Technikwelt-Perspektiven

IT-Girls auf dem Vormarsch

Digitalisierung
08.06.2022

Frauen prägen die Technikwelt – zum Beispiel, indem sie bei der Entwicklung von Produkten, Software und Algorithmen eine wichtige zusätzliche Perspektive einbringen. Endlich kommen auch immer mehr von ihnen vor den ­Vorhang – und ebnen den Weg für den ­weiblichen IT-Nachwuchs.
IT-Ladies

Immer wieder hört Kristina Maria Brandstetter, Marketing- und Kommunikationsleiterin beim Innovationsdienstleister Zühlke in Österreich, den Satz: „Wir würden ja Frauen aus der Technik einstellen, aber wir finden keine.“ Diese „furchtbare Ausrede“ lässt Brandstetter nicht gelten: „Es gibt die Frauen da draußen. Du musst sie fördern und du musst sie ansprechen.“ Und sie heißen nicht nur Christine Antlanger-Winter, Sabine Herlitschka und Dorothee Ritz: Antlanger-Winter, Country-Direktorin von Google Österreich, Herlitschka, CEO und CTO von Infineon Österreich, und Ritz, Geschäftsführerin für Produktlösungen und Digitales bei E.ON Deutschland und frühere General Managerin von Microsoft Österreich, sind die immer gleichen Aushängeschilder, sobald es um Frauen in der Technik geht. Dabei gibt es so viel mehr kompetente Frauen in der Technik, die auf Podien und bei Interviews ihre Expertise einbringen können – übrigens auch fachlich und nicht nur im Diversity-Panel. Und sie werden mehr.
Sie vor den Vorhang zu holen und viele weitere Frauen zu ermächtigen, damit sie den bekannten Rolemodels folgen können, haben sich TheNewITGirls auf die Fahnen geschrieben, die Astrid Wieland, Vertriebsleiterin KMU für Business Applications bei Microsoft Westeuropa, und Doris Schlaffer, Business Consultant beim Software-Unternehmen Communardo, 2019 gegründet haben. Auch Kristina Maria Brandstetter war in der Gründungsphase mit dabei und sitzt jetzt im Vorstand. Weil es oft schon am Einstieg hapert, haben TheNewITGirls ein „Boostcamp“ ins Leben gerufen, das Frauen einen niederschwelligen Zugang zur IT verschaffen soll. Erstmals stattgefunden hat der achtwöchige Kurs, der sowohl Hard Skills wie Cloud-Basiswissen als auch Soft Skills wie Karriere- und Gehaltscoachings beinhaltet, Anfang 2022. Brandstetter brachte den 110 Teilnehmerinnen etwa näher, selbstbewusst über Erfolge zu sprechen. Brandstetter berichtet: „Die Teilnehmerinnen haben gesagt: Mich interessiert IT schon so lange – endlich habe ich die Chance, einen Einstieg zu finden.“ Firmen bieten diese Chance – mit wenigen Ausnahmen – nicht. Für das Boostcamp wurden TheNewITGirls sogar mit dem Award „Impact of Diversity 2022“ ausgezeichnet.

Es gibt die Frauen da draußen. Du musst sie fördern und ansprechen.

