Gastbeitrag

Den „Wind of change“ für Transformationsprojekte nutzen

Georg Kraus
11.06.2025

In unserer Gesellschaft besteht aktuell weggehend ein Konsens: Damit unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt, muss sich vieles ändern. Das erleichtert es Unternehmen, Change- und Transformationsprojekte durchzuführen – auch solche, die mit einem Personalabbau verbunden sind.

Aktuell liest und hört man in den Medien nahezu täglich Meldungen, dass Unternehmen die Entlassung von Hunderten oder gar Tausenden von Mitarbeitenden planen. Doch hierüber echauffiert sich niemand. Und von einem Versagen des Managements, das zum nötigen Umbau und Personalabbau führte, ist – wenn überhaupt – meist nur am Rande die Rede; vielmehr sind die Meldungen oft sogar mit der Info garniert: Die Unternehmensleitung sucht mit den Gewerkschaftsvertretern nach einer sozialverträglichen Problemlösung.


Am Change- und Transformationsbedarf besteht kein Zweifel

Der Grund hierfür: In unserer Gesellschaft herrscht zurzeit parteien- und die verschiedenen Gesellschaftsgruppen übergreifend ein Konsens, dass sich in unserer Gesellschaft und in den Betrieben sehr vieles verändern muss, damit unsere Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig wird oder dies bleibt. Das erleichtert es Unternehmen aktuell, auch solche Change- und Transformationsprojekte in ihrer Organisation anzukündigen und zu realisieren, die mit einem Personalabbau verknüpft sind oder massive Auswirkungen auf die Arbeitsbeziehungen und -inhalte sowie die Arbeitssituation ihrer Mitarbeitenden haben.

Dessen ungeachtet müssen jedoch auch diese Projekte professionell gemanagt werden, damit in den Unternehmen nicht folgende Situation entsteht, die man in Unternehmen im Umbruch oft registriert: In den oberen Führungsetagen herrscht, nachdem die erforderlichen strategischen Grundentscheidungen getroffen wurden, eine Aufbruchsstimmung.

„Wir schaffen das, wenn …“

Zudem verbreiten sie – zumindest nach außen – eine große Zuversicht. Auf den unteren Ebenen hingegen liegen die Nerven blank. Hier dominiert die Zukunftsangst und es brodelt die Gerüchteküche darüber, was „die da oben“ vorhaben. Entsprechend negativ ist die Stimmung und Atmosphäre im Betrieb.


Die Kernaufgaben eines Change-Managements

Die Kernaufgaben des Managements beim Initiieren und Realisieren von Change- und Transformationsvorhaben hat der Havard-Professor John P. Kotter wie folgt beschrieben:

    • „Create a sense of urgency“: Die Unternehmensführung muss allen Betroffenen und Beteiligten die Notwendigkeit der Veränderung aufzeigen und bewusst machen.
    • „Create a coalition“: Sie muss sich Verbündete suchen, die sie aktiv unterstützen.
    • „Develop a clear vision“: Sie muss eine Vision haben, wohin die Reise geht, und eine Strategie, wie die definierten Ziele erreicht werden.
    • „Share the vision“: Die Veränderungsvision muss den Betroffenen und Beteiligten professionell kommuniziert werden.
    • „Empower people to clear obstacles“: Die Mitarbeitenden müssen mit den nötigen Befugnissen und Kompetenzen ausgestattet werden, um im Prozess auftretende Hindernisse und Widerstände zu beseitigen.
    • „Secure short-term wins“: Kurzfristige Erfolge müssen gezielt geplant und kommuniziert werden, damit bei allen Beteiligten das Vertrauen wächst „Wir können das große Ziel erreichen“.
    • „Consolidate and keep moving“: Das Management muss das Erreichte sichern, den Change-Prozess gezielt vorantreiben und die Change-Energie hochhalten.
    • „Anchor the change“: Die erreichten Veränderungen müssen in der Organisation verankert und in die Unternehmenskultur integriert werden.

Einige Tipps für die Change- und Transformationspraxis

Diese allgemeine Vorgehensbeschreibung von Kotter bleibt recht vage, da sie von der Situation in den einzelnen Unternehmen und in den verschiedenen Branchen abstrahiert. Deshalb hier noch einige Tipps, worauf Unternehmens beim Realisieren eines Changeprojekts achten sollten, sofern ihnen folgende Faktoren wichtig sind:

  • Das Projekt soll von den Mitarbeitenden mitgetragen werden.
  • Ihr Engagement soll im Projektverlauf hoch bleiben.
  • Die verbleibenden Mitarbeitenden sollen trotz des Personalabbaus für sich eine Perspektive im Unternehmen sehen.
  • Die zu kündigenden Mitarbeitenden sollen beim Entwickeln einer neuen beruflichen Perspektive unterstützt werden – auch um zu vermeiden, dass die Identifikation der sogenannten „Survivor“, also verbleibenden Mitarbeitenden, mit der Arbeitgeber*in sinkt und das Image des Unternehmens (als Arbeitgeber*in) Schaden erleidet.

