Cybervibe

Der Feind im Kinderzimmer

Meinung
24.11.2023

„Mach was aus deinem Leben“ sagen Eltern zu ihren Kindern, die zu viel am PC abhängen. Dabei übersehen sie, dass der Nachwuchs womöglich genau die Begeisterung und das Talent hat, nach denen Unternehmen schon jetzt und in Zukunft noch mehr lechzen.

David Colombo, der Deutsche, der im Alter von zarten 19 Jahren Tesla gehackt hat, und ich haben etwas gemeinsam. Ab ca. 15 standen wir auf Kriegsfuß mit dem Schulsystem. In einem Interview erzählte Colombo dem „Stern“, er habe sich mit spätestens 15 gefragt, „wozu ich da eigentlich sitze und irgendwelche Gedichte über Birnenbäume interpretieren muss“. Colombo hat im Gegensatz zu mir nur einen Hauptschulabschluss, aber – und hier wird es interessant – ebenfalls im Gegensatz zu mir verdient er in seinen jungen Jahren schon viel mehr als ich heute. Er traf die richtige Entscheidung und ging ab dem Alter von 10 Jahren seiner Leidenschaft nach – in seinem Fall hieß das, zu programmieren und zu hacken. Dann gründete er eine Firma, was so viel Zeit in Anspruch nahm, dass „Vollzeit“ die Schulbank zu drücken nicht mehr drin war.

Warum ich das erzähle? Weder, weil ich gern Hackerin wäre noch, weil ich mich in Ihrer IT-Abteilung bewerben will. Ich erzähle das, weil es da draußen vermutlich viele junge Menschen wie David Colombo gibt, die sich überdurchschnittlich für Computer, IT, Software und Algorithmen interessieren und dafür bestenfalls belächelt statt respektiert werden. Quer über alle Branchen jammern Unternehmerinnen und Unternehmer, dass sie nicht genug IT-Fachkräfte finden und lechzen genau nach solchen Talenten. Und trotzdem haftet ihnen das Image nichtsnutziger Nerds an, die im Kinderzimmer weiß Gott was machen.

Der Kriminal- und Geheimdienstanalyst Mark Thorben Hofmann, der die Psychologie von Cyber-Kriminellen erforscht, erzählte im September am Sicherheitsgipfel des Kompetenzzentrum Sicheres Österreich in Wien, dass die meisten Hacker nicht nur nach wie vor zu rund 90 Prozent männlich sind, sondern auch bereits im Alter von 10 bis 15 Jahren mit dem Hacking beginnen. Hofmann, der viele Interviews mit Hackern geführt hat, fragt: „So ein elfjähriger Hacker, was will der eigentlich? Ist das ein Psychopath? Er will dasselbe wie alle anderen 11-jährigen: Anerkennung, Aufmerksamkeit, Lob, Respekt und vielleicht der Langeweile in den Sommerferien entgehen.“

Ein 11-jähriger mit einem Talent in Sport oder Musik habe viele Möglichkeiten: Es gibt Sport- und Musikgruppen, Turniere, Bands und Konzerte, Fußball- und Musiklehrer, dazu auch noch Anerkennung bei den Mädels und Lob von Mama. Hofmann fragt: „Was machen Sie, wenn Sie 11 sind und ein ausgeprägtes Talent für IT-Themen haben?“ Der Informatik-Lehrer sei dem 11-jährigen weit unterlegen und es gebe auch sonst keine Förderung. „Bei den Frauen kommen die Themen auch nicht besonders gut an. Aber Mama ist doch wenigstens stolz, oder? Nein. Was sagt Mama? Du sitzt den ganzen Tag vor dem Scheiß-Ding. Geh mal im Garten spielen! Oder: Mach was aus deinem Leben.“ Und was wäre, fragt Hofmann, wenn sich so ein Elfjähriger für ein Praktikum bei Ihnen bewerben würde?

Kann sein, dass so ein Elfjähriger auf der illegalen Schiene bleibt, weil er unter Hackern viel mehr Anerkennung findet als in Schule, Familie und Freundeskreis. Hofmann: „Cybercrime ist für 11-jährige ein Weg, Respekt zu gewinnen.“ Also vielleicht chauffieren Sie Ihre Teenager, die „viel zu viel Zeit vorm PC hocken“, demnächst zum Hackathon statt zum Fußballmatch. Oder Sie lassen den Sohn oder die Tochter des Freundes, der sich über seine unsportlichen Kinder beklagt, einen Sommer in Ihrer IT-Abteilung verbringen. Und vielleicht machen die es mal wie David Colombo: Sie landen einen aufsehenerregenden Hack, aber entscheiden sich für die helle Seite der Macht und schreiben in ihr LinkedIn-Profil: „Cyber security is indeed super cool, we just have to show it!“