen? Um in der Zukunft weiterhin konkurrenzfähig zu sein, ist es enorm wichtig die Digitalisierung aller Geschäftsprozesse voranzutreiben. Wie die letzten Jahre gezeigt haben, ist der Ausbau von Homeoffice-Möglichkeiten von großer Bedeutung, und das hat sich auch auf die Work-Life-Balance auswirkt. Des Weiteren wird es wichtig sein in Cybersecurity zu investieren, um gegen Cyberangriffe geschützt zu sein und finanziellen Schäden bzw. Knowhow-Verluste zu vermeiden. Vor allem aber müssen besonders KMU flexibel und agil sein, um auf moderne Herausforderungen – wie etwa eine weltweite Pandemie – schnell und richtig reagieren zu können. Dazu zählt die Digitalisierung des Unternehmens, aber auch die entsprechende Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter:innen.

Aktuell geraten viele traditionelle Geschäftsmodelle durch disruptive Entwicklungen in Bedrängnis. Wie können sich KMU neben oder gerade in einer Plattformökonomie behaupten? Ob Digitalisierung, Informationstechnologie oder Consulting: Es ist wichtig neue Trends zu erkennen und diese neugewonnenen Chancen zu nutzen. Neben den Herausforderungen der Digitalisierung, wird es für KMU besonders wichtig werden, vernetzt zu denken. Das betrifft zum Beispiel die Einführung einer Multi-Channel-Strategie, die einen fließenden Wechsel zwischen stationärem und Online-Vertrieb ermöglicht. Digital- und Realwirtschaft werden zum Erfolgsteam, wenn wir sie gemeinsam trainieren und das volle Potenzial ausschöpfen.