Schlechte Führung macht alles kaputt

28.02.2018

Am Kongress der Weltmarktführer hat Oliver Wichtl, Geschäftsführer der Pure Management Group, aufgezeigt, wie wichtig die Organisationsstruktur für das Funktionieren von Unternehmen ist. Wie man die Mitarbeiter ins Boot holt, warum Führungskräfte umdenken müssen und wie die Digitalisierung zum Game-Changer wird.

INTERVIEW STEPHAN STRZYZOWSKI

Sie sagen: Strukturen beeinflussen das Verhalten maßgeblich. Wie ist das zu verstehen?
Strukturen helfen dabei, Ziele und Vorgaben zu erreichen. Sie geben den Mitarbeitenden Orientierung und machen ihnen klar, was gefordert ist, und wie die oder der Einzelne dazu beitragen kann. Entsprechend wichtig ist, dass eine passende Struktur erarbeitet ist und dass alle wissen, wie sie funktioniert und wo ihr Platz darin ist.

Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?
Ja, stellen wir uns ganz simpel vor, dass der Vertrieb in einem Unternehmen neu strukturiert werden soll. Man könnte die Verkäufer jetzt für einzelne Produkte verantwortlich machen. Oder man setzt eine Struktur auf, die sich an der Verantwortung für Kunden orientiert. Wenn man das tut, werden die Vertriebsprofis mit Sicherheit unterschiedliche und damit auch mehrere Produkte verkaufen und die Kundenzufriedenheit in den Vordergrund stellen, anstatt nur einzelne Produkte zu forcieren.

Welche Voraussetzungen muss man schaffen, um zur geeigneten Struktur zu gelangen?
Die zentrale Frage ist meistens, wie man im Unternehmen mit Informationen und Wissen umgeht. Denn davon hängt ab, wie man Entscheidungen trifft. In diesen Punkten liegt ein enormes Potenzial, um Effizienz und Klarheit zu schaffen. Hat die Geschäftsführung valide Zahlen, auf denen sie aufbaut? Und dient der Informationshaushalt auch zur Selbststeuerung? Was muss bis zum Chef gelangen und was nicht? Ganz basal geht es also darum festzulegen, wo wer was auf Basis welcher Informationen im Unternehmen entscheidet.

Wo und wie man Entscheidungen trifft, lässt sich festlegen. Aber welche Rolle spielen die Menschen darin?
Kann eine gute Organisation auch funktionieren, wenn die Führungspersönlichkeiten schwach sind? Schwache Führung entsteht oft, wenn jeder überall mitredet. Eine solide und klare Struktur kann dagegen die Selbstführung fördern. Ich würde also sagen, dass eine gute Organisation gewisse Schwächen ausgleichen kann. Aber um ehrlich zu sein: Wirklich schlechte Führungskräfte machen leider alles kaputt.

Immer mehr Unternehmen setzen auf flachere Hierarchien und eben genau darauf, dass sich Mitarbeitende stärker selbst organisieren. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Wer heute im Wettbewerb mit seinem Unternehmen bestehen will, muss laufend anpassungsfähiger, schneller und flexibler werden. Um das zu erreichen, ist Selbststeuerung und Selbstführung unumgänglich. Innerhalb strenger Hierarchien ist das einfach nicht machbar.

Aber Hand aufs Herz: In vielen Betrieben wurde einfach Personal eingespart. Weniger Mitarbeitende – auch Manager – müssen mehr ableisten. Logisch, dass sich dann irgendwann jeder selbst steuern soll.
Wenn man die Produktivität steigern muss und weniger Ressourcen zur Verfügung hat, bleibt den Unternehmen kaum eine andere Wahl. Alle haben eingespart in den letzten Jahren. Das hat aber auch dazu geführt, manchen organisatorischen Wildwuchs anzugehen und zu hinterfragen, wie die Entscheidungsfindung eigentlich funktioniert. In manchen Unternehmen mit Matrixorganisationen wurden früher sogar Koordinationsstellen der Koordinationsstellen eingesetzt. Das hat keinen einzigen Euro eingebracht und nur Klarheit gekostet, wer was machen darf. Mittlerweile ist klar, dass es ohne Selbststeuerung nicht geht, aber auch, dass dazu Selbstverantwortung gehört.

