„Die Verwaltung muss unternehmerfreundlicher werden“

17.07.2014

Walter Ruck ist der neue Präsident der Wiener Wirtschaftskammer. Der WIRTSCHAFT gab er sein erstes Interview.

Interview: Stephan Strzyzowski und Daniel Nutz

Welche Themen brennen Ihnen als neuer Präsident der Wiener Wirtschaftskammer am meisten unter den Nägeln?
Ganz wesentlich ist die Entlastung der Unternehmen des Mittelstands. Mit einer Abgabenquote von mehr als 45 Prozent liegen wir international im Spitzenfeld. Daher setze ich mich vor allem dafür ein, dass endlich Bagatellsteuern wie die Werbeabgabe abgeschafft und die Freibetragsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter auf 1.000 Euro angehoben werden. Außerdem ist das Steuersystem radikal zu vereinfachen. Ich denke da an die sprichwörtliche Steuererklärung auf einer Seite. Das würde gerade Kleinbetrieben und EPU helfen.

Viele dieser Kleinen leiden besonders unter den Abgaben an die Sozialversicherungsanstalt (SVA). Hier hätte die Wirtschaftskammer direkten Einfluss auf Änderungen. Haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Wir haben in der SVA in den vergangenen Jahren bereits viele Erleichterungen und Verbesserungen für unsere Mitglieder erreicht. Aktuell steht die Absenkung der Beiträge um zehn Prozent für alle Unternehmerinnen und Unternehmer auf der Agenda. Bei der Sozialversicherung der Selbstständigen werden wir zeigen, dass wir wissen, wie man die Selbstständigen entlastet und vernünftige Rahmenbedingungen schafft.

Ein weiteres Ihrer Anliegen ist der Bürokratieabbau. Den Wiener Unternehmer kostet die Verwaltung jährlich 1,2 Milliarden Euro. Geht das billiger?
Ja, eine im Jahr 2012 von uns durchgeführte Studie zeigt, dass die administrativen Kosten pro Mitarbeiter in Wien bei 1.900 Euro liegen und damit zehn Prozent über dem Bundesschnitt. So viele Gesetze und Verordnungen, wie die Wiener Betriebe beachten müssen, gibt es in keinem anderen Bundesland. Wien ist zwar eine schöne Stadt, aber die Verwaltung muss unternehmerfreundlicher werden, damit sich die Unternehmer wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können und Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Man braucht sich etwa nur das Thema Betriebsanlagengenehmigungen anschauen. Das sind extrem komplexe Verfahren. Man hat wenig Rechtssicherheit und dermaßen lange Verfahrensdauern, dass man fast schon sagen muss: Unter diesen Bedingungen kann ich kein Geschäft mehr aufmachen. Da muss etwas getan werden, damit der Wirtschaftsstandort wieder attraktiver wird.

Thema Gebühren: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sofort ändern?
Ich würde als Erstes die automatische Valorisierung stoppen, die die kommunalen Gebühren und Abgaben konstant in die Höhe treibt. Der Rechnungshof hat festgestellt, dass Gebühren angehoben werden, obwohl Überschüsse erzielt werden. Das widerspricht dem Kosten­deckungsprinzip.

Die Stadt will vermutlich nicht auf diese Einnahmen verzichten. Wie wollen Sie den Bürgermeister davon überzeugen?
Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass die Valorisierung nichts mit Kostenwahrheit zu tun hat, sondern bloß ein Körberlgeld ist. Nach der gleichen Logik müsste man ja sonst auch die Steuerstufen valorisieren. Außerdem gibt es ausreichend Effizienzpotenzial in der Wiener Verwaltung. Diese sollte man zuerst heben, bevor man an der Einnahmenschraube dreht.

