Ohne Ressourcen geht’s nicht

Henkel
11.04.2019

 
Jens Bode ist Innovationsmanager bei Henkel. Wie man im Unternehmen blöde Regeln loswird, was ­Megatrends mit Lawinen gemeinsam haben, und wieso die Suche nach Inspiration zunächst vor allem jede Menge neuer Probleme liefert, erklärt der „Aktivist für Neues“ im Interview. Interview: Stephan Strzyzowski   

Digitaler Wandel, steigende Konkurrenz und wirtschaftlicher Druck bringen aktuell viele Unternehmen unter Zugzwang. Innovationen sollen möglichst rasch Abhilfe schaffen. Kann es mit der zündenden Idee klappen, wenn der Hut bereits brennt?
Druck kann durchaus ein Antreiber sein, denn er macht Unternehmen sehr aufmerksam und achtsam. Besser ist es natürlich, wenn man sich zeitgerecht auf mögliche Zukünfte vorbereiten kann. Genau darin liegt auch meine Aufgabe. Ich unterstütze und inspiriere die Organisation mit Dingen, die extern passieren und rege dazu an, uns selbst immer wieder herauszufordern und infrage zu stellen. Wichtig ist, dabei nicht in Aktionismus und Hektik zu verfallen. Schließlich wächst Gras auch nicht schneller, nur weil man daran zieht.

Wie bringt man die nötige Ruhe rein, wenn der Eindruck entsteht, dass einem bereits die Felle davonschwimmen?
Ein Unternehmen darf auf keinen Fall in Schockstarre verfallen. Dafür braucht es Kommunikation über alle Kanäle. Die Führung muss erklären, warum welche Schritte wichtig sind, und sie muss ein klares Ziel, eine klare Vision kommunizieren. Dadurch lassen sich die eigenen und individuellen kreativen Talente mobilisieren. Sie sind es, die ihre Ideen einbringen müssen. Zeitgleich sollte man eine gründliche Anamnese vornehmen. Wie verändern sich die Bedürfnisse der Kunden? Wo liegen Barrieren? Wo hakt es in Prozessen? Wie sieht die Ausgangslage in verschiedenen Märkten und Zielgruppen aus? Wo gibt es Risiken und auch Chancen? Diese Fragen müssen geklärt werden.

Empfiehlt es sich, schon zu Beginn Externe zu integrieren?
Ja, auch. Es braucht Fresh Brains, die frischen Wind bringen. Es geht nicht um Unruhe, es geht um neue Perspektiven. Fresh Brains können Kunden, Partner, Lieferanten oder Experten sein. Externes Wissen gehört immer dazu. Ich empfehle auch, mutig neue Tools auszuprobieren. Es schadet auch nicht, die eigenen Regeln zu brechen oder neu zu definieren. Es gilt, sich selbst möglichst konstruktiv infrage zu stellen.  
Abgesehen vom Gehirnschmalz: Was braucht es, damit Innovation klappt? Erst einmal die Überzeugung und Einstellung, dass man innovativ sein möchte. Diese Denke muss in einer Vision verankert und gelebt werden. Sie sollte wie ein Magnet, wie ein emotionales Bild wirken. Darüber hinaus benötigt Innovation Ressourcen: Menschen, Freiräume und Vertrauen, Budget und Zeit. Ohne Ressourcen geht’s nicht. Ohne Ressourcen haben wir nur Alibis. Die Mittel müssen allerdings nicht unbedingt riesig sein. Viel wichtiger ist, dass man schnell ins Machen und zu Prototypen kommt.

Oft ist vor allem Zeit Mangelware. Haben Sie einen Tipp, wie man Freiräume schafft?
Da gibt es eine schöne Übung unter dem Titel „Kill the stupid rule“. Man zieht sich mindestens einen Tag mit dem Team zurück und hinterfragt alle internen Abläufe. Warum macht man etwa ein bestimmtes Meeting, einen bestimmten Report, bestimmte Gates? Machen wir es, weil wir es immer schon so gemacht haben, und brauchen wir es so wirklich noch? Geht das einfacher? Und wie? Werden die Erkenntnisse konsequent umgesetzt, ist diese Übung ein sehr gutes Investment. Aus meiner Erfahrung heraus gewinnt man sofort Zeit, die man für kreative Arbeit nutzen kann.

