Immer schön Wasser ins Getriebe

Nachhaltigkeit
12.09.2021

Ein Kommunikationsexperte, ein Kapitän und ein pensionierter Ingenieur gründeten ein Start-up, um patentierbare Cleantech-Lösungen zu entwickeln. An eines der ersten Produkte hat lange keiner geglaubt: ein Getriebe, das mit Wasser statt mit Öl geschmiert wird.
Siegfried Lais ist überzeugt, dass sich die Schmierung von Getrieben mit Wasser erfolgreich vermarkten lässt.
Siegfried Lais ist überzeugt, dass sich die Schmierung von Getrieben mit Wasser erfolgreich vermarkten lässt.

In ein Buch, das eigentlich für Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen vorgesehen war, zeichnete Siegfried Lais schon als Bub seine Konstruktionsideen. Er erinnert sich etwa daran, damals ein Auto erfunden zu haben, das auch fliegen, schwimmen und tauchen konnte. Das ist rund sieben Jahrzehnte her. Lais hat nie aufgehört, Dinge zu erfinden, die verrückt klingen. Längst begnügt sich der deutsche Ingenieur nicht mehr mit Ideen, sondern arbeitet auch an deren Umsetzung. Konkret tut er das derzeit als technisches Mastermind und Gesellschafter von Reintrieb, einem Early-Stage- Technologie-Unternehmen mit Sitz in Wien, das unter anderem – und hier kommen die verrückten Ideen wieder ins Spiel – ein Hochleistungsgetriebe für Schiffe entwickelt, das nicht mit Öl, sondern mit Wasser geschmiert wird. Schon vor mehr als 28 Jahren hatte Lais diese Idee, doch hielt er sie für nicht verwirklichbar. Damals war er noch Entwicklungschef der deutschen Firma Schottel, einem Anbieter von Antriebs- und Manövriersystemen für Schiffe. Wie Lais glaubt auch der Finanz-Kommunikationsexperte Dominik Cofalka, geschäftsführender Gesellschafter von Reintrieb, an die Idee, die unglaublich klingt. Cofalka bewegt die Hand vor dem Gesicht hin und her, um zu demonstrieren, wie andere Ingenieure reagierten, denen er erzählt hat, „dass wir Wasser ins Getriebe schütten“. Die Leute hätten es schlicht nicht geglaubt, sagt Cofalka, und hält es für eine der zentralen menschlichen Eigenschaften, dass wir Dinge, die nicht in unser Weltbild passen, zur Seite schieben.

KEIN HIRNGESPINST

Seit der Gründung von Reintrieb sind fünf Jahre vergangen. 2018 führten die Gründer erste Tests durch, mit denen sie feststellen wollten, ob die Idee eines wassergeschmierten Getriebes ein „Hirngespinst“ sei. Vor allem kommt es dabei auf das Material an, das mit Wasser als Schmiermittel umgehen können muss. Damals war Erfinder Lais vom Ergebnis etwas enttäuscht: Die ersten Materialien hätten zwar Erfolg gebracht, „aber nicht so durchschlagend, wie ich es erhofft hatte“. Seither haben Lais, Cofalka und dessen Bruder Vincent Cofalka, ein Kapitän und Offizier zur See – und im Übrigen Schwiegersohn von Lais – unterstützt von einem kleinen Team viel weitergebracht.

Der vorerst wichtigste Meilenstein erfolgte im heurigen Frühjahr: Da wurde wie schon 2018 an der Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebebau (FZG) an der TU München eine weitere Testreihe, diesmal mit einem anderen Material, durchgeführt. Lais: „Diesmal haben wir alles übertroffen, was ich erwartet hatte.“ Geschäftsführer Cofalka sagt: „Mit diesem Test haben wir bewiesen, dass es möglich ist, ein Hochleistungsgetriebe mit Wasser zu schmieren.“ Doch er fügt hinzu: „Ob uns die Industrie gut findet, wissen wir noch nicht.“ Siegfried Lais ist zuversichtlich: „Ich bin überzeugt, dass sich das vermarkten lässt.“

Die technische Herausforderung liegt darin, die drei Faktoren Härte, Elastizität und Korrosion in eine Balance zu bringen. Mit Hartmetallen, die härter sind als Stahl, und dem Schmiermittel Wasser ist das gelungen. Bei der Schmiere macht sich Reintrieb eine Art Aquaplaning-Effekt zunutze. Dieser setzt bei zunehmender Geschwindigkeit des Zahnrads ein. Dann entsteht ein Wasserfilm auf den Zahnradflächen, der einen Haftungsverlust bewirkt. Die Zahnräder laufen geschmeidig bei gleichzeitiger Kühlung.

