Koisser macht Mut

Switch off the Support

Kolumne
12.09.2022

Angesichts neolithischer Bauwerke und eines topmodernen Leihwagens erinnere ich mich im Urlaub daran, dass ich ein Hirn, Augen und Lebenswillen habe
newgrange Irland

 „Wenn du nicht klüger zurückkommst, dann war’s keine Reise“, hat Tante Martha immer gesagt. Also sitze ich hier in meinem Domizil in Irland und versuche, aus dem bisher Erlebten klüger zu werden. Ich blicke auf den Knocknarea, einen kahlen, allein stehenden Monolithen, der aussieht wie eine große Brust. Wenn man den Berg besteigt, erkennt man, dass die Brustknospe ein enormer Steinehaufen ist, den bronzezeitliche Menschen vor 5.000 Jahren auf das Plateau gesetzt haben. Fachlich korrekt ist es ein Cairn, ein Grabmal, das aber die Funktion des Grabes nur nebenher erfüllt hat. Eher war es Kult- und Gedenkort. Hier wurden die Ahnen und das Wunder des Lebens verehrt.

Unter den Stein-und Erdmassen vermutet man Ganggräber, überprüft wurde das hier am Knocknarea nie. Das Grab der Queen Maeve dort oben wurde in Ruhe gelassen. Wie es in so einem übermächtigen Cairn aussieht, weiß ich schon von Knowth und Newgrange, zwei Cairns, in welche das Grab der Maeve mehrfach hineinpassen würde. Ich bin staunend und ehrfürchtig vor diesen architektonischen Meisterwerken gestanden. Würde ein heutiger Architekt eine Konzerthalle bauen, die aussieht wie das 5.200 Jahre alte Newgrange, wäre ihm Applaus gewiss. Eine mächtige grasbewachsene, flach gerundete Kuppel wird unten von großen, tonnenschweren Steinen wie ein Diamant gefasst. Die Steine sind verziert. Mit Stein wurden Muster in den Stein gehauen. Man kann das Monument betreten. Dabei zwängt man sich durch einen langen Tunnel aus aufrecht stehenden Steinen in die inneren, kleeblattförmig angeordneten Kammern. Der hauptsächliche Witz dieses mit großer Fertigkeit und Mühsal errichteten Bauwerks besteht darin, dass genau zur Wintersonnenwende die Sonne für gerade einmal 17 Minuten einen satten Strahl in das stockdunkle Innere sendet. Dort harrte eine erlesene Runde weiser Frauen und Männer, um das Wunder des wiederkehrenden Lebens zu bezeugen. Der Sonnengang hat sich gewendet, das fruchtbare Halbjahr begonnen. Es würde wieder Getreide für Mensch und Tier geben.

Lesson Number One: Um so etwas zu bauen, muss man planen können, braucht astronomisches Wissen und Zeitmanagement. Unsere Vorfahren waren durchaus intelligent. Sie hatten bloß noch nicht so ausgefeilte Werkzeuge wie wir. Die Bauten stehen nach über fünftausend Jahren immer noch, was man von modernen Häusern nicht behaupten kann.

Lesson Number Two: Der gemeinsame Wille war enorm. Das wichtigste Movens dieser enormen baulichen Anstrengungen war ein Zusammenhalt, wie wir ihn heute nicht mehr kennen. So etwas wie Knowth oder Newgrange war ja nicht der Spleen einer exaltierten neolithischen Sippe, sondern das Gemeinschaftswerk aller Menschen in der Region. Über Generatio­nen hinweg. Sie haben alle gemeinsam an etwas geglaubt. Um den heutigen Klimawandel abzuwenden, würde uns ein ähnlich verbindender Wille, über Völker und Generationen hinweg, gut bekommen. Auch das Abwenden der Klimakatastrophe ist schließlich ein Ja zum ewig wiederkehrenden Leben. Wir brauchen ein Newgrange – in jedem einzelnen Kopf. Zu den vielen neolithischen Monumenten bin ich mit einem Leihwagen gefahren, einem jener topmodernen Exemplare der Mechatronik, das mit einem Auto, wie ich es aus meiner Kindheit kenne und immer noch fahre, nichts mehr zu tun hat. Andauernd piepst dieses Ding und ermahnt mich zu etwas. Die Durchfahrt zum Parkplatz eines Guesthouses ist so schmal, dass ich die Seitenspiegel einklappen muss und es sich gerade ausgeht. Das Auto stört meine Konzentration mit anhaltendem ohrenbetäubendem Piepsen und vielfältigen Grafiken am Display. So als sähe ich nicht, was ich gerade tue. Besonders perfide ist der Spurhalteassistent, der es als Aufgabe ansieht, den breiten SUV auf den schmalen irischen Straßen zwischen Steinmauern auf der einen und weißer Mittellinie auf der anderen Seite zu halten. So als wäre das nicht mein Job als Fahrer. Einmal überhole ich einen Radfahrer und überfahre ohne zu Blinken den Mittelstreifen. Der Spurhalteassistent ist dagegen und lenkt zurück. Zum Schrecken des Radfahrers und von mir selbst. Wenn ich vom Gas gehe, beschleunigt oder bremst das Auto auf die gerade erlaubte Höchstgeschwindigkeit, was zu interessanten Fahrsituationen führt. Besonders hysterisch reagiert mein Leihraumschiff darauf, wenn ich alles abschalte. The Infotainment and Support Center is switched off, schreibt es unter immer wiederkehrendem Piepsen am Display.

Lesson Number Three: Noch können wir die Infotainment- and Support-Center ausschalten und uns daran erinnern, dass wir ein Hirn, Augen und Instinkte haben. Es wird nicht die Technik sein, die uns rettet, nur ein gemeinsamer Wille zum ­Leben.