Seit einigen Jahren klagen Unternehmen über Probleme beim Aufstellen einer Finanzierung. Wie wollen Sie den Zugang erleichtern?
Für kleine und junge Betriebe ist es manchmal schwierig, sich über Banken zu finanzieren, weil ihnen noch Sicherheiten fehlen. Wir brauchen daher Ergänzungen zur klassischen Kreditfinanzierung. Etwa einen leichteren Zugang zu Venture Capital oder Crowdfunding beziehungsweise eine Anhebung der Prospektpflicht auf 500.000 Euro. Viele kleine Unternehmer werden abgeschreckt, wenn sie Berge an Formularen ausfüllen müssen. Außerdem wollen wir das Konzept der Business-Angels forcieren. Zum Beispiel über eine steuerliche Begünstigung. Wenn man Fremdkapitalkosten absetzen kann, wieso kann man keine Eigenkapitalverzinsung absetzen? Damit motiviert man Investoren am besten, Unternehmern Geld zur Verfügung zu stellen.

Welchen persönlichen Fußabdruck wollen Sie als Wiener Kammerpräsident hinterlassen?
Ich will ein Ermöglicher für Neues sein, denn Verwaltung und Politik hinken den wirtschaftlichen Realitäten hinterher. Dazu werde ich mich stärker, pointierter, spürbarer in Entscheidungsprozesse einbringen. Es wird das eine oder andere Mal notwendig sein, dass man unsere Konturen sieht. Es ist aber letztlich immer eine Frage des Dialogs. Leider sehen das nicht alle Seiten so. Immer wieder werden Unternehmen bei wichtigen Dingen nicht gefragt– etwa bei der Mariahilfer Straße. Mein Ansatz ist, dass man Aufgaben mit allen Stakeholdern gemeinsam lösen sollte.

Sie bezeichnen sich selbst als „Fighter für den Mittelstand“. Ist das als Kampfansage an die rot-grüne Stadtregierung zu verstehen?
Ich kämpfe nicht gegen jemanden, sondern für die Sache. Ich glaube, dass wir alle für die Unternehmer das Beste wollen, es aber unterschiedliche Wege und Ansätze gibt. Ich fordere einen Umgang auf Augenhöhe mit uns. Ich bin für einen Wettbewerb der Argumente. Das gilt für alle Beteiligten. Wenn es gelingt, mich zu überzeugen, bin ich gern bereit, meine Meinung zu ändern.

Man hat aber den Eindruck, dass Sie sich aber auch in der ÖVP damit nicht so leicht tun. Der Wirtschaftsbund sieht eine gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen als Chance. Gerade in Wien macht die ÖVP auf Plakaten aber deutlich, dass sie davon nichts hält.
Die Volkspartei deckt eben den Konsens einer breiten Gruppe der Bevölkerung ab. Der Wirtschaftsbund ist bei solchen Fragen sicher besonders breit aufgestellt.

Auch die meisten Bildungsexperten treten für die eine oder andere Form der Gesamtschule ein. Im Wettbewerb der Argumente hätten Sie doch die besseren Karten?
Ich habe die fundamentalistisch geführte Diskussion des Wortes Gesamtschule nie verstanden. In Österreich gibt es ja de facto eine Gesamtschule, nämlich die Volksschule bis zehn Jahren. Man kann sich die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, diese bis zwölf oder 14 Jahren weiterzuführen? Für mich ist das keine dogmatische Frage. Ich will mich auch auf nichts festlegen. Ich bin der Meinung, dass man die Konzepte in Ruhe betrachten und diskutieren muss.

Man könnte einwenden, dass die Diskussion schon ewig läuft und irgendwann etwas passieren muss.
Für mich geht immer noch Qualität vor Zeit.

Lassen Sie uns zum Kernthema Unternehmertum zurückkehren. Veranstaltungen wie das Pioneers Festival –  bei dem jährlich hunderte Jungunternehmer nach Wien kommen – lassen vermuten: Unternehmen zu gründen liegt im Trend. Wie sehen Sie das?
Die Wiener Gründerszene entwickelt sich sehr stark. Pro Jahr setzen 8.000 Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit. Der größte Schritt, den ein Unternehmer gehen kann, steht aber vielen von ihnen noch bevor. Es ist jener zum ersten Mitarbeiter. Wer jemanden anstellen will, kann sich das oft nicht leisten. Auch weil die Krankenkassen immer strenger prüfen und oft Nachzahlungen drohen, weil etwa freie Dienstverhältnisse nicht anerkannt werden. Hier braucht es Rechtssicherheit, damit Unternehmer Arbeitsplätze schaffen und wachsen können.