GETRIEBE OHNE FOSSILE ROHSTOFFE

Reintrieb hat derzeit inklusive Lais und den Cofalka-Brüdern fünf Gesellschafter. Auch private Investoren konnten über Wandelanleihen gewonnen werden. Und Reintrieb wurde von der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), Horizon 2020 und dem Austria Wirtschaftsservice (aws) gefördert. Laut Cofalka stecken derzeit – inklusive Fördergeldern – rund 2,5 Millionen Euro im Unternehmen. Neben der FZG in München arbeitet Reintrieb unter anderem auch eng mit dem auf Reibungslehre spezialisierten Kompetenzzentrum AC2T zusammen.

Wenn die Technologie ein Erfolg wird und sich am Markt durchsetzt, hätte das nicht nur den Vorteil, dass in Getrieben auf den fossilen Rohstoff Öl verzichtet werden könnte. Zugleich würden die Meere und Flüsse weniger verschmutzt, denn aus undichten Getrieben von Booten und Schiffen tritt viel Öl aus: Der Wissenschaftlerin Dagmar Schmidt Etkin zufolge, die sich dabei auf die 2003 erschienene Studie „Oil in the Sea III: Inputs, Fates, and Effects“ des amerikanischen National Research Council beruft, sind rund zehn Prozent der weltweiten Ölverschmutzung der Meere auf Schmieröle zurückzuführen. Außerdem hat Wasser Öl etwas voraus, das in naturgemäß heiß laufenden Getrieben nützlich wäre: Es kühlt besser.

ANWENDUNGSFALL IM KOPF

Als Nächstes erfolgt ein Einsatztest am Bodensee, bei dem das Getriebe 500 Stunden laufen muss. Gelingt der Test – und davon gehen die Gründer aus – wird Reintrieb wahrscheinlich mit einem holländischen Unternehmen bis in einem Jahr eine erste Marineanwendung entwickeln. Cofalka: „Die Holländer haben bereits einen Anwendungsfall im Kopf und warten nur noch auf die Testergebnisse.“ Der niederländische Partner wird zudem voraussichtlich schon 2022 das zweite Produkt von Reintrieb, einen Side-by-Side-Propeller, einsetzen. Der Ruderpropeller, der genau genommen aus zwei Propellern besteht, die in einer Düse nebeneinander verbaut sind, ist auch eine Erfindung von Siegfried Lais. Er hat zwei große Vorteile gegenüber üblichen Ruderpropellern: Er benötigt weniger Tiefgang, ohne an Schub zu verlieren, was in Zeiten historischer Wassertiefstände der Flüsse sehr nützlich ist, und er braucht weniger Sprit. Mit weiteren Interessenten ist Reintrieb ebenso in Verhandlungen.

Reintrieb ist auch für neue Risikokapitalgeber und sogenannte Entwicklungspartnerschaften offen – man strebt etwa Dreier-Kooperationen mit Kunden und produzierenden Industriepartnern an. Kunden und Partner müssen allerdings nicht aus der Schifffahrtsbranche kommen: Überall dort, wo etwa die Kontaminierung mit Öl unerwünscht ist, zum Beispiel bei Maschinen im Lebensmittelbereich oder bei Sperr- und Kraftwerken, durch die Trinkwasser fließt, können wassergeschmierte Getriebe die Lösung sein – und nicht nur die umweltfreundliche Alternative zu Öl, sondern auch zu chemischen Additiven. Reintrieb wird seine Produkte, zu denen sich wohl noch weitere gesellen werden, nicht selbst produzieren, sondern Lizenzen vergeben. Die bisherigen Produkte sollen auch in bestehende Schiffe und Boote eingebaut werden, um möglichst rasch einen Impact für das Klima zu erreichen. Auch ein Verkauf des Unternehmens ist – früher oder später – nicht ausgeschlossen.

LEBENSABENTEUER STATT RUHESTAND

Siegfried Lais dürfte damit keine Eile haben. Anstatt in seinen späten Siebzigern auf hoher See herumzuschippern, geht er lieber in sein Ingenieurbüro, um weiterzutüfteln: „Ich habe noch so viele Ideen. Und ich muss sagen, was mir diese Arbeit an Lebensabenteuern bringt, kann ich als Rentner gar nicht erfahren.“ Seine frühe Freude am Erfinden und Konstruieren neuer Ideen – und an deren Schönheit – sei sogar immer größer geworden. Und sogar seine Ehe hat der großen Leidenschaft standgehalten: „Ich habe das Glück, eine Frau gefunden zu haben, die das mitmacht. Dabei hat sie mir gedroht, wenn ich nach der Goldenen Hochzeit nicht aufhöre zu arbeiten, lässt sie sich scheiden. Aber da sind wir jetzt schon vier Jahre drüber.“