Für Sie gelesen

Jagt einfach alles in die Luft!

Unternehmensberatung
22.06.2023

Die Autoren Geoff Tuff und Steven Goldbach haben als Deloitte-Principals das Beratungsgeschäft im kleinen Finger. Trotzdem machen sie in ihrem aktuellen Buch „Detonate“ geradezu anarchistische Gegenvorschläge.

Was haben uns Berater nicht alles erzählt! Von disruptiven Geschäftsmodellen bis zu „beidhändigen“ Organisationen, in denen die alte Cashcow neben den jungen Stieren grast. Von Kundenzentrierung bis agiles Bottom-up-/Top-down-Design. Von OKR (Objectives and Key Results) bis MVP (Most Valuable Player). Umso subversiver kommt dieses Buch daher. Die Autoren sind zwei arrivierte Deloitte-Berater, die hier lustvoll Altvertrautes in die Luft jagen. Gelegentlich untergraben sie dabei ihr eigenes Geschäft. Ein paar Anregungen: 
Schnappen Sie sich eine/n intelligen­te/n, aber unerfahrene/n junge/n Mitarbei­ter*in/Student*in/Lehrling. Erklären Sie ihr/ihm, wie Ihr Unternehmen sein Geld verdient. Wann immer Ihre Testperson konsterniert fragt: „Warum macht ihr das denn so?“ und Sie antworten „Das war schon immer so“, sollten alle Alarmglocken schrillen. Das sind dann „Orthodoxien“, die Sie nur lähmen. Sofort sprengen! 
Eine dieser Orthodoxien lautet: „Alles, was man messen kann, kann man auch managen.“ Blödsinn, sagen Tuff und Goldbach. In den 1980ern mag das noch gestimmt haben, als Innovation nicht mehr war als die jährliche Marginalverbesserung am ewig gleichen Standardprodukt. Damals konnte man „Risiko“ als Mess- und Quantifizierbares definieren. Heute herrscht „Ungewissheit“, Stichwort Russland und China, da hilft Risikomanagement rein gar nichts. Da können Sie es gleich sprengen. Denken Sie auch nicht mehr in Produkten oder Dienstleistungen, sondern in Verhaltensänderungen. Interessanter Ansatz: Wie bewegen Sie Menschen/Kund*innen/Mitarbeiter*innen, etwas anders zu machen als bisher (etwa bei Ihnen zu kaufen)? Testen und tasten Sie sich schrittweise zum Ziel – da sind sie wieder, die Prototypen und MVPs.

Sprengt die G+V-Rechnung!

Ihren Budgetierungsprozess können Sie auch gleich kübeln. Vermutlich raufen Sie sich jeden Herbst die Haare, wie viel Umsatz auf Basis des aktuellen Jahres Sie im folgenden Jahr machen wollen und wie viel Gewinn. Die Differenz sind Ihre Kosten. Erster Irrtum: Wer sagt Ihnen, dass die Zukunft so aussieht wie die Vergangenheit? Zweiter Irrtum: Nicht Einnahmen dürfen Kosten verursachen, sondern Kosten müssen Einnahmen bewirken. Das ist die Idee hinter Zero-Based-Budgeting. Sie schmeißen Ihr altes Budget weg, starten mit null und begründen jeden Euro, den Sie ausgeben wollen. Wenn im Fokus das gewünschte Verhalten Ihrer Kunden steht, müssen Sie ihnen jedes Jahr aufs Neue einen Grund liefern, bei Ihnen zu kaufen. Der muss nichts mit dem Grund des vergangenen Jahres zu tun haben.

Sprengt die Marktforschung

Ihren Finanzplan schießen Sie auch gleich in den Äther. Der gibt Ihnen zwar die einlullende Illusion von Kontrolle, ignoriert aber die Ursachen für gute oder schlechte Leistung. Also: Weg mit der G+V-Rechnung! Wenn wir schon dabei sind: Warum planen Sie überhaupt in Jahreszyklen? Warum nicht kürzer, um flexibler zu sein? Oder in den Horizonten, die Sie für die gewünschten Verhaltensänderungen ansetzen?
Sprengen können Sie auch gleich Ihre externe Marktforschung. Deren Branchendaten haben nämlich alle Mitbewerber, damit stürzen sich alle auf dieselben Marktchancen. Werten Sie lieber Ihre eigenen (Kunden-)Daten aus. Wenn etwa bei der Customer-Journey alle am selben Punkt abspringen, schrauben Sie dort. Das steht in keinem Branchenradar. 
Zuletzt: Weg mit der Illusion von Beständigkeit. Tief drinnen wünschen wir uns, ein Organigramm, ein Karriereplan würden auf Dauer halten. Gehen Sie lieber davon aus, dass nichts ewig währt. Auch nicht Ihr Unternehmen. 

Die Autorin

Andrea Lehky
Andrea Lehky

Andrea Lehky war als „Presse“-Redakteurin lange Jahre Expertin für Management & Karriere. Heute arbeitet sie als freie Journalistin in Wien.