Wer die besten Köpfe gewinnt

Fachkräftemangel
14.02.2022

Jobinserat schalten und dann nach Lust und Laune aussieben, das war einmal. Wie Unternehmen heute Erfolge im Recruiting einfahren? Indem sie verstehen, dass sie es sind, die sich bei Mitarbeitern bewerben müssen.
Beste Mitarbeiter finden
HR in Betrieben. Best Recruting

Die Wirtschaft wächst wieder, und in vielen Branchen laufen die Geschäfte gut. Doch es fällt immer mehr Betrieben schwer, ihre Aufträge abzuarbeiten, da passendes Personal fehlt. „Wir finden einfach keine Leute“. Diese Aussage scheint man aktuell von immer mehr Unternehmen zu hören. Dass es sich dabei nicht nur um einen subjektiven Eindruck handelt, verdeutlichen auch Zahlen der Wirtschaftskammer. Zum Zeitpunkt der Erhebung Mitte 2021 lag der Fachkräftebedarf bei rund 221.000 Personen, insgesamt um 25 % mehr als im September 2020 und auch deutlich über „Vor-Corona-Niveau“. Befragt wurden mehr als 4.200 Unternehmen. Insgesamt gaben 84 % an, dass sie vom Mangel an Fachkräften betroffen sind. Besonders intensiv wird der Mangel am Bau, in der Herstellung von Holzwaren, im Tourismus sowie im handwerklich-technischen Bereich insgesamt erlebt. Die Betriebe haben vor allem Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte für Handwerksberufe zu finden, gefolgt von Technikern außerhalb des IT-Bereichs und Mitarbeitern für das Gastgewerbe. Die häufigsten und größten Rekrutierungsschwierigkeiten bestehen übrigens bei Lehrabsolventen.

Mehr Arbeit, weniger Menschen

Ein Grund für den Mangel ist die demografische Entwicklung. Die „Babyboomer“, also Menschen, die in einer Zeit steigender Geburtenraten geboren wurden, verlassen den Arbeitsmarkt wieder. Zugleich nimmt die Zahl der Menschen im Berufseinstiegsalter ab. Die Formel dahinter ist simpel: Weniger Paare bekommen weniger Kinder. Die Lage ist also angespannt und sie wird sich auch nicht so bald bessern. Womit Unternehmen sich der Herausforderung proaktiv stellen müssen. Doch was lässt sich tun, um in dem immer kleiner werdenden Teich erfolgreich zu fischen? Worauf müssen Betriebe heute bei der Personalsuche ganz besonders achten? Alexandra Mauermann, Senior Consultant bei Eblinger & Partner Personal- und Managementberatung, ist davon überzeugt, dass Betriebe trotz angespannter Lage am Arbeitsmarkt durchdringen können. Doch einfach fällt die Übung nicht. „Jobinserate alleine sind definitiv zu wenig, um die besten ‚Köpfe‘ an Bord zu holen“, stellt die Expertin klar. Vielmehr werde es immer wichtiger werden, ein wirklich attraktiver Arbeitgeber zu sein und dies am besten durch tägliches Verhalten sicherzustellen. Die Faktoren, um bei potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu punkten, sind laut Mauermann Aus- und Weiterbildungsangebote, klare Entwicklungsmöglichkeiten und ein ansprechendes Gehalt mit zusätzlichen Benefits. Immer wichtiger werde aber auch Flexibilität, die Unternehmen ihren Mitarbeitern zugestehen sollten. Das Zauberwort lautet in diesem Zusammenhang Vertrauen, das Betriebe ihren Angestellten entgegenbringen müssen. Für Mauermann ein ganz entscheidender Punkt: „Das Thema wird wohl noch brisanter werden, da die aktuell am stärksten jobsuchenden Generationen X und Y örtliche und zeitliche Flexibilität bei einem Jobwechsel quasi voraussetzen, was wiederum Vertrauen in die Ergebnisorien­tierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraussetzt.“

Zuerst Mindset, dann Suche
Wer erfolgreich rekrutieren will, muss also zunächst intern seine Hausaufgaben erledigen. Ein Rat, der auch von Andreas Philippitsch kommt. „Betriebe müssen ihren Mindset ändern“, meint der Personalexperte, der seit mehr als zehn Jahren in der strategischen Ausrichtung von Unternehmen und der Potenzialentwicklung von Führungskräften tätig ist. Denn auch wenn Mitarbeiter mindestens genauso wichtig für den Erfolg des Unternehmens sind wie Kunden, spiegle sich diese Tatsache, seiner Beobachtung nach, noch kaum im Alltag wider.

