Interview

„Im Marketing braucht es Mut“

Marketing
24.05.2023

Wer allen gefallen will, gefällt niemandem, sagt Doris Christina Steiner, Geschäftsführerin bei Jung von Matt. Sie erklärt, wie Unternehmen den Mittelweg finden können – zwischen Auffallen um jeden Preis und Markenauftritten, die sich aus Angst vor einem Shitstorm mit Einheitsbrei zufriedengeben.
Doris Christina Steiner, Geschäftsführerin der Kreativagentur Jung von Matt
Doris Christina Steiner, Geschäftsführerin der Kreativagentur Jung von Matt

Sie haben vor Kurzem auf LinkedIn gepostet, dass viele Unternehmen einen langweiligen und austauschbaren Marketing-Auftritt haben, weil sie allen gefallen wollen – dem oder der CEO, dem Team, den Medien und der Twitter-Bubble. Warum ist das ein Problem?

Doris Christina Steiner: Das ist ein Riesenthema. Schauen Sie sich nur an, wie ähnlich die Imagefilme der Unternehmen sind. Ich habe einmal einem Kunden die Imagefilme seiner Mitbewerber gezeigt und ihn gefragt, welcher Film von wem ist. Es war unmöglich, das zu beantworten, weil alle Mitbewerber mit denselben Werten – Vertrauen, Qualität, Nachhaltigkeit und Innovationsführerschaft – kommuniziert haben. Wie soll der potenzielle Kunde, zu dem es noch keine Beziehung gibt, da entscheiden, welches Unternehmen für ihn am spannendsten ist?

Heißt das, Unternehmen, die es allen recht machen wollen, riskieren, austauschbar zu werden und Marktanteile zu verlieren?

Ja, denn in einer globalen Wirtschaft reicht es nicht, Innovationsführer zu sein oder das beste Produkt zu haben. Wer Marktanteile ausbauen will, braucht die Marke. Wir bei Jung von Matt definieren Marke über die Unterscheidung zum Wettbewerb. Ganz besonders in Branchen, die austauschbare Produkte anbieten, ist die Marke das Um und Auf, um Konsumentinnen oder B2B-Kunden zu überzeugen. Marken-Aufbau heißt Business-Aufbau. Doch es gibt auch Unternehmen, die es trotz austauschbarer Produkte mit cleverem Marketing geschafft haben, an die Weltspitze zu gelangen.

Welche fallen Ihnen ein?

Ein gutes Beispiel ist der Vorarlberger Beschläge-Hersteller Blum, der ein lebhaftes Branding gewählt hat, das Spaß macht. Blum ist nicht nur gelungen aufzufallen, sondern auch die Unternehmenskultur in der Marke widerzuspiegeln. Denn Auffallen um jeden Preis ist auch nicht sinnvoll. Wenn die Botschaft nichts mit dem Markenkern und den Markenwerten zu tun hat, bringt das nur kurze Aufmerksamkeit, zahlt aber wenig auf die Marke ein. Ein sehr bekanntes Beispiel von Jung von Matt ist auch Sixt. Als Sixt angefangen hat, mit Jean-Remy von Matt zusammenzuarbeiten, war es ein Mittelständler – heute ist es ein börsennotiertes Unternehmen.

Was war das Erfolgsrezept?

Sixt zieht seit über 30 Jahren konsistent eine sehr pointierte Kommunikation durch. Heute erkennt jeder sofort an den Farben und an der Tonalität, um welchen Autovermieter es geht. Das Beispiel zeigt, wie wichtig die Marke ist, und auch, dass so eine Entwicklung über Jahre oder Jahrzehnte durchgezogen werden muss.

Und was sind typische Fehler, die Unternehmen bei Marketing und Werbung machen?

Der größte Fehler, den wir sehen, ist, Kunden und Konsumentinnen nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Costumer-Centricity bedeutet zu überlegen, wie ich meinem Kunden helfen kann, erfolgreich zu sein. Wenn ich nur die Unternehmenssicht einnehme, entstehen austauschbare Ergebnisse. Ein anderer Fehler ist, ohne Strategie einfach mal was umzusetzen. Man kann heute relativ kostengünstig und rasch hochwertige Videos drehen und digitale Assets erstellen. Aber oft ist das nur handwerklich gut umgesetzter Content ohne Aussagekraft für die Marke.

