Wirtschaftsethik

Wegschauen ist nicht

Ethik
11.05.2022

Geht es nach Markus Scholz, müssen Unternehmen politische Verantwortung übernehmen. Wann Betriebe Stellung beziehen sollten, finden Sie am besten anhand von sieben Leitfragen heraus. Wie es geht, erklärt der Professor für Unternehmensethik im Überblick.
Politisch Stellung beziehen

Warum soll mein Unternehmen politische Verantwortung tragen?
„Klimawandel, Menschenrechtsverletzungen und Krieg betreffen Unternehmen und fordern diese zum Handeln auf. Sich dabei auf klassische politische Akteure zu verlassen, greift häufig zu kurz. Denn: Staaten und andere regelgebende Institutionen sind in den vergangenen Jahren schwächer geworden. Dass sich selbst globale Institutionen nur schwer durchsetzen können, hat sich auch deutlich am Scheitern einer fairen Impfstoffverteilung gezeigt. Zudem kommen nationale und internationale Regelgeber mit der Geschwindigkeit mancher technologischer Entwicklungen nicht mehr mit. Treten beispielsweise disruptive Player wie Uber oder Airbnb auf den Plan, kann es Jahre dauern, bis ihre Marktmacht reguliert werden kann. Entsprechend wichtig ist es, dass private Unternehmen selbst Verantwortung übernehmen.“

Muss ich auch als KMU Stellung zu politischen Entwicklungen beziehen?
„Kleinere und mittlere Unternehmen sind bei der Mitgestaltung regulativer Rahmenbedingungen natürlich weniger stark gefordert als große und international agierende Konzerne. Dennoch haben auch diese Unternehmen eine Verantwortung dafür, sich für den Schutz der Menschenrechte und für den Umweltschutz einzusetzen. Eine solche Verantwortung wird in der EU übrigens bald in sogenannten Lieferkettengesetzen gesetzlich vorgeschrieben werden. KMU werden hier zwar nicht direkt, aber indirekt in ihre Rolle als Zulieferer stark betroffen sein.“

Wie weit geht die Verpflichtung meines ­Unternehmens?
„Nicht jedes Unternehmen hat die gleiche Verpflichtungen. Wichtig für die Einordnung sind zwei Dimensionen. 1: Die moralische Intensität des Falls. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob es um eine verbale Diskriminierung von Minderheiten geht, obwohl auch das schlimm ist, oder um ein System, in dem Minderheiten in Konzentrationslagern interniert werden. Dabei gilt: Je höher die Intensität, umso höher die Verantwortung.
Dimension 2: Macht und Einfluss eines Unternehmens. Umso einflussreicher ein Unternehmen, umso stärker ist die Verpflichtung. Wobei nicht der Umkehrschluss gilt, dass ein einzelnes KMU wenig Macht hat und deswegen nichts tun muss. Durch den Zusammenschluss mit anderen Unternehmen, durch Kammern und Verbände wächst der Einfluss und damit auch die Verpflichtung von Unternehmen.“

Warum kann ich mich nicht heraushalten und einfach keine Stellung beziehen?
„Wird keine Stellung zu politischen und gesellschaftlichen Konflikten bezogen, kann das einer Zustimmung gleichkommen. Das stärkste Argument für die politische Verantwortung liegt deswegen auch in der Gefahr einer möglichen Komplizenschaft. Wer Einfluss hat, aber nichts tut und nur zusieht, ist eben nicht neutral, sondern kann eine legitimierende Wirkung auf die Angreifer haben. Der Holocaust-Überlebende und Nobelpreisträger Eli Wiesel hat das auf den Punkt gebracht: „We must always take sides. Neutrality helps the oppressor, never the victim. Silence encourages the tormentor, never the tormented.“