 Ein detailliertes „Drehbuch“ verfassen

Das Erreichen dieser Ziele erfordert ein detailliertes Drehbuch für den Changeprozess. Dieses sollte auch ein Kommunikationskonzept enthalten, in dem definiert ist, wann wer welche Informationen durch wen über den geplanten Veränderungsprozess erhält. Um ein Brodeln der Gerüchteküche und unnötige Unruhe in der Organisation zu vermeiden, sollte zudem so früh wie möglich publik gemacht werden, welchen Mitarbeitern gekündigt wird. Dies ist nötig, um den verbleibenden Mitarbeitenden die Gewissheit zu vermitteln „Euer Job ist sicher“ und den Mitarbeitenden, von denen eine Trennung erfolgen soll, die Möglichkeit zu bieten, sich frühzeitig nach einer neuen beruflichen Perspektive umzuschauen.

Aus Changeprojekten resultieren stets auch besondere Anforderungen an die Führungskräfte. Deshalb sollten für sie Unterstützungsmaßnahmen organisiert werden – zum Beispiel Schulungen zu Themen wie „Führen in Zeiten von Personalabbau“ und „Führen von Trennungsgesprächen“. Zudem empfiehlt es sich, da mit jedem Changeprozess außer einer höheren Arbeitsbelastung auch eine höhere psychische Belastung der Führungskräfte einher geht, diesen einen Coach zur Seite zu stellen, den sie im Bedarfsfall kontaktieren können. Dies ist auch nötig, weil sich größere Changeprozesse nur bedingt zentral steuern lassen. Deshalb benötigen die lokalen Einheiten eine fachliche und mentale Unterstützung.

Frühwarnsysteme installieren

Sinnvoll ist es auch, in der Organisation ein „Frühwarnsystem“ zu implementieren, das im Projektverlauf anzeigt, ob das Unternehmen sich noch auf dem richtigen Weg befindet, die Projektziele zu erreichen oder ein Interventionsbedarf besteht. Zudem sollte eine Art Seismograph existieren, der anzeigt, inwieweit die Mitarbeitenden noch hinter dem Projekt stehen, denn: In Veränderungsprozessen sinkt im Projektverlauf zuweilen die Motivation von Mitarbeitenden, obwohl sie dem Prozess eigentlich positiv gegenüberstehen. So zum Beispiel, wenn sie allmählich merken, was die geplante Veränderung für sie bedeutet. Oder wenn unvorhergesehene Probleme auftauchen.

Deshalb sollte es ein Frühwarnsystem dafür geben, ob bei bestimmten Mitarbeitergruppen die Gefahr besteht, dass sie aus dem Prozess aussteigen. Dies kann zum Beispiel eine regelmäßig stattfindende (partielle) Mitarbeiter*innenbefragung – differenziert nach Hierarchieebenen – sein, die die Dimensionen „Information“, „Kommunikation“, „Engagement“ und „Unterstützung“ umfasst.

Die gekündigten Mitarbeitenden fair behandeln

Der Gefahr, dass gekündigte Mitarbeitende den Prozess stören, kann mit einem „Exit-Programm“ entgegengewirkt werden, das regelt, wie der Kündigungs- und Trennungsprozess gestaltet wird und welche Unterstützung die Gekündigten beim Verarbeiten der Kündigung sowie Entwickeln einer neuen Perspektive erhalten. Dies ist nötig, damit die gekündigten Mitarbeitenden nach einem anfänglichen Frust registrieren: Das Unternehmen fühlt sich uns – trotz Kündigung – weiterhin verpflichtet, so dass der Krankenstand nicht „explodiert“ und die Zahl der Arbeitsgerichtsprozesse überschaubar bleibt.

Die Existenz eines solchen Programms ist aber auch für das Befinden der „Survivor“, also der Mitarbeitenden, mit denen das Unternehmen seine Zukunft gestalten möchte, wichtig, denn: Inwieweit sie ihrem Arbeitgeber*in noch vertrauen, hängt auch davon ab, als wie fair sie dessen Umgang mit ihren Ex- oder Noch-Kolleg*innen empfinden.

Beachten Unternehmen die genannten Punkte, dann können sie auch Change- und Transformationsprojekte, die mit einem Personalabbau verbunden sind und/oder  für die (verbleibenden) Mitarbeitenden tiefe Einschnitte bedeuten, weitgehend störungsfrei realisieren.


Change- und Transformationsprojekte jetzt starten

Dies gilt insbesondere in der aktuellen Situation, in der gesellschaftlich weitgehend ein Konsens besteht: Die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen beziehungsweise unternehmerischen Handeln haben sich (weltweit) fundamental gewandelt und werden sich auch weiterhin massiv verändern. Als Stichwort seien hier nur die Begriffe KI und neue Weltordnung genannt. Und: In sehr vielen Unternehmen – nahezu branchenübergreifend – existiert ein hoher Changebedarf, wenn sie auch künftig erfolgreich sein möchten.

Denn in ihr können Unternehmen ihren Mitarbeitenden und sonstigen Stakeholder*innen recht einfach vermitteln „Wir müssen aktiv werden, damit wir …“ – und zwar ohne, dass sogleich (firmenintern und -extern) das Management am Pranger steht. Entsprechend problem- bzw. widerstandslos lassen sich zurzeit Change- und Transformationsprojekte initiieren und realisieren – unter folgenden Voraussetzungen: Das Unternehmen plant das Projekt professionell, es spielt (soweit möglich) mit offenen Karten und integriert die Mitarbeiter (soweit möglich) in den Prozess.


Zum Autor:

Zum Autor:

Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Kraus und Partner, in Bruchsal. Er ist Autor mehrerer Change und Projektmanagement-Bücher. Er hat eine Professur an der Technischen Universität Clausthal und ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe und der IAE in Aix-en-provence.

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