Kristina Maria Brandstetter, Zühlke

Kristina Maria Brandstetter
Kristina Maria Brandstetter, Zühlke

Klischees aufbrechen
Solche Angebote, Podiumsdiskussionen und Events, bei denen Frauen aus der Technik ins Licht treten, sorgen für Vorbildwirkung beim Technik- und IT-Nachwuchs. Egal, mit wem man über das Thema spricht – alle betonen die Bedeutung von Rolemodels. Brandstetter: „Für junge Mädchen sind Rolemodels das Wichtigste überhaupt. Gerade in männerdominierten Branchen wie der IT muss man sie sichtbar machen.“ Oft geht es darum, ihnen die Angst vor technischen Berufen zu nehmen. Das Klischee des Nerds, der im Keller mit der Pizza im Mund vor sich hin programmiert, hält sich hartnäckig. Brandstetter: „Die IT-Branche ist extrem kreativ, abwechslungsreich und spannend und bietet sehr gute Verdienstmöglichkeiten und Flexibilität.“ Damit sich das endlich herumspricht und auch Mädchen und Frauen sich für Jobs in der IT begeistern, braucht es Vorbilder. Brandstetter: „Ich möchte einmal eine Fernsehserie haben, in der die Mama programmiert! In solchen Bereichen fehlen die Rolemodels.“
Damit Frauen mit IT-Berufen in Kontakt kommen können, brauche es auch nicht unbedingt Artikel in Computer-Fachmedien, sondern vielmehr in Frauenzeitschriften, die schon Mädchen ansprechen. Deshalb ist der Vereinsname TheNewITGirls auch ein Wortspiel mit den It-Girls der 90er-Jahre, die stark und selbstbewusst aufgetreten sind: „Wir wollen erreichen, dass Mädchen, die It-Girls googeln, Rolemodels aus der IT finden.“

Mich beeindruckt auch die alleinerziehende Mutter.

Doris Christina Steiner, Jung von Matt Donau

Doris Christina Steiner
Doris Christina Steiner, Jung von Matt Donau

Rolemodels waren auch für Doris Christina Steiner wichtig. Sie ist seit Mai Geschäftsführerin bei der Werbeagentur Jung von Matt Donau und dort für Social Media, PR und Branded Content zuständig. Was weibliche Vorbilder betrifft, hat sich Steiner vor allem international orientiert, weil Österreich aus ihrer Sicht noch sehr konservativ geprägt ist: „Als ich 2014 Marissa Mayer bei den Cannes Lions gesehen habe, wie sie als schwangere Yahoo-CEO aufgetreten ist, habe ich gedacht: Wow, you can have both!“ Mittlerweile hat Steiner selbst einen knapp dreijährigen Sohn und ist CEO einer der größten Kreativagenturen Österreichs mit rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – und das im Alter von 34 Jahren. Zu ihren Vorbildern gehört auch Randi Zuckerberg, die Schwester von Facebook-Gründer Marc, die auch bei Facebook gearbeitet hat und mittlerweile selbst das Unternehmen Zuckerberg Media gegründet hat sowie leitet und die ebenfalls Familie hat. Zuckerberg hat, nebenbei erwähnt, auch das Kinderbuch „Dot.“ veröffentlicht, mit dem sie jungen Mädchen neue Technologien, Mathematik und Naturwissenschaften näherbringen will.

Nicht nur im Marketing braucht es Frauen.

