Alles muss sich verändern, steigern und erhöhen! Wirklich?
Was sind die in Berater-Artikeln seit Jahrzehnten am häufigsten genutzten Begriffe? Die Verben „verändern“ sowie „steigern“ und „erhöhen“ und die mit ihnen korrespondierenden Substantive. Und daran wird sich voraussichtlich nichts ändern – trotz allem Change.

Seit über 30 Jahren arbeite ich nun unter anderem als PR-Berater sowie Ghostwriter für Berater gleich welcher Couleur. Und welches Wort habe ich in den Artikeln, Blog-Beiträgen, Posts usw., die ich in den zurückliegenden Jahrzehnten für sie schrieb, am häufigsten verwendet? Mit Sicherheit das Verb „verändern“! Denn ständig gab es in den Unternehmen und bei ihren Mitarbeitenden etwas zu verändern: Mal den Mindset, mal die Führungs- oder die Unternehmenskultur bzw. Kultur der Zusammenarbeit, mal die Struktur, mal die Strategie usw..
Ein Muss in allen Berater-Artikeln: das Wort „verändern“
So oft habe ich dieses Verb sowie das Substantiv „Veränderung“ bzw. „Change“ in Texten schon verwendet, dass ich mich zuweilen fragte: Kann diese Worte in den Betrieben überhaupt noch jemand hören? Dreht sich ihren Mitarbeitenden nicht schon der Magen um, wenn sie diese nur hören?
Doch es besteht Hoffnung, dass sich dies verändert. Denn in unserer modernen von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Welt haben viele Berater, einen neuen Begriff für sich entdeckt, um die Dringlichkeit einer Veränderung bzw. eines Change zu unterstreichen: „transformieren“ bzw. „Transformation“. Er hat das Potenzial, den Begriff Veränderung von der Spitze der Hitliste der meistgenutzten Worte zu verdrängen, da er aus Beraterwarte
- stärker die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer tiefgreifenden Veränderung unterstreicht und
- deutlicher zum Ausdruck bringt, dass ein Optimieren des Bestehenden in der VUKA-Welt bzw. im KI-Zeitalter allein nicht mehr reicht, um weiterhin die Unternehmensziele zu erreichen. Alles muss vielmehr von Grund auf neu gedacht und verändert werden.
Ebenfalls unverzichtbar: die Verben „steigern“ und „erhöhen“
Neben dem Verb „verändern“ – bzw. den Substantiven „Veränderung“ und „Change“ – gibt es zwei weitere Verben, die ich in den von mir verfassten Texten für Berater in den zurückliegenden Jahrzehnten nahezu stets verwendet habe: nämlich: „steigern“ und „erhöhen“. Diese Begriffe kamen vermutlich in (fast) allen Artikeln, Blog-Beiträgen, Posts usw. vor, die ich in diesem Zeitraum schrieb. Denn stets war es das Ziel der von den Beratern, Trainern, Coaches vorgeschlagenen Initiativen, irgendetwas zu steigern oder zu erhöhen: mal die Mitarbeitermotivation oder -bindung, mal deren Kompetenz und Engagement, mal die Performance und den Output der Teams bzw. Unternehmen, mal deren Innovationskraft und -geschwindigkeit sowie Agilität usw. …
Ist nicht irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht?
So oft habe ich diese Begriffe schon verwendet, dass ich mich zuweilen frage: Ist nicht irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht? Kann man sich nicht irgendwann mal eine Pause gönnen und mit dem Erreichten zufrieden sein? Zum Beispiel, wenn
- die Umsatzrendite schon 15 Prozent und mehr beträgt oder
- die (Produktions-/Marktbearbeitungs-)Prozesse schon nahezu alle automatisiert sind oder
- die Führungskräfte (und Mitarbeitenden) statt „ge-fordert“ schon „über-fordert“ sind und zunehmend über ihre Belastung klagen oder
- der Klimawandel signalisiert „Jungs und Mädels, ihr übertreibt es irgendwie“.
Alles verändert sich, nur die übergeordneten Ziele nicht
Dies sind Gedanken, die mir zuweilen durch den Kopf gehen, wenn ich zum Beispiel mal wieder im Beraterauftrag einen Artikel zum Thema „Corporate Governance“, „Nachhaltigkeit“ oder „Positive …“ bzw. „Mindful Leadership“ schreibe (und anschließend versuche, diesen in Print- und Online-Medien zu platzieren), dessen Ziel es vorgeblich ist,
- die Ökonomie mit der Ökologie zu versöhnen,
- das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu erhöhen,
- das Miteinander in den Betrieben zu verbessern,
jedoch selbstverständlich unter Beibehaltung der übergeordneten Ziele,
- das Mitarbeiterengagement zu erhöhen,
- die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu steigern und
- ihnen wieder Quantensprünge beim Steigern des Outputs und die Performance zu ermöglichen.
Doch solche Gedanken schiebe ich selbstverständlich sofort wieder beiseite, denn mein Job ist es ja nicht, Dinge grundsätzlich zu hinterfragen, sondern meine Kunden – also die Berater – als attraktive Partner bei den Entscheidern in den Unternehmen zu profilieren. Und dies gelingt mir (anscheinend) teilweise auch. Ansonsten wären mir nicht so viele Kunden seit Jahrzehnten treu.
Die Mitarbeiter der Unternehmen sind nicht dumm
Inwieweit mir dies jedoch bei den Mitarbeitenden der Unternehmen gelingt, die nicht wie ich gemütlich mit einer Tasse am Kaffee am Schreibtisch sitzen, während ich diese Zeilen in meinen PC hacke, sondern in ihrer alltäglichen Tretmühle stecken, das weiß ich nicht.
Daran habe ich zumindest zuweilen leichte Zweifel, denn: Das Gros der Mitarbeitenden der Unternehmen ist nicht dumm. Sie nehmen durchaus wahr, dass
- insbesondere bei den Kapitalunternehmen die Gewinnerwartungen – auch getrieben durch die Finanzmärkte – immer höher werden,
- diese immer größere Teil ihrer Belegschaften in Tochtergesellschaften outsourcen (während sie zugleich an das Wir-Gefühl appellieren) und
- das von ihnen verbal so wertgeschätzte Personal primär noch als Fixkosten-Block gesehen wird (weshalb auch nach jedem angekündigten Personalabbau die Aktienkurse steigen).
Spiegeln die Artikel-Botschaften noch die Realität wider?
Deshalb frage ich mich immer häufiger: Erreichen die Botschaften, die ich in meinen Artikeln im Beraterauftrag vermittle, eigentlich noch top-down die Adressaten in den Unternehmen oder denken diese beim Lesen nicht sogleich: Das ist alles nur „blanke Theorie“ bzw. „reine Ideologie“ in einer Welt, in der sich die Gewinnerwartungen der Unternehmens(anteils-) eigner – also auch Aktien- und ETF-Besitzer – zunehmend an den Kursgewinnen solcher Aktien wie denen von Unternehmen wie Tesla, Nvidia, Rheinmetall usw. in den letzten Jahren orientieren – also gefühlt ins Unermessliche steigen.