Entrepreneurial Leadership

Warum Führungskräfte unternehmerisch denken müssen

In einer Welt voller Unsicherheiten und Umbrüche sind traditionelle Führungsansätze nicht mehr ausreichend. Warum es Entrepreneurial Leadership braucht – und was Führungskräfte von Gründer*innen lernen können.

Komplexe Herausforderungen, schwierige Entscheidungen, gleichzeitig Innovation vorantreiben und das Tagesgeschäft managen: Führungskräfte haben es in Zeiten wie diesen nicht leicht. Warum sie gut beraten sind, auf Entrepreneurial Leadership zu setzen und was sie sich von erfahrenen Unternehmern in dieser Hinsicht abschauen können, erklären Elisabeth Raes, Führungskräftecoach und Faculty Member der WU Executive Academy, und der WU-Entrepreneurship-Experte Peter Keinz.

Denkweise als Überlebensstrategie

Keinz Peter
Peter Keinz ©WU Executive Academy

Vor dem Googleplex im Silicon Valley begrüßt seit vielen Jahren ein originalgetreues T-Rex-Skelett aus Bronze die Gäste und Mitarbeitenden des IT-Konzerns. T-Rex „Stan“ steht dort als Mahnmal. „Damit wollten die Google-Gründer Larry Page und Sergej Brin hinweisen: Egal, wie stark und innovativ du als Organismus bist, du bist nicht gefeit davor, auszusterben“, erzählt Peter Keinz, Professor für Entrepreneurship an der WU Wien und der WU Executive Academy.
Globalisierung, technologische Umbrüche, geopolitische Spannungen und der rasante Fortschritt von Künstlicher Intelligenz verändern die Spielregeln in nahezu jeder Branche – und das gefühlt im Tagestakt. Unternehmen, die gestern noch auf den Top-Listen der Fortune 500 waren, verschwinden heute in der Bedeutungslosigkeit – weil sie den nächsten unternehmerischen Schritt nicht gewagt haben. In dieser Lage braucht es Führungskräfte, die mehr können als strategisch zu planen, zu führen und zu kontrollieren. Es braucht Menschen an der Spitze, die neue Chancen erkennen, mutig neue Wege gestalten und ihr Team durch Unsicherheiten navigieren können.

Was Unternehmer besser können

„Wir beobachten gerade, wie viele Organisationen am Innovationsdilemma scheitern“, sagt Peter Keinz. „Sie haben hervorragende Produkte und effiziente Prozesse, aber noch keine Antworten auf den nächsten großen Wandel.“ Entrepreneurial Leadership, also zu führen wie ein Unternehmer, ist daher kein Trend, sondern eine Notwendigkeit, um Unternehmen in die Zukunft zu navigieren.
Der Begriff „Entrepreneurial Leadership“ wird oft mit Start-ups und ihren Gründern assoziiert, doch seine Bedeutung reicht weit darüber hinaus. Er beschreibt eine Führungshaltung, die Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe – dazu befähigt, neue Möglichkeiten zu erkennen, Innovationen voranzutreiben und sich in ihrer unternehmerischen Ausrichtung und Angebotspalette immer wieder neu zu erfinden. „Ein Entrepreneurial Leader ist jemand, der sein Team nicht nur verwaltet, sondern antreibt, ermutigt und dazu befähigt, unternehmerische Chancen zu finden und auszuschöpfen und innovativ zu denken“, so Peter Keinz. „Gleichzeitig vereinen Entrepreneurial Leaders das unternehmerische Denken mit ihren Fähigkeiten als Manager*innen und Coaches – vor allem Letzteres ist wichtig, um Mitarbeitende zu neuen Lösungen zu ermutigen.“

Elisabeth Raes
Elisabeth Raes ©WU Executive Academy

„Von Entrepreneurial Leaders können Führungskräfte daher viel lernen“, ergänzt Elisabeth Raes, Führungskräftecoach und langjährige Vortragende der WU Executive Academy Faculty. Die beiden leiten gemeinsam das Modul „Entrepreneurial Leadership“ im MBA Entrepreneurship & Innovation an der Business School der WU Wien. „Wir bringen unseren MBA-Studierenden bei, dass es nicht reicht, die richtigen Strategien zu kennen“, so Keinz. „Man muss sie auch umsetzen können – und das beginnt bei der eigenen Haltung.“ Entrepreneurial Leadership sei keine Frage von Titel oder Hierarchie – sondern eine Entscheidung: für Neugier statt Kontrolle, für Gestaltung statt Verwaltung – und für Führung, die das Unternehmen zukunftsfähig macht.