Susanne Holzer, Liechtenecker UX Design Studio

Susanne Liechtenecker
Susanne Holzer, Liechtenecker UX Design Studio

Zu Unrecht unsichtbare Frauen
Aber nicht nur die bekannten Gesichter haben Vorbildwirkung. Doris Christina Steiner sagt: „Mich beeindruckt auch die alleinerziehende Mutter hier in der Agentur, die ihren Vollzeitjob schafft, oder die Oma, die nach dem Krieg ohne Geld fünf Kinder durchgebracht und Deserteure versteckt hat.“ Es gebe auf der einen Seite die Galionsfiguren und auf der anderen die „zu Unrecht unsichtbaren Frauen“. Auch die Frauen in ihrer direkten Umgebung haben Steiner geprägt und motiviert, so etwa die Mitgründerinnen von Digitalista, einem Verein, der sich von 2013 bis 2017 für mehr Frauen in der Digitalbranche engagiert hat. Zu ihnen gehören Susanne Holzer, CEO von Liechtenecker UX Design Studio, die Tech-Journalistin, Herausgeberin und Medienberaterin Elisabeth Oberndorfer oder Gudrun Schweighofer, die mittlerweile in die Filmbranche gewechselt ist.
Auch Susanne Holzer, gefragt nach ihren Vorbildern, verweist auf die Digitalista-Runde: „Es gibt nicht nur eine Frau, die mich geprägt hat. Am meisten hat mich mein Umfeld geprägt, vor allem die Wegbegleiterinnen von Digitalista, mit denen ich mich immer noch viel austausche.“ Holzer liebt zudem Geschichten über spannende Unternehmerinnen in Business-Magazinen – wenngleich sie dazu sagt, dass sie genauso gern Artikel über interessante Unternehmer liest. In ihrem eigenen Unternehmen ist das 16-köpfige Team gut gemischt, was die Geschlechterverteilung betrifft. Holzer hält es für wichtig, dass in der Technik genug Frauen arbeiten – nicht zuletzt, damit die Produkte und die Software keinen „Bias“ aufweisen: „Nicht nur im Marketing braucht es Frauen, sondern auch bei der Programmierung von Algorithmen. Wir leben im Zeitalter von Machine-Learning und Maschinen arbeiten so, wie sie gefüttert werden.“ Werden sie beispielsweise vor allem von Männern gefüttert, wirkt sich das auf die Technologie und die Produkte wie etwa Versicherungen, Kredite oder Apps aus. Als Beispiel nennt Holzer die Software Google Translate, die den englischen Satz „My friend is a doctor“ bis 2020 auf Spanisch automatisch mit „Mein Freund ist ein Arzt“ übersetzt hat. Mittlerweile werden sowohl die weibliche als auch die männliche Form angeboten. Noch nicht korrigiert wurde folgendes Problem: Die Übersetzung von „She is a doctor“ ins Bengalische und dann zurück ins Englische führt zum Ergebnis: „He is a doctor“.

Christine Wahlmueller-Schiller
Christine Wahlmüller-Schiller

In Pink vorbei an der Zielgruppe
Holzer betont, dass es nicht nur um Frauen, sondern generell um Diversität in der Technik geht, etwa auch um Menschen mit Migrationshintergrund oder verschiedenen Alters: „Wenn es meine Agenda ist, ein Produkt zu schaffen, das für alle gut sein soll, ist es besser, wenn ich von Anfang an ein diverses Team einbeziehe.“ Sie weist darauf hin, dass es nicht darum geht, Produkte pink einzufärben, wie es etwa bei den Pinky Gloves war: Hier wurde völlig an der Zielgruppe vorbei ein Produkt, nämlich pinke Menstruationshandschuhe, konzipiert, das dann auch einen Shitstorm erntete, der zum Ende des Produkts führte. In der Praxis sieht das mit den diversen Teams aber oft nicht so einfach aus. Holzer: „Ich würde gern viel mehr Fokus darauf legen, Frauen ins Team zu bringen, und natürlich würde ich sehr gerne weibliche Programmiererinnen einstellen. Die Recruiting-Situation ist aber gerade sehr angespannt. In Wahrheit müssen die Personen vor allem fachliches Know-how haben und wahnsinnig gut in unser Team passen.“ Und die Abgänger technischer Ausbildungen sind nun mal nach wie vor zu einem Gutteil männlich.
Der Bedarf an Frauen in der Technik, von Vernetzung, Förderung und Sichtbarmachung ist so groß, dass sich fast zur gleichen Zeit wie TheNewITGirls ein ähnlicher Verein gegründet hat: Das Netzwerk WOMENinICT wurde 2020 von sechs Initiatorinnen unter dem Dach des Verbands Österreichischer Software Industrie (VÖSI) gegründet, darunter Gerlinde Macho, Gründerin und Gesellschafterin von MP2 IT-Solutions, Brigitte Rafael, Senior IT Consultant bei Avanade, und Christine Wahlmüller-Schiller, am Center for Technology Experience des AIT für Marketing und Kommunikation zuständig. Mittlerweile gibt es 20 WOMENinICT-Botschafterinnen, welche die Ziele der Special-Interest-Group vorantreiben: Frauen in der ICT-Branche, die auch das Kommunikationsthema beinhaltet, sichtbarer machen, Mädchen und junge Frauen für IT und Digitalisierung begeistern, für Chancengerechtigkeit eintreten, ein Netzwerk und den Austausch zu aktuellen Themen bieten. Dazu werden regelmäßig Rolemodel-Events veranstaltet, bei denen es etwa darum geht, Berufsbilder wie Software-Developerin, IT-Security-Expertin, Software Quality Engeneer oder Software-Testerin vorzustellen. Auch ein Mentoring-Programm gehört zum Angebot. Schon jetzt hat der Verein 600 Mitglieder – darunter auch einige Männer, denen Frauen in der Technik ein Anliegen sind.

