Fachkräfte
So hält man Mitarbeitende
Es gibt hübsche Metaphern für die Generation Z, die von 1997 bis 2009 Geborenen. Generation Schneeflocke etwa, weil sie so empfindlich sind und sich jede für einzigartig hält. Generation Goldfisch, wegen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Krisenkids, weil seit ihrer Geburt eine Krise die nächste jagt. Wahrscheinlich ist, dass sie ihr Leben einfach nur ganz anders anlegen wollen als ihre dauergestressten Eltern. Anfangs konsternierten die vielen Befindlichkeiten der Gen Z die Personalist*innen, die sie geschmeidig in ihre Unternehmen integrieren sollten. Doch sie haben sich längst angepasst und bieten dem begehrten Nachwuchs, was er verlangt. Einen Job mit Sinn, natürlich, dazu Werte wie Nachhaltigkeit und Diversität.
Ein wenig erinnert das an den Idealismus einer anderen Generation, die zu ihrer Zeit die Wirtschaft durcheinanderwirbelte: an die Hippies der 1960er- und 1970er-Jahre. Auch wer in Österreich gegen Atomkraft auf die Straße ging oder sich in der Stopfenreuther Au an einen Baum kettete, schien so gar nicht zu gefügigen Arbeitnehmer*innen geeignet – dachte man. Tatsächlich mutierten viele Blumenkinder zu Bilderbuchkapitalist*innen, sobald sie sich die Verantwortung für Hauskredit und eigene Familie auf die Schultern luden. So sieht das jedenfalls Compensation-Expert Conrad Pramböck: „Heute reden alle Jungen nur von Purpose. Wenn du ihnen aber sagst, du bekommst viel Purpose, aber kein Geld, springen sie sofort ab.“ Denn auch das passt zur Gen Z: Neben allem anderen verlangt sie viel, wirklich viel Gehalt. So viel, dass sie die verdienten „mittelalten“ Generationen vor den Kopf stoßen. Doch dazu später.
Wenn du den Jungen sagst, du bekommst viel Purpose, aber kein Geld, springen sie sofort ab.
Die Funktion des Geldes
Jedenfalls gelang den Schneeflöckchen die Quadratur eines Kreises: Frühere Generationen mussten sich nach ihrem Abschluss mit prekären Praktika über Wasser halten. Erst mit den obligatorischen drei bis fünf Jahren Berufserfahrung kamen sie an einen fixen Job und endlich ins Verdienen. Die Gen Z hatte das von Anfang an. Gleichzeitig, klagen Personalist*innen, legen viele – nicht alle! – einen erstaunlichen Gleichmut gegenüber Leistung an den Tag. Arbeit habe für sie nichts mehr mit Erfüllung oder Zufriedenheit zu tun, analysierte kürzlich der „Spiegel“. Das Paradigma der Babyboomer (geboren 1946 bis 1964) lautete noch, Lebenszeit gegen Geld zu tauschen. Mit diesem finanzierten sie ihrem Nachwuchs Ausbildung und Lebensstandard – so wie es ihre Eltern für sie getan hatten. Was überblieb, legten sie für die Pension zur Seite oder als künftiges Erbe für ihre Kinder. Doch die lösen gerade den Generationenvertrag auf. Ein bisschen arbeiten ist okay, aber nur für sich selbst und nicht für das „System“. Dann geht man auf Weltreise oder Sabbatical, bis das Budget aufgebraucht ist, und dann wieder ein bisschen arbeiten. Geld hat nur noch die Funktion, die Zeit für das zu finanzieren, was man wirklich will. An die Pension glaubt ohnehin keiner mehr – warum sie also den Alten finanzieren? Manche haben als Lebensziel, was Pramböck von einer HAK-Schülerin hörte: „Sie sagte, lieber g’scheit geerbt oder gut geheiratet, und sie erspart sich ein ganzes Leben harter Arbeit.“
Egalitärer Kuschelkurs
Personalist*innen navigieren also in diesem Spannungsfeld. Einerseits spüren ihre Unternehmen die Leistungslücke der in die Pension entschwindenden Babyboomer. Andererseits lechzen sie nach digitalaffinem Nachwuchs. Bloß, dass der gleich wieder abspringt. Würde es sich da nicht lohnen, ihn besser zu binden, statt ständig neu zu rekrutieren? Schauen wir uns an, wie zwei stark expandierende heimische Unternehmen dieses Dilemma lösen. Deutlich männerlastig das eine, das Linzer Headquarter von Dynatrace mit 1.000 Mitarbeiter*innen, das unternehmensweit für die Softwareentwicklung zuständig ist. Drei Viertel der Belegschaft sind männlich. Deutlich frauenlastig das andere, der in Graz ansässige Optiker sehen!wutscher mit 600 Mitarbeiter*innen. Zwei Drittel davon sind weiblich. Beide Unternehmen zahlen überdurchschnittlich gut. Dynatrace, weil es in den leergefegten internationalen Entwicklermärkten fischen muss; sehen!wutscher, weil es die sorgfältig ausgebildeten Mitarbeiter*innen nicht an die Konkurrenz verlieren will. Statt des billigen Handels-Kollektivvertrags gilt hier der Metall-KV.