Wie groß ist dabei die Gefahr, langweilige Werbebotschaften auszusenden, die nicht hängen bleiben, weil Unternehmen versuchen, ein aalglattes Image zu vermitteln?

Im Marketing und in der Kommunikation braucht es Mut. Jean-Remy von Matt sagte mir kürzlich: Mut ist die Bereitschaft, etwas zu verlieren für das große Ziel. Was können wir im Marketing schon verlieren? Etwas Geld. Aber eine schlechte Kampagne kann auch Geld verbrennen. KMU, wo die Entscheider auch die Eigentümer sind, haben einen Vorteil: Sie können mutige Entscheidungen treffen, ohne sich vor Investoren, Shareholdern oder Aufsichtsräten zu rechtfertigen.

Wo haben Sie Mut bei Entscheidern zuletzt erlebt?

Mut heißt nicht, auf Teufel komm raus draufzuhauen, sondern etwas zu machen, was jenseits der Konventionen der Branche ist. Das ist zum Beispiel unseren deutschen Kolleginnen und Kollegen mit der Kampagne „Like a Bosch“ gelungen.

Was ist das Besondere daran?

Die Kampagne hat eine sehr frische und positive Tonalität. Bosch ist ja ein sehr rationales Business, bei dem es um Technik und Elektronik geht. Jetzt wird die deutsche Ingenieurskunst nicht mehr steif, sondern frisch und lebendig kommuniziert. Das hat sich tatsächlich positiv aufs Business ausgewirkt. Und die Kampagne wird auch von der Belegschaft gefeiert, die findet: Endlich sind wir mal nicht langweilig und werden so gezeigt, wie wir sind. Man sollte nicht vergessen, wie wichtig Werbekampagnen auch für Mitarbeitende sind, die sich mit der Unternehmensmarke identifizieren und stets die ersten Markenbotschafter sind.

Es scheint sogar, dass die Außenauftritte vieler Unternehmen vor allem darauf abzielen, neue Mitarbeiter anzuziehen.

Du kannst kein Produkt verkaufen, wenn es niemanden gibt, der es herstellt. Die Nachfrage nach Employer-Branding-Kampagnen steigt deshalb stark. Für viele KMU ist es etwas Neues, sich mit der Arbeitgebermarke auseinanderzusetzen. Auch hier gilt: Eine lustige und bunte Werbekampagne allein reicht nicht. Ich muss als Arbeitgeber auch einen tollen Arbeitsplatz, eine tolle Unternehmenskultur und ein entsprechendes Produkt anbieten. Denn Unternehmen werden heute an ihren Taten, nicht an ihren Worten gemessen – das gilt etwa auch für das Thema Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeitskampagnen, in denen gesagt wird, dass man eh eine E-Auto-Flotte hat und PV-Panels am Dach, reichen heute nicht mehr aus. Nachhaltigkeit muss im Kerngeschäft beginnen.

Ist es besser, einen Shitstorm zu riskieren, als in Würde und Unsichtbarkeit zu sterben?

Unternehmen, die etwa immer noch meinen, ihr Produkt mit nackten Menschen und vor allem nackten Frauen zu verkaufen, sei ein Shitstorm vergönnt. Aber ein Großteil der Shitstorms passiert, weil konzeptionell zu wenig mitgedacht wurde. In den meisten Fällen werden unbedarft Minderheiten oder Gruppen diskreditiert, weil man sich nicht mit dem Thema Diversity auseinandergesetzt hat. Auch uns ist das in der Vergangenheit passiert. Wir haben daraus gelernt und neue Prozesse entwickelt, damit wir diese Fehler nicht mehr wiederholen.

Was tun Sie konkret?