Vielfach werden Innovationen nicht mehr vom eigenen Produkt, sondern aus der Warte der Kundenbedürfnisse gedacht. Wie schwierig ist es für etablierte Unternehmen, ihre Denke in diese Richtung zu ändern?
Natürlich hat jedes Unternehmen seine Historie. Unsere bestand bei unseren Waschmitteln darin, diese in Kartons oder Flaschen zu verkaufen. Um den Blickwinkel zu ändern und ein anderes Denken zu provozieren, haben wir eine interne Übung gemacht und uns Szenarien überlegt, wie man in zehn Jahren leben wird. Wir wollten wissen, was sich die Menschen wünschen werden. Dabei haben wir teils sehr schmerzhafte Hypothesen generiert. Und diese dann sehr kontrovers diskutiert.

Was kam dabei heraus?
Dass wir grundsätzlich umdenken müssen. Wir müssen vom Hersteller zum Lösungsanbieter werden. Der Kunde bezahlt in Zukunft vermutlich nicht mehr fünf Euro für so und so viele Waschleistungen, sondern für den Endnutzen saubere Wäsche. Es geht also zum Beispiel in Richtung Service. Wir gehen in diese Richtung und bieten bereits einen Wäscheservice für Privatkunden und Unternehmen an. Wir sehen uns das Thema Waschen und Reinigen sehr holistisch an. Es geht darum, neue Lösungen zu finden, neue wirtschaftliche Ökosystem zu erschließen.
Wie wirkt sich das auf Ihr aktuelles Kerngeschäft aus? Natürlich stellen wir nach wie vor unsere bewährten Produkte und Marken her, gleichzeitig suchen wir aber schon nach neuen Lösungen und Systemen.

Wo können Sie sich außerhalb von Workshops Inspiration holen?
Natürlich von unseren Kunden durch unsere Marktforschungsabteilung. Durch Zuhören und Beobachten. Wir sind viel vor Ort bei Konsumenten auf allen Kontinenten und lernen, wie sich Abläufe in Haushalten gestalten und welche Probleme möglicherweise damit verbunden sind. Wenn ich Kunden in Ägypten besuche, ist das aufwendig. Aber die Bilder, die Gerüche, die Eindrücke werde ich nie wieder vergessen. Es geht darum, sich dort selbst zurückzunehmen, zu beobachten und zu hinterfragen. Wir müssen die Gründe und Motivationen für bestimmte Handlungsweisen heraushören. Was ist das Bedürfnis dahinter, und was können wir als Unterstützung anbieten? So bekommen wir zunächst nur viele Probleme anstatt Lösungen präsentiert. Den intellektuellen, kreativen Transfer müssen wir schon intern selbst machen.

Viele der Herausforderungen, die es zu lösen gilt, spiegeln sich in Megatrends wie der Urbanisierung oder dem Digitalen Wandel. Welche Rolle spielen die großen aktuellen Weichenstellungen?
Sie sind sehr wichtig. Meine Aufgabe liegt darin, mich um kurzfristige Themen und Trends zu kümmern, aber auch langfristige im Auge zu behalten. Wir haben viele Runden mit unterschiedlichen Szenarien gedreht. Eines ist Urbanisierung. Wie leben wir in 15 Jahren? Welche Herausforderungen stellen sich für die Bewohner von Städten, und welche Lösungen können wir ihnen bieten? Provokante Wie-Fragen zu stellen, schärft den Mindset und leitet Change-Prozesse ein. Megatrends sind schleichende Lawinen. Erst bewegen sie sich langsam, dann beschleunigen sie, und wenn sie einen treffen, ist es zu spät. Wer sich nicht vorbereitet, kommt gewaltig unter Druck. Deswegen muss man langfristige Entwicklungen permanent beobachten und reagieren, was im normalen Tagesgeschäft schon eine Herausforderung ist.

Was können heimische Unternehmen von anderen Ländern und Märkten lernen?
Neugierde ist eine Einstellung. Viel zu entdecken gibt es natürlich immer. Persönlich beobachte ich gerne neue Trends in Asien, den USA und UK. Wenn ich mir schnell drehende Micro-Trends anschauen will, starte ich oft im Food-Bereich. Verpackung, Inhalte, Lösungen: Was passiert dort? Oft setzen sich zum Beispiel Trends von Food in der Kosmetik und im Reinigungsbereich fort. Coconut Water etwa war zunächst ein Getränk, wurde dann als Inhaltsstoff in Cremen übernommen und ist jetzt in Geschirrspülmitteln enthalten.