Beide binden junge Mitarbeiter*innen durch eine fein elaborierte Firmenkultur. Dynatrace setzt auf Autonomie. Veronika Leibetseder, Vice President Workplace Experience, beschreibt es als „Ermächtigung jedes Mitarbeiters, selbst Entscheidungen treffen zu dürfen. Er muss nur davor alle Betroffenen konsultieren.“ Ein junger Mitarbeiter ging für seine Ideen bis zum Konzern-CEO in Boston. Der antwortete ihm prompt. Weg von Top-down, hin zu Bottom-up, das gefällt den Jungen.
Keine Leistungsbeurteilung! Wir fragen: Wie geht es dir und was brauchst du, damit es dir noch besser geht?
Die Strategie von sehen!wutscher baut auf einer „gelebten Vertrauenskultur“. In der hauseigenen Akademie lernen alle Mitarbeiter*innen die Werte des Hauses kennen – Familienbetrieb, langfristig denkend, enkelsicher – und in deren Sinn zu entscheiden. „Wir vertrauen darauf, dass alle in den Filialen nach unserer Vision arbeiten“, sagt Gründerenkelin und HR-Verantwortliche Alexandra Wutscher. Soll heißen: Bei Modellauswahl, Kund*innenansprache oder Marketingaktivitäten reden die Jungen gewichtig mit. Einmal im Jahr bekommen sie ein „Wohlfühl“-Gespräch: „Keine Leistungsbeurteilung. Wir fragen: Wie geht es dir und was brauchst du, damit es dir noch besser geht?“ Der Kuschelkurs funktioniert bei den Jungen. Doch was ist mit den früheren Generationen?
Baby als neuer Purpose
Das ist die These: Spätestens mit der Familiengründung verschieben sich die Werte. Das wird bei der Gen Z genauso sein wie bei allen Generationen davor. Eben tritt die Gen Y, geboren 1980 bis 1996, in die Familiengründungsphase ein. Vom Unternehmen forcierter Sinn und Zweck verliert jetzt ganz schnell an Bedeutung. Wie es Pramböck formuliert: „Jetzt braucht man keinen Purpose von der Firma mehr. Das eigene Baby ist der neue Purpose.“ Oder die Wohnungsfinanzierung, der Hausbau und der Kredit dafür. Wie bindet man Mitarbeiter*innen in der Rushhour ihres Lebens?
Mit Karriereoptionen die einen, mit Familienfreundlichkeit die anderen. Dynatrace hat eine besondere Herausforderung: Karriere machen wollen alle, aber nicht allen Entwickler*innen liegt das Führen. „Daher unterscheiden wir nicht zwischen Fach- und Führungskarrieren“, erklärt Leibetseder. Präziser: Die „Domain Leadership Career“ (vulgo Fachkarriere) ist auch finanziell gleichwertig zur Führungskarriere. Wer mag, probiert beides oder springt hin und her.