Wir achten darauf, in unseren Kreations- und Beratungsteams Personen zu involvieren, die persönlich betroffen sind, und überlegen uns in der Konzeptions- und Umsetzungsphase einer Kampagne, ob und wie wir damit aufregen könnten. Dafür holen wir Experten und Expertinnen herein, die sich glaubwürdig für eine bestimmte Gruppe engagieren. Mit ihnen besprechen wir, wo der Grat ist, auf dem wir uns bewegen können, um nicht diskreditierend oder diskriminierend zu sein.

Wie schwierig ist es, den goldenen Mittelweg zu finden, sodass man nicht zu sehr provoziert und trotzdem Aufmerksamkeit erregt?

Unternehmen sollten sich trauen, ein gewisses Risiko einzugehen. Wir haben zum Beispiel im vergangenen Jahr für Burger King die Kampagne „Normal oder mit Fleisch?“ gelauncht, die mit den Konventionen einer Burger-Kette bricht, weil sie die Norm umdreht: Bisher musste man dazusagen, wenn man seinen Burger pflanzlich haben wollte. Jetzt ist es umgekehrt: Der pflanzliche Burger ist die Norm. Wir wollten damit bewusst für eine gewisse Aufregung sorgen. Und da Burger King immer etwas aneckend war, passt der etwas konfrontative Zugang auch zur Marke.

Und wie ist die Kampagne angekommen?

Wir haben viel mehr Konsens erhalten, als wir dachten. Aber natürlich haben wir und Burger King auch Nachrichten bekommen, wo Menschen meinten: Ihr diskreditiert die, die Fleisch essen. Wir haben aber nie gesagt, Fleisch essen ist doof. Wir haben nur die Norm hinterfragt. Und allein das hat schon für Aufsehen gesorgt. Manche meinten auch: Hättet ihr das nicht harmloser formulieren können? Dann wäre aber die Kampagne nicht durchgedrungen. Das zeigt: Man kann für Aufsehen sorgen, ohne jemanden zu diskreditieren und zu beleidigen.

Welche Tipps haben Sie für KMU, die meist wenig Marketingbudget haben?

Gute Markenführung ist keine Frage des Budgets. Das Wichtigste ist: Bevor ich eine Werbekampagne, ein Imagevideo oder einen Social-Media-Auftritt umsetze, muss klar sein, was die Unternehmensstrategie ist. Im zweiten Schritt geht es um die Frage: Wie übersetze ich das in sämtliche Kommunikationskanäle? Wichtig dabei ist, bereichsübergreifend zu arbeiten. Die Kommunikations- und Marketing-Abteilung muss auch mit den Vertriebsleuten sprechen, denn die sind tagtäglich mit den Kunden und Kundinnen in Kontakt. Und sie muss wissen, wie die Geschäftsführung das Unternehmen weiterentwickeln will.

Was sind heute No-Gos in der Werbung?

Ein absolutes No-Go ist, Menschengruppen zu diskreditieren, zu diskriminieren und Werbung auf Kosten von Minderheiten zu machen, egal, ob Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, Mütter, Väter etc. Es geht darum, keine Stereotypen zu reproduzieren, weil wir in der Werbung Verantwortung haben: Wir erzeugen damit, wie wir etwas zeigen, neue Realitäten. Ein No-Go ist auch, nackte oder leicht bekleidete Frauen zu zeigen, wenn es nichts mit dem Kern-Business zu tun hat. Man möchte meinen, diese Botschaft sollte schon angekommen sein.

Das war aber lange Zeit üblich.

In den letzten Jahren hat ein großer Bruch stattgefunden. Der Unterschied zur Werbung aus den 1990ern oder 2000ern ist, dass es heute nicht mehr darum geht, Träume zu visualisieren. Die Menschen wollen nicht mehr den weißen Sandstrand, die schöne Frau und die Drinks sehen, sondern emotional abgeholt werden und das Gefühl haben: Das Unternehmen will mir keinen Traum verkaufen, sondern mir mein Leben erleichtern.

Zur Person

Doris Christina Steiner ist seit einem Jahr Geschäftsführerin der Kreativagentur Jung von Matt Donau, die unter anderem Kunden wie Erste Bank und Sparkasse, Burger King, Interspar, ­win2day oder den Wiener Tourismusverband ­betreut. Zuvor war die Digitalexpertin Managing Director Digital bei Ketchum Publico.