Wie viel hat Innovation mit Kaffeesudlesen zu tun und wie viel mit Psychologie und Technik?
Eine verlässliche Glaskugel hat leider niemand. Deswegen ist es auch so wichtig, die Mitarbeiter zu Kreativität, Mut und Dreistigkeit im Sinne der mutigen Kombination anzustiften. Provokant gesagt ist Innovation einfach. Man muss Herausforderungen erkennen, Lösungen mitnehmen und neu kombinieren. Man darf sich ruhig frech von Dingen in parallelen Märkten inspirieren lassen und Bausteine adaptieren. Denn man muss nicht alles selbst und neu erfinden.

Frech gefragt: Henkel leistet sich einen Freigeist wie Sie, produziert aber nach wie vor konventionelle Reinigungsmittel. Wo sieht man die Inspiration bei den Produkten? An welchen Schrauben drehen Sie?
Ich führe keine Excelltabelle über umgesetzte Impulse. Ich nerve die Kollegen nicht mit fertigen Ideen, sonst nimmt sie keiner an. Ich will einen Mindset für Offenheit schaffen, neue Tools anbieten, wo wir Ideen entwickeln können. Eine Idee ist eine Idee und noch keine Innovation. Wenn Entscheider entscheiden, aus Inspirationen und ersten Gedanken konkrete Konzepte in den Teams entwickeln zu lassen, ist das Ziel erreicht. 

Haben Sie trotzdem ein konkretes Beispiel?
Urbanisierung als Megatrend habe ich erwähnt und in diesem Kontext passen die Themen Internet of Things und Smart Home. In diesem Bereich hat ein Team ein Produkt für den Geschirrspüler entwickelt. Es sieht praktisch aus wie ein Teller, hat Kammern, die unter anderem mit Reiniger, Klarspüler und Deo-Perls gefüllt sind, und je nach Programm wird automatisch dosiert. Das reicht für bis zu 36 Anwendungen und wird per App gesteuert. Damit sind wir in der Prototypenphase. 

Besonders oft werden große Disruptionen wie Uber und Airbnb vor den Vorhang geholt. Vergessen Unternehmen da­rüber, wie wirksam kleine, inkrementelle Innovationen sein können?
Ich glaube, dass beide Bereiche gleich wichtig sind. Darum haben wir ein Team, das sich mit Game Changern befasst, und welche, die sich um die Weiterentwicklung bestehender Produkte kümmert.

Wie sollte sich so ein Team zusammensetzen?
Neben der Expertise ist aus meiner Sicht die Diversität der Mindsets ganz wesentlich. Ich brauche den Pragmatiker, auch den Controller-Typ, genauso wie den eher kreativen Spinner. Wenn man diese Typen an einen Tisch holt und über Trends diskutiert, ist es extrem fruchtbar.

Haben Sie einen Tipp für den ersten wesentlichen Schritt?
Ich suche immer gerne intern nach kreativen Talenten. Welche Stärken haben sie? Und welche vermisse ich? Wie ergänze ich sie? Wichtig ist auch, dass sich von Anfang an jeder einbringen kann. Dafür braucht es eine Plattform. Man sieht etwas, lädt es online hoch und teilt es im Team. Stichwort Transparenz und Wissen teilen. Und natürlich muss man zeitgerecht kreative Talente dazu holen, die dann das Wissen auch in Lösungen umsetzen.

Wie holt man die Mitarbeiter bei diesem Prozess ins Boot?
Wenn man etwas Neues einführt, hat man mit Menschen und Emotionen zu tun. Es gibt immer ein paar wenige, die es gleich super finden und auch einige, die sozusagen die Arme vor dem Körper verschränken und das Alte bewahren wollen. Die Mehrzahl der Mitarbeiter ist jedoch unentschlossen. Wer die Oberhand gewinnt, hängt von einer gelungenen Kommunikation und dem „Warum“ ab. Oft ist das eine reine Stimmungsfrage. Die größten Ablehner können zu den größten Fans werden. Man muss sie auf der Innovationsreise nur mitnehmen, einbinden und ihre Talente nutzen.

Zur Person

Jens Bode ist seit 1984 bei Henkel und arbeitet heute als „Manager International Foresight and Innovation“ im Unternehmensbereich Laundry & Home Care. Seine Arbeitsinhalte und den Jobtitel hat er selbst entwickelt und den Vorstand davon überzeugt. Seine Aufgabe ist es, Inspirationen und Ideen zu sammeln und diese als Inspiration für Innovationen für das Unternehmen zu übersetzen und aufzubereiten.