Einfluss von Eltern und Lehrenden
Wichtig ist den Initiatorinnen, Frauen Mut zu machen, sich in ICT-Berufe zu wagen. Christine Wahlmüller-Schiller sagt: „Frauen und Mädchen können jeden Job in der IT-Branche machen.“ Dass dieser Satz ausgesprochen werden muss, liegt daran, dass es noch immer extrem wenige Mädchen gibt, die technische Berufe erlernen oder ein technisches Studium beginnen und abschließen – auch die Dropout-Quote ist bei Frauen sehr hoch. Wahlmüller-Schiller: „Wenn man in HTL-Lehrgänge schaut, gibt es dort meist nach wie vor nur ein oder zwei Mädchen pro Jahrgang.

Christine Noll
Christiane Noll

Christiane Noll begleitet als Country-Managerin von Avanade Österreich die digitale Transformation von Kunden mit IT-Lösungen und Beratung. Auch sie möchte mehr Frauen in der Technik sehen. Im Vorwort ihres gerade erschienenen Buches „IT-Girls: Wie Frauen die digitale Welt prägen“ erzählt sie von „einem dieser großen Technologiekongresse in Wien“, bei denen von 70 Vortragenden nur sieben Frauen waren – eine davon sie selbst. Auf Nachfrage beim Veranstalter hörte sie das Übliche: „Es gibt ja keine Frauen.“ Da sie es besser wusste, weil sie damals schon „viele coole, tolle und überaus intelligente Frauen“ kannte, „die Vorreiterinnen in der Branche sind“, nahm sie sich vor, einige vor den Vorhang zu holen. Das Ergebnis sind 18 Porträts im genannten Buch.
Und was sind die Erkenntnisse aus ihren Gesprächen mit diesen Frauen, die Noll an den Nachwuchs bzw. Quereinsteigerinnen weitergeben möchte? Sie fasst sie in zehn Punkten zusammen (siehe Kasten). Ihr Plädoyer an die Frauen, die als Nächstes die Technikwelt prägen möchten: „Berührungsängste abbauen, mutig sein und Neues wagen, neugierig in diese – vielleicht fremde – Welt eintauchen, Optionen erkennen und Chancen nutzen, sich selbstbewusst etwas zutrauen, fragen und probieren – und unseren Rolemodels in ihren Fußstapfen folgen und damit selbst neue erschaffen.“ Dann heißt es bald öfter: „Meine Freundin ist Programmiererin.“

10 Gebote

Christiane Noll, Country-Managerin von Avanade Österreich, hat für ihr Buch „IT-Girls: Wie Frauen die digitale Welt prägen“ Interviews mit Frauen in der IT geführt – und fasst die Learnings in zehn Punkten zusammen:
1. Sei mutig
2. Nutze die Chancen
3. Arbeite hart
4. Sei neugierig
5. Vergiss Perfektionismus und sei pragmatisch
6. Sei laut und direkt und umsetzungsstark
7. Bleib begeistert
8. Sei empathisch
9. Sei selbstbewusst und resilient
10. Nutze Mentoren und Netzwerke