Will und kann sich die Mehrheit der Mitarbeitenden überhaupt selbst führen?
Ich glaube schon. Und die Praxis zeigt, dass es meistens auch funktioniert. Wer will schon, dass einem alles vorgeschrieben wird? Hier ist viel in Bewegung geraten. An die Stelle einer klassischen Hierarchieebene tritt heute ein sogenannter Entscheidungspunkt. Das kann jetzt auch eine Kollegin/ ein Kollege sein, die/der nicht über einem steht. Es geht mittlerweile mehr um die Rahmenbedingungen und darum, dass die Leistungserbringung stattfinden kann, als um Positionen und Titel. Eine moderne Führungskraft ist kein Patriarch mehr. Alles wird transparenter. Die Struktur dient also vorrangig als Bild zu den optimalen Abläufen, das Orientierung bietet.

Die beste Organisationsstruktur bringt vermutlich nichts, wenn sich niemand daran hält. Wie erhält man sie am Leben, und wer sollte das tun?
Grundlegende Kompetenzen und Erwartungen an Mitarbeitende kann man unter anderem recht einfach über Stellenbeschreibungen festlegen. Wichtig ist dabei zu definieren, welche Schlüsselaufgaben die oder der Einzelne individuell leisten muss. Was wird erwartet, wie wird ihr Erfolg gemessen? Auf der nächsten Ebene klärt man, was für Meeting- und Reportingstrukturen man haben möchte. Oder welche Rolle Projekte spielen. Wie passen Aufgaben und Kompetenzen zusammen? Am Ende ist die Organisationsstruktur wie ein System, das von den Führungskräften eine Programmierung bekommt.

Zur Selbststeuerung gehört Selbstverantwortung.

Wo beobachten Sie in der Praxis Schwachstellen?
Beim Thema Transparenz. Hier setzen allerdings gerade viele Unternehmen Maßnahmen. Gehälter, Leistungen, wer was warum tut: Hier schafft Nachvollziehbarkeit große Vorteile. Das wurde viel zu lange vernachlässigt und durch undurchsichtige Konstruktionen verhindert. Ein zweiter Brennpunkt ist in Österreich die Frage nach der Internationalität. Will man ein österreichisches Unternehmen sein, das international tätig ist, oder ein internationales Unternehmen, das aus Österreich kommt? Die jeweilige Sichtweise wirkt sich natürlich stark auf die Besetzungen aus – vor allem im Management. Und die spielt eine ganz wesentliche Rolle, wenn man einen Großteil seines Geschäfts außerhalb der Landesgrenzen macht.

Welche Herausforderungen ergeben sich in der Unternehmensstruktur aufgrund der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt?
Die Strukturen müssen sich den geänderten Rahmenbedingungen anpassen – und zwar rasch. Die Herausforderung ist dabei, dass man nicht immer wirklich weiß, was nötig ist, weil die Digitalisierung ein Prozess ist, der gerade erst begonnen hat. Wenn man Strukturen an das, was wir heute sehen, anpasst, werden sie nicht lange halten. Man muss also die Anpassungsfähigkeit per se erhöhen. Die Agilität selbst muss sich steigern, im Wissen, dass nichts lange bleibt.

Mitarbeitende sind meistens dankbar, wenn sie nicht ständig mit Veränderungen ihrer Arbeitsweise konfrontiert werden. Wie holt man sie ins Boot?
Ich glaube nicht, dass sich Menschen generell gegen Veränderungen verwehren, sie wollen nur nicht verändert werden. Wenn man sie von Anfang an in den Prozess involviert, wird das auch durch gesteigerte Loyalität und Engagement gedankt. Die Aussicht auf mehr Selbstverantwortung motiviert zudem viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Mehr Selbstverantwortung braucht auch mehr Vertrauen von der Führung. Ist hier ein Umdenken in den Chefetagen erforderlich?
Das Management muss lernen, auf das System und die Kolleginnen und Kollegen zu vertrauen. Das fällt manchen schwer. Wenn jemand in einem patriarchalischen System sozialisiert wurde, ist es nicht so leicht umzudenken. Doch es muss sein. Mit Strukturen nicht zu brechen, nur weil sie schon immer so waren, ist sehr gefährlich, weil man immer mehr Krücken und Umwege baut. Das kostet nicht nur Ressourcen und Zeit, sondern führt dazu, dass man notwendige Anpassungen hinausschiebt.