Andrea Bertl, Geschäftsführerin epunkt, Portrait
Andrea Bertl

Auch Andrea Bertl, Geschäftsführerin bei epunkt für die Bereiche Sourcing und Recruiting, pocht auf einen Perspektivenwechsel. „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen ihren USP herausarbeiten und sich damit – im Gegensatz zu früher – bei Kandidaten bewerben.“ Dass sich dieser Denkansatz bislang noch kaum durchgesetzt hat, zeigt ein Blick in die gängigen Jobportale. Ein Großteil der Inserate fokussiert nach wie vor auf die Bedürfnisse der rekrutierenden Betriebe – inklusive langer Wunschlisten zu Qualifikationen und Anforderungen. Was das Unternehmen den Kandidaten zu bieten hat und was sie am Ende über den Kollektivvertrag hinaus verdienen können, bleibt dagegen häufig ein gut gehütetes Geheimnis.  

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen ihren USP herausarbeiten und sich damit – im Gegensatz zu früher – bei Kandidaten bewerben.

Andrea Bertl, Geschäftsführerin epunkt

Wer es richtig machen und seine Vorzüge optimal am Arbeitsmarkt präsentieren will, kommt laut Alexandra Mauermann nicht um professionelles Personalmarketing herum. Dazu zählt beispielsweise das Präsentsein auf verschiedenen Online-Plattformen sowie das Erschließen von relevanten Netzwerken auf Jobmessen. Darüber hinaus kann es sich lohnen, Absolventeninnen und Absolventen durch Praktika und Diplomarbeiten frühzeitig ans Unternehmen heranzuführen. Auch Referenzen auf Jobplattformen wie kununu, die Mitarbeiter zu Wort kommen lassen, sind laut Mauermann keinesfalls außer Acht zu lassen. Darüber hinaus kommt die Präsenz bei anerkannten Rankings wie „great place to work“ gut an.

Alexandra Mauermann

„Jobinserate alleine sind definitiv zu wenig, um die besten ‚Köpfe‘ an Bord zu holen", meint Alexandra Mauermann, Senior Consultant bei Eblinger & Partner.

Auch wenn Alexandra Mauermann aktuell verstärkte Nachfrage nach dem Know-how von Personalberatungen spürt, um die besten Köpfe zu gewinnen, gilt die Devise: „Potenziale lassen sich auch von Headhuntern leichter für Vakanzen gewinnen, wenn der werbende Arbeitgeber attraktiv erscheint und die Bedürfnisse des Bewerbermarktes erfüllt.“ Zaubern können also auch die besten Berater nicht.

Individualität statt Standard

Leichter fällt die Suche natürlich, wenn die Inserate wirklich professionell gestaltet werden. Andrea Bertl rät in diesem Zusammenhang zu Individualität. „Im Recruitingprozess 2022 zählt Candidate-Centricity“, ist sie überzeugt. Die Stellenanzeige müsse als erster Touchpoint in der Candidate-Journey unter tausend anderen hervorstechen und Details über das Aufgabengebiet und den Job liefern. Eine gute Möglichkeit, um sich vom Mitbewerb abzuheben, sind ihrer Erfahrung nach Videos im Stelleninserat, die einen besseren Eindruck vom Unternehmen vermitteln. Vom Obstkorb und Gratiskaffee lässt sich laut Bertl dagegen niemand mehr überzeugen. Gewünscht sind vielmehr flexible Arbeitszeiten, Green Benefits wie E-Bikes und maßgeschneiderte Mitarbeiter-Zuckerln. Entsprechend individuell sollte auch der Bewerbungsprozess gestaltet werden. „Management wie HR müssen auf die Bedürfnisse der Bewerberinnen und Bewerber viel punktgenauer eingehen“, meint auch Philippitsch. Nur wer volle Flexibilität bietet, was Arbeitszeiten, Homeoffice, Verantwortung, Teamgefüge und Gehaltswünsche betrifft, könne sich bei Kandidatinnen durchsetzen. Zudem rät der Experte dringend zum Blick über den nationalen Tellerrand. Wer bereit sei, seine Recruitingmärkte zu internationalisieren, erhöhe seine Chancen auf neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz gewaltig.
Auch wenn der Fokus auf dem Suchen und Finden neuer Kräfte liegt, darf das aktuelle Team beim Recruiting nie vergessen werden. „Employer-Branding beginnt im Unternehmen selbst. Das erfordert allerdings ein radikal anderes Führungsverständnis als heute“, fasst Philippitsch zusammen.
So knapp das Angebot an Kandidaten also auch sein mag: Wer sich der richtigen Methoden bedient, kann im War for Talents die Nase zumindest ein Stück weiter vorne behalten. In einer Zeit, in der jeder einzelne Mitarbeiter zählt, gar nicht so wenig.