Nach außen blicken, nach vorne führen

Entscheidend sei dabei der Blick nach außen, sagt Elisabeth Raes: „Es geht nicht nur darum, bestehende Profitcenter effizienter und agiler zu machen, sondern aktiv nach neuen Marktchancen, Technologien oder veränderten Kundenbedürfnissen zu suchen – und dann entsprechend mutige Schritte zu setzen.“
Diese Denkweise ist auch im Konzernkontext zentral – gerade dort, wo Strukturen oft schwerfällig seien, erläutert sie: „In etablierten Organisationen geht es nicht nur um neue Ideen, sondern darum, bestehende Strukturen so zu transformieren, dass sie Innovation nicht mehr verhindern, sondern fördern.“

Fünf Merkmale von Entrepreneurial Leaders

1. Zukunft gestalten statt Status quo verwalten

Entrepreneurial Leaders richten ihre Organisation konsequent im Hinblick auf ihre Zukunftsfähigkeit aus. Sie fördern neues Denken und neue Lösungswege, auch wenn es unbequem ist. „Entrepreneurial Leaders werden bei der Start-up-Gründung benötigt – aber auch in ausoptimierten multinationalen Konzernen, die dringend eine Transformation der Strukturen und Prozesse und neue Marktchancen benötigen“, sagt Keinz.

2. Ambidextrie leben – das Paradox managen

Unternehmen müssen heute zwei scheinbar widersprüchliche Ziele gleichzeitig verfolgen: das Bestehende effizient betreiben (Exploitation) und gleichzeitig neue Märkte und Geschäftsmodelle erschließen (Exploration). Peter Keinz spricht in diesem Zusammenhang von „organisationaler Ambidextrie“. Ein Beispiel dazu ist Google: Mit zunehmendem Wachstum erstarrte der globale Konzern in effizienten, aber innovationshemmenden Prozessen. Die Gründung von Alphabet als Holding ermöglichte es, besonders risikoreiche und visionäre Projekte in sogenannte „Moonshot Startups“ zu verlegen – mit eigenem Gehaltsmodell, neuen HR-Strukturen und neuen Freiheiten für die Mitarbeitenden. Während das Mutterschiff seinen Kurs samt Tages- und Kerngeschäft weiterfährt, können die Start-ups experimentieren, neue Tools und Produkte am Kunden testen und so Innovationen rasch und bedarfsorientiert auf den Markt bringen.

3. Diversität in den Teams gezielt nutzen

Innovation entsteht in der Regel an den Schnittstellen unterschiedlicher Perspektiven. „Die Diversität in Teams – und damit meine ich nicht nur die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, sondern auch die unterschiedlichen Skillsets, Erfahrungen und Visionen – wird oft nicht für mehr Innovation genutzt. Viele Teams scheitern an ihrer Unterschiedlichkeit, obwohl genau darin ihre größte Stärke liegt“, erklärt Elisabeth Raes. Zwar zeigten Studien, dass heterogene Teams erfolgreicher seien, „doch heterogene Teams funktionieren nicht automatisch besser. Um sie mit der Vision und Mission des Unternehmens zu alignen, brauchen sie klare Führung“, sagt Peter Keinz. Entscheidend sei es, Spannungen frühzeitig zu thematisieren und eine Kultur des konstruktiven Widerspruchs zu etablieren – etwa durch Methoden wie „Good Fights“.

4. Psychologische Sicherheit schaffen

Mut zur Meinung, zur Frage, zum Zweifel: All das braucht eine Atmosphäre, in der Menschen sich sicher fühlen. „Nur wenn ich als Führungskraft vorlebe, dass Fehler und Fragen erlaubt sind, wird auch mein Team sich trauen, das Gleiche zu tun“, sagt Elisabeth Raes. Das Konzept der psychologischen Sicherheit ist heute kein Soft Skill mehr, sondern eine Grundvoraussetzung für eine gelebte Innovationskultur. Peter Keinz ergänzt: „Und genau aus diesem Grund wird in unseren MBA-Programmen dieses Prinzip inzwischen systematisch gelehrt.“

5. Sich selbst führen können

Wer andere führen will, muss bei sich selbst beginnen. Entrepreneurial Leadership verlangt ein hohes Maß an Selbstreflexion. In der Ausbildung von Führungskräften an der WU Executive Academy kommen daher Persönlichkeitstests wie der ID37 zum Einsatz, um individuelle Motivlagen, Stärken und unbewusste Muster sichtbar zu machen. Elisabeth Raes formuliert es so: „Nur wenn ich weiß, was mich wirklich antreibt – und was mich hemmt – kann ich sinnvoll Einfluss nehmen.“

Vom Gründergeist lernen – auch im Konzern

Dass Entrepreneurial Leadership auch in forschungsstarken und technologieorientierten Organisationen funktioniert, zeigt das Beispiel der Fraunhofer-Gesellschaft. Lange fokussiert auf Auftragsforschung für die Industrie, wollte man auch Strukturen schaffen, um Spin-offs und Lizenzierungsprojekte proaktiv fördern zu können. Aufbauend auf dezentral organisierten Innovationsprojekten an verschiedenen Instituten wurde das AHEAD-Programm geschaffen – ein Inkubationsprogramm für Deep-Tech-Start-ups, das als europäisches Best-Practice-Beispiel gilt. Wesentlicher Erfolgsfaktor dieses Programms ist die nahtlose Einbettung in die Fraunhofer-Gesamtorganisation – das Ergebnis einer systemischen Transformation, die visionäre Führungskräfte mit stark ausgeprägtem Unternehmergeist initiiert haben und bis heute weiter vorantreiben.

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