sehen!wutscher ist naturgemäß stärker von Karenzausfällen betroffen. Hier greift eine für Filialisten unüblich hohe zeitliche Flexibilität. Von Teilzeit bis zur Vier-Tage-Woche (ohne Lohnausgleich) ist vieles möglich, selbst Top-Job-Sharing. „Für uns ist nur wichtig, dass unsere stärksten Wochentage – Freitag und Samstag – gut abgedeckt sind.“ Gerade wird an einer Zertifizierung als familienfreundliches Unternehmen gearbeitet. Dank stetiger Expansion kann auch Wutscher Karrierewünsche gut erfüllen. Irgendwo ist immer eine Filialleitung offen. Die Wohlfühlpolitik wirkt auch nach außen: „Immer wieder bewerben sich komplette Teams des Mitbewerbs bei uns. Grund sind immer Wertschätzungsthemen. Daran sollten die anderen schrauben.“
Als weiteres Klebemittel für die Gen Y nennt Pramböck Gesundheitsangebote: „Der Masseur kommt vorbei, die Yogalehrerin oder der Achtsamkeitstrainer. Einmal im Jahr gibt es einen Gesundheitscheck und täglich ein veganes Menü.“ Einer Hokify-Studie zufolge rückt nun auch die Mobilität in den Vordergrund. Ein Öffi-Ticket wollen alle, ein Klimaticket nur Bahn-Vielfahrer*innen. Auf dem Land sind Dienstwagen begehrt wie eh und je, elektrische nur, wenn es auf dem Firmengelände Ladestationen gibt. Hybridautos sind laut Pramböck bei den Unternehmen nicht gern gesehen: „Viel zu teuer im Betrieb. Die Leute wollen sie nur, um ihre Beifahrer zu beeindrucken.“ Carsharing, Firmenfahrräder und E-Scooter reizen diese Zielgruppe nicht mehr. Damit lässt sich die Familie nicht transportieren.
Graue Wolken bei der Gen X
Es überrascht, wie wenig Aufmerksamkeit der Gen X, geboren von 1965 bis 1979, geschenkt wird. Mit dem Exodus der Babyboomer bekamen sie die Hauptarbeitslast auf die Schultern. Doch das Delegieren nach unten funktioniert nicht wie früher. Ein frisch ernannter Kanzleipartner beklagte kürzlich die unzähligen Wochenenden und Überstunden, die er in seinen Aufstieg hineingebuttert hatte. Nun, da er endlich Arbeit an Associates und Juniors abgeben wollte, wären deren Büros um 17 Uhr schon verwaist. Nicht einmal die Konzipient*innen wären bereit, länger zu bleiben. Seine Fälle bearbeitet er weiter allein.
Immerhin mit KI- und Automatisierungsunterstützung. Doch weder Leibetseder noch Wutscher erwähnen Konzepte für diese Kohorte. Außer: „Aufstiegswünsche erfüllen.“ Was dem Filialisten leichter fällt als der Softwareschmiede. Pramböck zeichnet ein ernüchtertes Bild von der Gen X: „Sie ärgern sich über die Arbeit, die die Jungen eben nicht mehr machen – und darüber, dass sie mit 25 Jahren Berufserfahrung genauso viel Gehalt bekommen wie ein Frischg’fangter.“ Manche stellen ihren Lebensentwurf infrage: „Sie sagen: ‚Ich erkenne mein Unternehmen nicht wieder. Warum soll ich mich dafür noch abrackern?‘“
Welche Konsequenzen sie ziehen, hängt von der Lebenssituation ab. Wer sein inflationsverteuertes Leben kaum mehr finanzieren kann, macht seinem Unmut Luft – vom Verbreiten schlechter Stimmung bis zum offenen Streik. Männer, die es sich leisten können, schwenken ihre Karrierepläne von „Ausbauen“ zu „Halten“. Ist ihr erarbeiteter Lebensstandard abgesichert, buttern sie nicht weiter hinein. Pramböck: „Ihnen wird wichtiger, sich privat autark zu machen. Mit PV-Anlage am Dach, Brunnen im Garten und eigenem Gewächshaus.“ Und mit Finanzanlagen, die eine möglicherweise wegfallende staatliche Pension kompensieren.
Um die Frauen der Gen X macht sich Pramböck mehr Sorgen: „Der Stress der früheren Jahre hat seine Spuren hinterlassen. Viele haben genug vom Hamsterrad, kündigen ihre Anstellungen und machen sich als Beraterinnen oder Coachinnen selbstständig. Weil der Mann ja eh gut verdient.“ Dass dann die eigenen Einkünfte und die erwartbare Pension deutlich absacken, wollen sie nicht sehen. Ebenso wenig wie die Abhängigkeit vom Midlifecrisis-gebeutelten Mann. Die Botschaft lautet: Personalist*innen, kümmert euch auch um die Gen X. Kompensiert ihren Frust über die in ihren Augen verhätschelten Jungen mit Wertschätzung und anerkennenden Gehaltserhöhungen. Und vergesst nicht auf das stärkste Bindemittel von allen: das Team und die Kolleg*innen, für die man gern in die Arbeit geht. Sinnerfüllende Beziehungen kompensieren sogar den verloren gegangenen Sinn in der Arbeit. In jedem Alter.