Stärken nutzen statt Schwächen bekämpfen
Viele Menschen richten ihren Blick vor allem auf ihre Defizite – privat wie beruflich. Doch wer seine Stärken kennt und gezielt fördert, kann sein Potenzial deutlich besser entfalten und erfolgreicher handeln.
Viele Menschen versuchen ihr Leben lang, ihre „Schwächen“ auszumerzen. Sinnvoller wäre es, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und diese auszubauen. Denn nur, wer seine Talente kennt und schleift, wird irgendwann wirklich spitze.
„Ich habe wenig Selbstvertrauen.“ „Ich bin kein kommunikativer Typ.“ „Ich werfe bei Problemen schnell die Flinte ins Korn.“ Solche Aussagen hört man oft, wenn man Menschen fragt, warum ihnen bestimmte Aufgaben und Situationen Probleme bereiten. Sie beschreiben dann so detailliert ihre Schwächen, dass man den Eindruck gewinnt: Diese Person hat nur Schwächen. Dabei zeigt ein Blick in ihren Lebenslauf: Die Person hat ihr Leben bisher mit Erfolg gemeistert.
Was wir gut können, halten wir für selbstverständlich
Also stellt sich die Frage: Warum strotzt die Frau nicht vor Selbstvertrauen? Oder: Warum sagt der Mann nicht nonchalant: Okay, ich bin zwar kein brillanter Unterhalter, doch ein gefragter Ratgeber? Eine Ursache hierfür ist: Was wir gut können und tun, erachten wir oft als selbstverständlich – und denken: Das kann doch jeder.
Anders verhält es sich bei den Denk- und Verhaltensmustern, an denen wir uns regelmäßig stoßen. Hier fragen wir uns zum Beispiel immer wieder: Warum bin ich nicht so selbstbewusst wie die Fernsehmoderatorin Barbara Schöneberger? Oder so smart wie Günther Jauch? Oder so selbstsicher wie meine Kollegin, die stets klar sagt, was sie will? Endlos beschäftigen wir uns mit unseren Schwächen. Und wir verwenden vor allem Energie darauf, diese abzubauen, statt unsere Stärken auszubauen. Das ist kein Zufall.
Die Konzentration auf Schwächen ist antrainiert
Viele Eltern betonen beim Erziehen ihrer Kinder stets deren Schwächen. Endlos nörgeln sie an ihnen herum: „Konzentriere dich mehr“, „Sei ordentlicher“, „Jammere nicht“. Und wenn diese zum Beispiel mit einer Fünf in Mathe nach Hause kommen, dann steht für sie fest: „In Mathe musst du dich auf den Hosenboden setzen. Und wenn das nichts nützt, brauchst du Nachhilfe.“ Für die Eins in Englisch hingegen gibt es nur ein kurzes Lob. Dann ist das Thema abgehakt. Und schon gar nicht wird aus der mühelos erworbenen Eins der Schluss gezogen: „Hier liegen offensichtlich deine Talente. Also solltest du hier mehr tun.“
Ähnliche Erfahrungen sammeln wir im Berufsleben. Auch hier registrieren wir oft: Unser Chef erachtet das, was wir gut machen, als selbstverständlich – sei es, dass wir alle Termine einhalten oder viel Eigeninitiative zeigen. Also verliert er kaum Worte hierüber. Stattdessen erörtert er mit uns, was nicht so gut lief. Nur selten bespricht er mit uns aber, warum wir eine Aufgabe gut erledigt haben und welche Fähigkeiten wir dabei zeigten. Und noch seltener, wie unser Arbeitsfeld aussehen sollte, damit wir unsere Stärken noch mehr entfalten können.
Übertriebene Stärken wirken wie Schwächen
Deshalb streben viele Menschen vor allem danach, ihre Schwächen auszumerzen. Doch dies ist selten von Erfolg gekrönt. Denn wenn wir vor allem versuchen, unsere „Schwächen“ zu beheben, statt unsere Talente zu schleifen, entrinnen wir nie der Mittelmäßigkeit. Ein Boris Becker wäre zu seiner Zeit nie der beste Tennisspieler der Welt geworden, wenn er zugleich versucht hätte, den Nobelpreis in Physik zu erlangen. Denn nur wenn wir unsere Energie auf unsere Stärken konzentrieren, werden wir mit der Zeit Spitzenkönner.
Hinzu kommt: Die meisten Menschen haben weniger Schwächen, als sie glauben. Viele sogenannte Schwächen entpuppen sich bei genauem Hinsehen als Stärken. So arbeitet zum Beispiel eine Person, die „zur Pedanterie neigt“, sehr gewissenhaft – eine Eigenschaft, die nicht nur jeder Buchhalter braucht. Zur Schwäche wird dieses Verhalten nur bei Aufgaben, deren Lösung eher Schnelligkeit als Genauigkeit erfordert.
Ähnlich verhält es sich mit den meisten „Schwächen“: Sie sind übertrieben ausgeprägte Stärken. So wird aus einer hohen Leistungsbereitschaft schnell blinder Ehrgeiz. Und aus Vorsicht resultiert oft mangelnde Entschlusskraft – wenn wir die falschen Aufgaben wahrnehmen.
Kleine Korrekturen statt radikaler Wandel
Dasselbe Verhalten kann also eine Stärke und eine Schwäche sein – je nachdem, wann und wo wir es zeigen. Dies ist vielen Menschen nicht bewusst. Wenn sie immer wieder mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, verdichtet sich bei ihnen irgendwann das Gefühl: Hier habe ich eine Schwäche. Dieses wird mit der Zeit so stark, dass sie ihre Stärken aus dem Blick verlieren. Entsprechend unsicher werden sie. Dann ist oft ein neutraler Gesprächspartner nötig, der ihnen die Augen wieder öffnet – für ihre offensichtlichen Stärken und die Stärken, die sich hinter ihren „Schwächen“ verbergen. Hieraus ergeben sich neue Handlungsperspektiven.
Ein solches Augenöffnen ist auch sinnvoll, weil viele Menschen, die oft an dieselben Barrieren stoßen, glauben: Ich muss mich radikal verändern. Wenn ihre Schwächen jedoch nur verdeckte Stärken sind, ist dies nicht nötig. Dann genügen oft kleine Denk- und Verhaltenskorrekturen – und schon meistern sie ihr Leben mit Erfolg.
Zu den Autor*innen

Elke Katharina Meyer, Frank Nesemann und Thomas Achim Werner haben das Buch „Positiv führt! Mit Positive Leadership Teams und Organisationen empowern“ verfasst. Gemeinsam bilden sie das Führungsteam des Beratungsunternehmens Positivity Guides, Berlin/Braunschweig (www.positivity-guides.de), das auf das Themenfeld Positive Führung und Positive Leadership spezialisiert ist und unter anderem Trainings hierzu anbietet.