Womit muss ich rechnen, wenn ich trotzdem keine politische Verantwortung übernehme?
„Wenn Unternehmen keine politische Verantwortung übernehmen, kann sich das negativ auf ihre Reputation auswirken. Sie werden heute rasch von der öffentlichen Meinung abgestraft. Neben Konsumenten kann auch die Wahrnehmung von Regierungen eine Rolle spielen, die sich dann bei staatlichen Subventionen, Förderungen und Aufträgen negativ niederschlägt. Zudem kann sich die Nicht-Positionierung auch maßgeblich auf das Image als Arbeitnehmer auswirken.
Die heiß umworbenen ,Talents‘ erwarten zunehmend von Unternehmen, eine klare Haltung zu politischen Themen. Wesentlich ist, dass Unternehmen auch im konkreten Anlassfall im Einklang mit vorher definierten Werten handeln. Werte, die sich nur in Mission Statements und CSR-Reports auf Websites und in Hochglanzbroschüren wiederfinden, aber nicht gelebt werden, sind kontraproduktiv und zynisch.“

Welche Konsequenzen muss ich als Unternehmen bedenken, wenn ich mich in Konflikten klar positioniere?
„Wer gesellschaftspolitisch Stellung bezieht, macht sich angreifbar. In China hat bspw. H&M auf die Konzentrations- und Umerziehungslager in der Region Xian Jiang hingewiesen, in den Teile der muslimischen Minderheit der Uiguren interniert werden.

Peace - Politisch Stellung beziehen

Vor dem Hintergrund dieser massiven Menschenrechtsverletzungen gab H&M bekannt, keine Baumwolle mehr aus dieser Region beziehen zu wollen. Die Reaktion der chinesischen Regierung auf die ,westliche Einmischung in innere Angelegenheiten‘ viel heftig aus. Umsatzverluste waren die Folge sowie Internet-Troll­armeen, die versucht haben, das Unternehmen zu diskreditieren. Ähnliche Reaktionen mussten Adidas und Suitsupply erleben, die sich für Frauenrechte sowie für LGBTQI+-Themen in Ländern wie Saudi-Arabien und Russland eingesetzt haben. Aber wie gesagt, wegschauen und ,business as usual‘ ist auch keine Lösung, weil auch dieses Nicht-Handeln als politisch ausgelegt wird.
Wir können das im Ukraine-Krieg gerade beobachten. Die Unternehmen ringen mit der richtigen Position: Russ­land verlassen oder weitermachen? Keine dieser Optionen ist politisch neutral.“

Wer soll in meinem Unternehmen entscheiden wie wir politische Verantwortung übernehmen?
„Ob und wie sich ein Unternehmen positioniert, sollte nicht alleine vom Topmanagement entschieden werden. Dort gibt es schlichtweg zu wenig Expertise für diese Themen. Größere Unternehmen sollten und müssen in den meis­ten Fällen den Aufsichtsrat involvieren. Allerdings besteht dabei oft das Problem, dass auch dort die Expertise, bspw. zu Sustainability-Fragen und Menschenrechtsthemen, recht begrenzt ist. Aufsichtsräte wurden in vergangenen Jahren ausgewählt, weil sie über Netzwerke verfügen oder weil sie ein besonderes Thema, bspw. Personal oder Digitalisierung, mit ihrer Expertise gut begleiten können. Um es deutlich zu sagen: Das Thema politische Verantwortung von Unternehmen wird in den allermeisten Aufsichtsräten nicht kompetent behandelt. Fragen, ob und wie ein Unternehmen in autokratischen Staaten aktiv sein soll, wie es mit Menschenrechtsverletzungen in Gastländern umgehen soll, welche Haltung es bei der nachhaltigen Transformation einnehmen will, werden – wenn überhaupt – stiefmütterlich behandelt.“

Zur Person

Markus Scholz ist Inhaber der Stiftungsprofessur für Corporate Governance & Business Ethics an der FHWien der WKW sowie Gründer und Leiter des Institute for Business Ethics and Sustainable Strategy (IBES) und des Josef Ressel Zentrum für Collective Action und Responsible Partnerships. Neben weiteren nationalen und internationalen Positionen in Lehre und Forschung ist er Adjunct Professor und Visiting Scholar am INSEAD. Er arbeitet schwerpunktmäßig zu den Themen politisches Engagement und Verantwortung von Unternehmen.