Da begeben wir uns direkt in die Diskussion der Lohnnebenkosten. Alle sind sich einig, dass diese zu hoch sind, das zeigt auch der derzeitige Diskurs. Glauben Sie an eine baldige Entlastung?
Die Diskussion wird leider sehr einseitig geführt. Es dreht sich nämlich immer nur um die direkten Lohnnebenkosten. Die indirekten Kosten wie Fehlzeiten, Urlaube, Krankenstände werden dabei immer ausgeklammert. Als Unternehmer muss ich aber alle Ausfallzeiten bezahlen. Die sozialträumerische Fiktion, dass die Lohnnebenkosten nur 30 Prozent ausmachen, ist schlichtweg falsch.

Glauben Sie, dass die Regierung hier schnell handelt?
Ja. Der Leidensdruck der Unternehmer wird größer. Es muss daher schnell eine Lösung her. Es geht schließlich um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe und um Arbeitsplätze.  

Ein Thema, das viele Unternehmer beschäftigt, ist Corporate Social Responsibility (CSR). Inwiefern müssen Unternehmen verantwortungsvoller agieren?
Familienunternehmen sind schon per se nachhaltig. Sie denken in Generationen.

Der bekannte Ökonom Milton Friedman hat einmal postuliert, die einzige Aufgabe des Unternehmers sei es, Profit zu machen. Hat er recht?
So weit gehe ich nicht. Unternehmer nehmen jedenfalls eine viel höhere Verantwortung wahr, als gemeinhin bekannt ist. Ich will ein Beispiel nennen: Arbeitsrechtlich wird der Weg vom Wohnort zur Arbeit als Arbeitszeit angesehen, steuerrechtlich nicht. Wenn verschiedene Rechtsmaterien sich nicht einig sind, dann sehe ich das als eine künstliche Verantwortungszuschreibung. Wenn man selbstständig ist, muss man Berge von Formularen für die Steuererklärung ausfüllen. Für Unselbstständige gilt das nicht.

Warum solle man heute noch Unternehmer werden?
Weil es trotzdem schöner ist.

Sie sind als Bauunternehmer tätig. Kommen Sie als Präsident der Kammer überhaupt noch dazu, das Tagesgeschäft zu steuern?
Die große Stärke der Wirtschaftskammer besteht darin, dass die Funktionäre ihre Erfahrungen aus der täglichen Praxis mitbringen. Natürlich braucht es aber eine gute Organisation, um beide Aufgaben bewältigen zu können. Dazu zählen ein gutes Zeitmanagement und Mitarbeiter in meinem Unternehmen und in der Kammer, auf die ich mich verlassen kann und die mich perfekt unterstützen.

Sie hatten immer schon Mitarbeiter aus vielen Nationen und Kulturkreisen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Für mich haben schon gleichzeitig Mitarbeiter aus 15 Nationen gearbeitet. Es ist für eine Gesellschaft gut, wenn sie von außen befruchtet wird. Wir haben als Unternehmen viel Positives mitgenommen. Speziell für die Wiener Wirtschaft bedeutet Vielfalt Vorteile und Chancen.

Wohin soll sich die Bundeshauptstadt als Wirtschaftsstandort weiterentwickeln?
Wien ist für ein Land wie Österreich eine unglaublich große Stadt. Das hat natürlich historische Gründe. Ich bin davon überzeugt, dass wir ­diese historischen Beziehungen noch besser nützen müssen. Da verspielen wir oftmals zu viel. Ein Beispiel dafür ist der arabische Raum. Unsere Unternehmen waren dort einmal diejenigen, die bei jedem ­Bauvorhaben dabei waren. Wir haben diesen Zugang verloren, das sollte uns ein Warnzeichen sein. Ich würde mich freuen, wenn sich die heimische Politik der Bedeutung ihrer Aktionen bewusst ist. Und nicht, wenn es Probleme gibt, sofort unsere Soldaten von den Golanhöhen zurückzieht.