Harald Koisser macht Mut

Weisheit der Ungewissheit

Zukunft
16.02.2022

Was müssen wir wissen, um ein Unternehmen gut durch die Transformation zu navigieren? Richtiges Zuhören könnte schon helfen.
Zuhören. Transformation.

Die Triade des Wissens: Dummheit weiß alles. Klugheit weiß, dass sie nichts weiß. Weisheit weiß, ohne zu wissen. Den Beleg für den ersten Satz findet man problemlos im Alltag, in Internetforen, auf Social Media. Der zweite Satz nähert sich dem Wissen mit großer Demut. Er erkennt, dass wir durch Vermehrung von Information das Ganze aus den Augen verloren haben und in „Seinsvergessenheit“ geraten sind, wie der Philosoph Martin Heidegger anmerkt. Die Unmenge an Wissen zeigt uns, dass wir unendlich viel nicht wissen. Die korrekte Übersetzung des Satzes von Sokrates, wie er von Platon vermittelt wird, lautet: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“, oder in einer poetisch-schönen Version: „Ich weiß vom Nichtwissen“.

Vom Nichtwissen zu wissen hieße, die Relativität menschlicher Angelegenheiten zu ertragen, und somit auch die Ungewissheit angesichts komplexer Sachverhalte auszuhalten. Milan Kundera spricht von einer „Weisheit der Ungewissheit“, die es zu akzeptieren gälte. Erst wenn man aufhört zu glauben, alles im Griff zu haben und sich der Ungewissheit anvertraut, kann überhaupt etwas Heilbringendes entstehen.

Damit sind wir beim letzten Satz der Trias angelangt, welcher sagt, dass die Weisheit weiß, ohne zu wissen. Das klingt ein wenig kryptisch. Doch ist es nicht so, dass wir auch etwas wissen können, ohne auf erlerntes Wissen zu pochen? Wir können auch intuitiv etwas „wissen“, ohne die Fakten genau analysiert zu haben.

Aus Komplexität, Klima und Corona ist für Wirtschaftsbetriebe eine hohe Ungewissheit entstanden. „Ich habe keine Planungssicherheit mehr“, sagte mir ein Firmeninhaber erst kürzlich, „ich steuere mein Schiff mit Bauchgefühl durch Untiefen. Businesspläne und Forecasts helfen im Moment nicht, haben vielleicht eh nie geholfen.“

Was tun? Der deutsch-amerikanische Aktionsforscher Claus Otto Scharmer schlägt vor, „von der Zukunft her zu führen“, was wohl dieser Weisheit der Ungewissheit entspricht, wo man sich eher hineinspürt als vorausplant. Einen guten Beginn dafür macht das Zuhören. Jeder Mensch hört zu. Das gehört zum Alltag. Doch meist hat man im stressigen Alltag die Tendenz, nur das zu hören, was man hören will. Für alles andere bleiben die Ohren verschlossen. Eine nächste Möglichkeit wäre, die Ohren aufzuklappen und zumindest auf die Argumente zu hören, die dargebracht werden und dem eigenen Weltbild widersprechen können. Hier beginnt Lernen. Noch besser wäre es laut Scharmer, mit Empathie zuzuhören, also die Ebene der Fakten zu verlassen und wirklich hören zu wollen, wie sich ein Kunde, eine Mitarbeiterin fühlt. Dabei verlasse ich erstmals meine Komfortzone und gehe kurz in den Schuhen des anderen. Es geht nicht mehr um mich alleine, sondern um eine Ich-Du-Beziehung. Dieses empathische Zuhören ist eine Grundfähigkeit des Managements, wenn es um Innovation oder Veränderung geht. Ich bin mit einer Agenda in das Gespräch hineingegangen und bin hier bereit, diese Agenda zu verlassen.

Jetzt aber sind wir ja in einen gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess eingetreten und Transformation ist etwas anderes als Innovation. Transformation ist ein Umstülpen des Bisherigen und da wird zur Bewältigung auch die Empathie nicht ausreichen. Wir können aber zum Glück auch schöpferisch zuhören. Das hieße, im Gespräch herauszuhören, was noch nicht da ist, aber vielleicht in die Welt kommen mag. Ich verbinde mich mit einer Möglichkeit und diese Möglichkeit ist nicht etwas Beliebiges und Zufälliges, sondern hat mit mir und meinem Unternehmen zu tun. Ich gehe durch diese Art des Zuhörens auf einen Abenteuerpfad voll Entdeckungen. Ich höre auf eine entstehende Zukunft.

So kann das ganz banale Zuhören, das wir alltäglich betreiben, ein ganz wichtiger Pfad sein, durch die Unsicherheit zu navigieren und uns die Weisheit der Ungewissheit zu erschließen.